Kapitel 10

1.5K 73 10
                                    

Der Schmerz, der entstand, wenn man überfahren wurde, war eigentlich gar nicht so schlimm, wie man es sich immer vorstellte. Es war nur ein Ruck, ein kurzes Stechen im Körper, dann fühlt man sich so, als würde man fallen und schließlich schweben. Schweben auf einer Wolke, auf der man nichts anderes tun kann als das Geschehen, in dem sich der Körper befindet, zu beobachten und sich zu fragen, wieso man dort unten liegt und gleichzeitig weit oben im Himmel ist, auf einer Wolke, von der man nicht mehr herunterkommt, egal wie sehr man es will.

Mein Blick war stets auf den Krankenwagen gerichtet, der meinen Körper in das Fahrzeug verfrachtete und den Ärzten wieder eine Arbeit vor die Nase legten. Sie sagten nicht viel, arbeiteten nur konzentriert und mit völliger Ruhe, während ich weg von dem Krankenwagen sah und zu einer Person blickte, die mutterseelen allein am Straßenrand stand und leise vor sich hin weinte. Es war Harry. Sein Anblick zerbrach mir fast das Herz, so traurig und zerstört, wie er wirkte, obwohl er ja seiner Meinung nach "single" und "nicht verliebt" war; bei dem Gedanken zerriss mein Herz nochmals in mehrere Teile.

"Wir können ihm nicht mehr helfen. Es tut mir leid.", sagte gerade ein Arzt zu Harry, der ihn mit riesigen Augen ansah, entsetzt den Kopf schüttelte und ungläubig ein paar Schritte zurück machte, als wolle er es nicht glauben. "N-Nein, das g-geht nicht!" Der Arzt seufzte, sah den Lockenkopf an und murmelte ein leises "Tut mir leid". Harry's Beine gaben nach und er fiel auf den Boden, aus seinen Augen liefen Sturzbäche und seinem Mund entwichen immer wieder laute, herzzerreißende Schluchzer. Ich wollte so gerne wiede in meinen Körper zurückkehren, doch so sehr ich versuchte, von der Wolke zu springen und wieder in ihn zu schlüfen - es ging nicht. Ich war gefangen im Reich der Toten, die leiden mussten unter der Trauer derer, die sie liebten; die mit ansehen mussten, wie diese langsam daran zerbrachen.

Ich merkte, wie ich zusammensank, meine Knie versanken in dem flauschigen Boden, ich schlug die Hände vor mein Gesicht und krümmte mich zusammen, während Harry dort unten auf der Straße lag, zusammengerollt wie eine Kugel, und ebenso weinte wie ich. Ich streckte meine zitternde Hand in seine Richtung, flüsterte mit gebrochener Stimme "Ich liebe dich, Harry." und legte mich genau wie er so hin, dass ich eine Kugel bildete. Ich liebte ihn; egal ob er seiner Meinung nach nicht verliebt und single war, egal was er jemals tun würde. Denn er hatte sich in meinem Herzen festgesetzt, und er würde dort so schnell auch nicht mehr verschwinden, so viel stand fest. Und das für immer.

You and I - LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt