Der heranrollende Morgen begrüßt mich mit Donner. Ein Gewitter ist aufgezogen und ich beobachte das Schauspiel zu gleichen Teilen fasziniert und fassungslos. Ich wollte nach Hause. Es wäre wohl nicht gut, noch länger hier zu bleiben.
"Soll ich dich nach Hause fahren?" Tua stellt diese Frage, als hätte er meine Gedanken gelesen. Er hält eine Tasse Kaffee in der Hand und deutet darauf, spricht aber seine zweite Frage gar nicht aus.
"Ich brauche einen Kakao", flüstere ich und wende mich wieder dem Regen zu, der in Sturchbächen die gläserne Balkontür hinabrinnt.
"Ich befüll dir einen Thermobecher."
"Hast du heute noch was vor oder so?", murre ich unzufrieden und kuschle mich trotzig wieder in die Decke. Vielleicht sollte ich doch bleiben, vielleicht ist das ja ein Zeichen. Für einen Moment sieht Tua mich mit diesem Blick an, und ich weiß, wie leicht es wäre, ihn hierherzulocken und dafür zu sorgen, dass wir uns näherkommen.
Aber dann meldet sich auch schon mein Gewissen zu Wort. Nein, das geht nicht. Wir sind nicht zusammen. Ich kann nicht in seiner Wohnung chillen, während er weg ist. Morgen muss ich zurück auf Arbeit, da gibt es eh noch ein paar Sachen vorzubereiten.
"Ja, ich muss ins Studio, Deadlines rollen an", erwidert er und hat sich schon halb in seinen Flur gestohlen. "Und du musst mit Mika und Pari sprechen, keine Ausreden mehr", ruft er.
Seufzend puste ich mir eine Locke aus dem Gesicht und nehme die Umgebung in mich auf. Die Teelichte von gestern sind komplett runtergebrannt. Das Flackern der Kerzen hat mich in den Schlaf getröstet, während ich mir vorgestellt habe, wie Tua nebenan liegt und seine Brust sich mit jedem tiefen Atemzug hebt und wieder senkt. Ich vermisse das so sehr.
Bevor ich losheulen kann, kneife ich die Augen fest zusammen und verlasse meine Schlafstätte."Leihst du mir einen Pulli?", frage ich ihn kleinlaut. Er lehnt an der Küchentheke und hält sein Smartphone in der Hand. Hinter ihm summt die Mikrowelle monoton. Darin erhitzt er Milch. Neben ihm steht das Pulver, mit dem man heiße weiße Schokolade machen kann. Ich habe ihn genötigt, es zu kaufen, als wir mal zusammen im in der Feinkostabteilung vom Karstadt waren. Er trinkt fast nie davon. Nur, wenn ich ihn zwinge, sich eine Schnulze mit mir reinzuziehen.
"Nimm dir den weißen Sweater, du weißt, welchen ich meine", antwortet er und ich nicke, als es Pling macht und er sein Handy beiseite legt ...
In seinem Schlafzimmer ziehe ich mich um und drehe mich in meinem neuen Outfit vor der Spiegeltür in seinem Kleiderschrank. Ich habe eine azurblaue, gut sitzende Skinny Jeans hier gelagert, die sich schön mit dem Sweater kombinieren lässt.
"Sieht nice aus, danke", meine ich, als ich wieder an ihn herantrete. Er hat den Kakao in einen Thermobecher umgefüllt. Seine Augen wandern meinen Körper runter und ein Lächeln zupft an seinen Mundwinkeln.
"Ja, der steht dir besser als mir. Komm jetzt, wir müssen los." Er überreicht mir meinen Kakao und ich folge ihm.
Als er abgeschlossen hat, gehe ich vor ihm die Treppe runter und spüre seinen Blick dabei die ganze Zeit auf mir. Was er wohl denkt? Ich kann an kaum etwas anderes denken als nur daran, wie sehr ich mir wünsche, der ganze Scheiß der letzten Monate wäre nie passiert.
"Für wen arbeitest du zurzeit?", frage ich ihn, um mich abzulenken.
"Für Joy", erwidert er wortkarg und ich nicke. "Wanja besucht mich heute auch", schiebt er hinterher.
Kurz beiße ich mir vor Nervosität auf die Unterlippe.
"Ihr hast du aber nichts gesagt, oder?""Nein. Bisher nicht."
"Ich möchte nicht, dass sie es weiß", platzt es aus mir raus.
Tua schaut mich prüfend an und spannt einen Regenschirm für uns auf. Wir müssen etwas laufen, um zu seinem Auto zu gelangen.
"Warum nicht?""Würde sich das für dich nicht auch komisch anfühlen? Als wir den Song aufgenommen haben mit ihr, hat sich unsere Geschichte so ... abgeschlossen angefühlt. Ich dachte, wird sind für immer glücklich ... Okay, ich gebe zu, wenn ich das laut ausspreche, klingt es für mich selber auch, als ob ich spinne."
Er lacht und seine Augen funkeln kosmisch, als er mich anschaut.
"Hab ich da auch noch kurz gedacht. Wir waren beide ein bisschen dumm. Vielleicht rede ich mit ihr drüber. Ich hab jedenfalls keine Angst vor dem, was sie sagen könnte." Er wirft mir einen eindeutigen Blick zu und ich bin kurz versucht, ihm den Regenschirm wegzunehmen und ihn raus ins kalte Nass des Sturms zu schubsen, entscheide mich dann aber dagegen. Schließlich hat er recht. Das Bauchgrimmen hat sein gestern auch endlich ein bisschen nachgelassen. Was hab ich schon zu verlieren? Gerade ist doch eh alles irgendwie kaputt.Wir fahren schweigend durch die Stadt, das Wasser prasselt so laut auf die Frontscheibe, dass er das Radio fast bis zum Anschlag aufdrehen muss. Die Musik lullt mich ein. Ich schließe sie Augen, höre zu und atme die Gerüche der Lederapplikationen, sein Parfüm und einen fast verflogenen Zitronenduft ein, wie von diesen Allzweck-Reinigungstüchern. Es ist, als ob die Zeit stehengeblieben wäre und wir in seinem Auto außerhalb von ihr existieren würde. Nur er und ich, und die Musik.
Die Fahrt endet Minuten später vor meiner Haustür. Statt mich lange zu fragen, was eine angemessene Verabschiedung wäre, schenke ich ihm bloß ein Lächeln.
"Danke fürs Fahren." Ich öffne die Tür.
"Kein Ding", sagt er und erwidert das Lächeln nicht. Ich sehe das Flackern in seinem Blick, wie wenn man etwas sagen möchte, aber nicht weiß, was überhaupt.
"Bye", hauche ich und steige aus dem Wagen, schlage die Tür zu. Tua fährt weiter, ich pese zum Hauseingang und schließe schnell auf.
Wenn oben jemand ist, dann spreche ich es aus. Ich nehme mir das Versprechen ab, verhake meine kleinen Finger ineinander, damit ich ja nicht auf die Idee komme, es zu brechen. In der WG stellt sich allerdings heraus, dass Pari nicht hier ist, sondern den Tag mal wieder irgendwo mit Dag verbringt. Bleibt bloß noch einer.
"Mika-Pika?" Fragend klopfe ich an seine geschlossene Zimmertür. Er öffnet mir mit einem Staubwedel in der Hand und Kopfhörern auf den Ohren, die er gleich abnimmt.
"Hey, alles klar bei dir? Wo hast du geschlafen?", will er prompt wissen.
"Lass uns reden, ja?"
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November
RandomStaffel 5 meiner Daily Soap, lesbar ohne Vorwissen. Ich empfehle allerdings doch ausdücklich „Messias" davor zu lesen, weil der emotionale Impact, den die Geschehnisse in dieser Staffel haben, auf die Art greifbarer für euch wird. Abgesehen davon kn...