Beschwerdemanagement

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Die Konzertagentur nach diesen Tagen wieder zu betreten, die so viel in mir aufgewirbelt haben, hat etwas seltsam Nostalgisches an sich. Meinen Mantel hänge ich an der Garderobe auf, dann betrete ich Nitas Büro um ihr Hi zu sagen. Sie lässt die Papiere sogar kurz Papiere sein, schlüpft hinter ihrem Schreibtisch hervor und drückt mich. Sie fragt, wie ich gelaunt bin. Ich antworte wahrheitsgemäß, dass es mir nicht so super geht, ich aber glaube, dass mir der Fokus auf die Arbeit heute gut tun wird. Sie berichtet im Gegenzug, sie hätte heute schon mit dem schleimigen Betreiber einer Eventlocation telefoniert und das habe ihr ebenfalls die Laune verhagelt, weshalb sie mich nur zu gut verstehen können.

"Du weißt ja: Schokolade, Gummibärchen, Kekse, Nüsse, getrocknete Mangostreifen ‐ Alles, was dein Herz begehrt, findest du in der untersten Schublade." Sie nickt in Richtung ihres Aktenschranks und zwinkert mir zu. Ich muss lächeln. Irgendwie rührt es mich, besonders weil das höchste der Gefühle bei Universal für mich immer war, wenn Kris und ich beschlossen haben, das Christina nicht schon wieder die Einzige sein darf, die an einer überteuerten Kaffeespezialität von Starbucks nippt. An diesen Tagen habe ich uns beiden auch was von der Filiale mitgebracht. Der Kakao war teuer, aber so lecker, dass es mich nicht gestört hat. Und ich war praktisch willenlos, weil komplett überarbeitet.

Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. Noch fünf Minuten, bis es 9 ist. Also begebe ich mich in die Küche, wo ich mir die Packung mit dem billigen Supermarkt-Instant-Kakaopulver aus dem Schrank nehme und etwas davon in eine Tasse löffle. Am Ende ist mir das tausendmal lieber als ein Kakao von Starbucks. Der Job hier ist einfach besser. Die kleineren Zusammenhänge tun mir gut. Es gibt neben mir nur Marcello, Ronni, Nita und natürlich David, auf dessen Gesicht sich ein strahlendes Grinsen ausbreitet, als er mich in der Küche entdeckt.

"Du bist zurück!" Freudig zieht er mich für eine Umarmung zu sich und ich drücke ihn.

"Bitte sag mir, dass du mich nicht nur so herzt, weil du zehn deiner Aufgaben an mich abgeben musst, um früher loszukönnen oder so", stelle ich eine böse Vermutung in den Raum, doch David lacht und winkt ab.

"Ich erledige meine Aufgaben selbst. Du hast ohnehin genug zu tun."

"Ich war noch nicht gucken", sage ich und kaue auf meiner Wange herum, während ich den Kakao in die Mikrowelle tue.

"Mach dir mal keine Sorgen, das schaffst du alles", versichert er mir. "Wie war dein Urlaub?" Er greift beiläufig nach dem Wasserkocher und befüllt ihn.

"Na ja ...", mache ich bloß.

"Konntest du dich nicht erholen?", fragt er mich. Eine Sorgenfalte hat sich zwischen seine dunklen Augenbrauen geschoben.

"Nicht wirklich", erwidere ich. "Arbeit wird sicher gut tun heute. Was, worauf ich mich konzentrieren muss."

"Sollen wir zusammen Pause machen?", schlägt er vor. "Der Inder hat jetzt ein unschlagbares Mittagsangebot."

Ich nicke mit einem Lächeln und schnappe mir meinen Kakao. David gießt seinen Tee auf und wir schlendern gemeinsam in den Flur. Vor der Tafel lässt er mich stehen, denn ich muss mir erstmal einen Überblick über meine Agenda verschaffen.

Noch vor allen Aufgaben für heute hat Anita ihrer sauberen Handschrift geschrieben, dass das ganze Team sich freut, dass ich wieder da bin. Und alle haben mit Namen unterschrieben. Das ist echt zuckersüß.

Ich gehe die einzelnen Punkte durch und sehe, dass mich nachher Bastian besuchen wird, weil er irgendwo auf Luks Tour im Backstage geraucht hat, wo er nicht hätte rauchen sollen, und es sind wohl auch ein zwei Einrichtungsgegenstände zu Bruch gegangen.

Alle außer mir hassen das Beschwerdemanagement, deswegen ist es inzwischen eine meiner Kernkompetenzen. In erster Linie muss ich aus Bastian rauskriegen, was an dem Abend tatsächlich passiert ist und was womöglich nur hysterisch ausgeschmückt wurde vom Inhaber der Location. Und dann gilt es, einen Kompromiss zu finden, mit dem beide Seiten einverstanden sind.

Bastians Art kostet uns Geld, aber er bringt uns letztlich mehr ein, als dass es nicht bezahlbar wäre. Er ist Luks Manager und ich weiß, dass Luk auch mit niemandem sonst zusammenarbeiten würde, das hat er mir gesagt, als ich ihn darauf angesprochen habe. Wenn unsere Geldquelle Nummer 1, das Goldkehlchen, sich mit einem Grobian wie Bastian nun mal am besten versteht, dann stellen wir uns als Agentur dem nicht in den Weg, haben meine Chefs mir erklärt.

Ich gebe zu, dass es mir sogar Spaß macht, bei solchen Streitigkeiten zu vermitteln. Womit ich allerdings gar nicht kann, das sind solche Ankläger, die behaupten, die Moneten an Schadensersatz, die wir hinblättern, seien ihnen nichts wert: nicht ohne eine ehrliche Entschuldigung von Bastian zumindest. Für sowas habe ich keine Zeit, und da kann ich auch ungemütlich werden. Geld stinkt nicht und man bekommt eben nicht immer eine Entschuldigung im Leben. Besonders nicht von einem Sturkopf wie Bastian, der oftmals alles sowieso konträr sieht, und dem die Menschen egal sind, die vor Ort das Chaos beseitigen müssen, das er hinterlassen hat. Für ihn ist das ein Problem, auf das er Geld werfen kann, bis es verschwindet. Und für mich auch, seit ich in dieser Branche arbeite.

Meine Aufgabe in Bezug auf Bastian ist es eigentlich nur, unter allen Umständen zu vermeiden, dass er noch irgendwo Hausverbot bekommt. Weil sich das sonst rumspricht und wir dann irgendwann ein ernstes Problem haben werden, Locations für Gigs zu buchen. Das ist auch der Grund, wieso ich Bastian jedes Mal, wenn wir solche Fälle bereden, ein schlechtes Gewissen machen muss. Meist benimmt er sich dann eine Weile, bevor er das nächste Mal so abdreht.

Ich schlürfe meinen Kakao und fotografiere meine Agenda ab. David telefoniert, als ich unser Büro betrete. Ich versuche keinen Lärm zu machen und ziehe das Foto, dass ich gemacht habe, rüber auf mein senkrecht aufgestelltes Dienst-Tablet, fahre den PC hoch. Auf einem Klebezettel notiere mir, das Bastian um 14 Uhr hier aufschlagen wird. Auf einen zweiten Zettel schreibe ich Lunch, 13 Uhr? und halte ihn für David hoch. Mein Mit-Azubi nickt eifrig und ich streiche das Fragezeichen weg, klebe ihn vor den mit Bastians Namen und der anderen Uhrzeit ... Als ich meinen Tag so durchorganisiert habe, kümmere ich mich um meine E-Mails, und bald bin ich wieder in meiner Routine.

Und alles geht einfach weiter.

NovemberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt