|2. Kapitel|

1.3K 75 2
                                    

Voller Angst schlug ich die Augen auf und klammerte mich an das Bettlaken. Aber ich hetzte gar nicht durch die Straßen der Stadt oder durch die Korridore des Hauptquartiers der Ferox. Ich war bei den Amite und lag in einem Bett. Ich trug noch dieselben Kleidung wie am Vorabend - eine schwarze Jeans, ein schwarzes Top und eine schwarze Jacke, ebenso meine schwarzen Schuhe. Ich blickte auf den Stuhl, der neben meinem Bett stand und entdeckte ein gelbes Amite T-Shirt, also zog ich es mir über. Außerdem lag dort noch ein kleines Fläschchen, welches flüssigen Inhalt enthielt. Ich ließ es in meine Hosentasche gleiten und machte mich dann auf den Weg, um Tris zu suchen. Auf dem Weg zu den anderen Zimmern begegneten mit zwei Amite-Männer auf dem Flur. Ich hörte, wie sie sagten, dass sie in einer halben Stunde über uns entscheiden würden. Tris musste in unmittelbarer Nähe sein, also klopfte ich einfach an das Zimmer, welches neben meinem lag.

"Herein.", erleichtert atmete ich aus, als ich Tris Stimme hörte.

Ich machte die Tür auf.

"Hey.", begrüßte ich sie. "Die Amite treffen sich in einer halben Stunde.", ich zog die die Augenbrauen hoch und fügte mit einem Hauch von Drama in meiner Stimme hinzu: "Um über unser Schicksal zu entscheiden."

"Ich hätte nie gedacht, dass mein Schicksal einmal von ein paar Amite abhängen würde.", sagte Tris kopfschüttelnd.

Ich betrachtete, wie sie sich in ihrem Bett aufrichtete; ihre langen Haare hatte sie in einen unordentlichen Zopf geworfen. Ihre Augen waren glasig und mir fiel auf, dass sie insgesamt recht schwach wirkte.

"Ich auch nicht. Oh, ich habe dir etwas mitgebracht.", ich schraubte den Verschluss des kleinen Fläschchens auf - die Flüssigkeit war klar. "Schmerzmittel.", sagte ich.

Vielleicht bekämpfte es ja die Schwäche, indem es Tris neue Stärke gab.

"Danke. Woher hast du das?", fragte sie.

"Lag heute in meinem Zimmer, war bestimmt für dich gedacht.", antwortete ich. "Wie geht es dir?", fragte ich anschließend.

Wahrscheinlich kannte ich die Antwort schon. Es konnte ihr ohnehin nicht besser gehen als mir - vielleicht sogar hundert Mal schlechter.

"Ich...", sie schüttelte ein paar mal den Kopf. "Ich weiß nicht, Jess. Jedenfalls bin ich jetzt wach. Ich..."

"Ich weiß, tut mir leid, ich hätte nicht fragen sollen. Ich habe nachgedacht; Four kann eigentlich unmöglich von einem Sturz gestorben sein. Was, wenn er nur bewusstlos war?", meinte ich.

Tris riss kurz die Augen auf, doch dann schüttelte sie ihren Kopf und machte eine traurige Miene.

"Ich denke nicht. Möglich ist es, aber ich halte mich lieber daran, dass er tot ist. Sonst mache ich mir unnötige Hoffnungen und bin am Ende nur noch enttäuschter und verletzter.", antwortete sie.

Ich nickte. "Ich gehe, damit du dich in Ruhe fertig machen kannst."

Ich ging also zurück in mein Zimmer und stellte mich vor den Spiegel. Ich erblickte einen Körper, welcher vom Geist verlassen wirkte; eine Lichtgestalt voller Energie, die nur darauf wartete auszubrechen; meine kristallblauen Augen, die der Schlüssel zu meiner gebrochenen Seele waren. Die gesamte Situation brachte mich zum Verzweifeln. Das merkte ich allerdings erst jetzt. Ich war eine Unbestimmte, Tris war unbestimmt, Will war tot, Christina war verschwunden, Eric arbeitete für meine Mutter, Peter und Caleb waren bei uns. Jemand fehlte - abgesehen von Four fehlte jemand, der mich wieder zu dem Menschen machen konnte, der ich einst gewesen war. Damals war es Allec gewesen, doch nun wusste ich weder, wo er war noch was er war. Ich wusste lediglich, dass er die Ken gewählt hatte. Doch ob er die Initiation bestanden hatte, blieb weiterhin offen; geschweige denn, ob er überhaupt noch am Leben war. Und als ich mich im Spiegel so betrachtete, fragte ich mich das erste Mal, wo er war - mein Vater. Nichts. Keine Information, gar nichts. War er tot? Lebte er? War er Ken? Sicherlich war er das - natürlich war er Ken. Was sollte er sonst gewesen sein? Meine Mutter hätte sich niemals auf eine andere Fraktion eingelassen. Die Amite waren für sie zu schwach, die Ferox zu stark, die Candor zu offen, die Altruan hasste sie erst recht. Ich öffnete mir meine zusammengebundenen Haare und bürstete sie. Ich war zwar glücklich, nicht bei den Ken zu sein, aber auf der Flucht zu sein, gefiel mir auch nicht gerade.

SHATTERED REALITY - Insurgent (FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt