Parallelität

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Bei meiner Rückkehr in unsere WG steht Pari in der Küche und backt. Ich observiere sie genau, während ich meine Sachen ablege. Manchmal ist es gar nicht so leicht einzuschätzen, ob sie es aus Frust tut, oder weil es ihr besonders gut geht. Selbst für mich als beste Freundin.

"Hey", begrüßt sie mich und zieht sich die Kopfhörer aus den Ohren, als ich an sie rantrete. Sie lächelt.

"Hi, Süße. Was wird das?", frage ich, und deute auf die Schüssel.

"Baklava."

Okay, irgendwas liegt im Argen. Baklava ist so ziemlich das Komplizierteste, was man machen kann, es dauert mehrere Stunden und erfordert volle Konzentration auf die Zubereitung und nichts sonst.

"Magst du mir erzählen, was war, als du dich gestern mit Dag getroffen hast. Pari reibt über ihre Unterarme und wendet sich wieder dem Teig zu.

"Wir haben uns schon wieder fast geküsst."

"Aber du hast es nicht zugelassen."

Sie braucht es nicht erst zu bestätigen. Ich weiß, dass es so war. Müde lasse ich mich auf einen Stuhl sinken.

"Ich halte das nicht mehr aus, Iara. Ich muss aufhören, ihn zu treffen."

"Wenn du fertig mit dem hier bist", sage ich und deute auf das Chaos, das sie in unserer Küche veranstaltet, "wirst du mir nur wieder in den Ohren damit liegen, wie gern du mit ihm ausgehst."

"Ich gehe nicht gern mit ihm aus, ich - Er  schafft es irgendwie, dass ich den Kopf mal freikriege."

"Und das sogar, ohne dass ihr miteinander schlafen müsst", konstatiere ich trocken und greife mir einen Apfel aus unserer Obstschale, von dem ich abbeiße. Pari rührt die Sirupmixtur um, die auf dem Herd köchelt. Der leckere Duft verteilt sich im Raum.

"Mit Tua und dir war es andersrum, richtig?", fragt sich und ich schlucke. Der Apfel kommt mir gleich wieder hoch. "Ihr habt miteinander geschlafen, bevor ihr ausgegangen seid, oder?"

"Das lief alles ziemlich parallel", erzähle ich und kann die Melancholie nicht raushalten aus meiner Stimme. "Wir haben einfach Zeit miteinander verbracht. Und das war nie komisch für mich, es hat sich gut angefühlt. Vertraut. Für ihn auch." Gegen Ende bricht meine Stimme leicht und ich beiße noch einmal kräftig in den Apfel. Kauen bewahrt mich davor, noch weiter zu reden.

Der Schimmer in den braunen Augen meiner Freundin ermattet und ihre Mundwinkel sinken nach unten.
"Hast du nie darüber nachgedacht, dass du ihm wehtun könntest?"

"Nein", erwidere ich wahrheitsgemäß. Damals hab ich nur daran gedacht, wie sehr er mir wehtun könnte, wenn er es drauf anlegt. Und gehofft und gebangt, er möge es nicht tun. Hat er dann auch eine ganze Weile nicht. So habe ich Vertrauen zu Tua aufgebaut. Wir haben nur gestritten über unseren Beziehungsstatus. Wegen all der Unklarheiten und der vielen Gefühle, die - für uns beide - irgendwie neu waren. "Ich bin dem nachgegangen, was ich wollte." So wie bei der Trennung jetzt auch.

"Woher hast du das gewusst?"

"Ich wusste nichts, ich habe nur gefühlt und mich dafür entschieden, das Risiko einzugehen."

"Und am Ende hat es sich gelohnt."

Mein Kopf ist einen Zentner schwer, als ich ihr mit einem Nicken antworte. Aber es stimmt. Es hat sich gelohnt. Ich bin glücklich geworden. Nicht dauerhaft, aber das kann wohl nie das Ziel sein, das habe ich nun endlich gelernt. Trotzdem: Ich habe so viele schöne wie schreckliche Erfahrungen gesammelt. Das meiste ist sowieso ein Kuddelmuddel aus unendlich vielen Widersprüchlichkeiten. Jede Versöhnung nach einem Streit hat mir alles bedeutet. Und so aufs Körperliche fixiert wie das auch klingen mag: Der Versöhnungssex mit ihm war jedes Mal einfach unglaublich. Gleichzeitig ist es natürlich auch so, dass ich die Schwankungen, die Highs und Lows unserer Beziehung, romantisiert habe. Weil es aufregend war, und ich hatte Lust auf diesen Wettlauf mit ihm, bis an meine äußersten Grenzen. Bis ich wirklich dagegengestoßen bin. Ich habe Berge versetzt, bin so viel weiter für und mit Tua gegangen als ich es je für möglich gehalten hätte. Aber manchmal macht dir das Leben einen Strich durch die Rechnung. Manchmal steckst du einfach in einer Scheiß-Phase. Manchmal ist es besser, sich zu trennen, ohne direkt sagen zu können, was danach kommt.

Ich mustere meine beste Freundin, die den Teig inzwischen ausgerollt und in eine Backform gelegt hat. Sie ist eine der schönstem Frauen, die ich kenne, wenn nicht die schönste, und es bricht mir das Herz zu wissen, dass sie im Spiegel nicht dasselbe sieht wie ich. Oder Mika. Dag sieht es auch, dass weiß ich mit Sicherheit.

So schön wird man nicht grundlos geboren. Ich glaube fest daran, dass Pari strahlen soll. Sie ist eine Augenweide für die ganze Welt, wenn sie es tut. Ich vermisse ihr Licht in dieser dunklen Zeit. Ich weiß, ich müsste ihr sagen, dass Tua und ich uns getrennt haben, aber ich bringe es nicht über mich. Sie ist wie die zappelnde Flamme eines Feuerzeugs an einem besonders windigen Tag. Ich will sie schützen, ihr Windschatten sein. Zwar ist sie erwachsen, und dennoch sie ist - fragil. Im Pari schlummert eine zähe Kämpferin, aber gerade ist dieser Anteil ihrer Persönlichkeit im Dornröschenschlaf versunken.

Mir ist nun klar, wieso ich die Beziehung mit Tua wollte und warum ich mich so lange mit ihm in dieser Form zusammen war. Es war mein Weg. Ich habe ihn beschritten und all meine Trugbilder und Illusionen sind zersplittert. Mein Freund war nicht der, den ich in ihm sehen wollte. Meine Beziehung war nicht wirklich das, was sie in meiner Vorstellung war. Ich kann nach all dem wieder realistischer aufs Leben schauen.

Aber Pari, die von Hause aus Pragmatikerin ist und aus so vielen Enttäuschungen geschlussfolgert hat, ihre romantische Ader wäre einer ihrer imaginären Makel - Sie ist ganz sicher nicht erpicht darauf, eine Bindung zu knüpfen, die ihr so unter die Haut geht, und dabei zu hören, dass sie sie vielleicht eines Tages doch lösen muss. Weil Umstände sich oft schneller wandeln als Menschen. Oder umgekehrt. Dann gehen wir durch unsere Entwicklungen, aber die Welt um uns herum scheint sich in einer Endlosschleife weiter nur um sich selbst zu drehen.

NovemberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt