Eins

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Wir alle saßen vor dem Fernseher und starrten ihn gebannt an. Die Reportage über 'The Game' war fast vorüber. Als die Kamera dann auch über unseren kleinen Marktplatz schwenkte, zeigte sie die Verschiedenen kleinen Hütten, die provisorisch aufgestellt waren. Die große Menschenmenge tummelte sich vor den Hütten und zwischen den ganzen verschwitzen Körpern blitzten Neonfarbene Zettel hervor. Diese Zettel waren der Untergang für die einen und ein Vergnügen für die anderen, sie bestimmten die 'Highlights' des größten Ereignisses des Jahres. Sie bestimmten die Aufgaben, die raffiniertesten Fallen und letztendlich auch die Spieler.

Ich war heute Morgen selbst dort gewesen und hatte einen Zettel mit meinem Namen, eine Chance ins Spiel zu kommen, einem jungen Mann in einer der vielen Hütten gegeben. "Dieses Jahr gibt es noch mehr Ideen als in den letzten Jahren, und wir werden wieder so viele, wie nur möglich umsetzen! 'Game Ten' wird in die Geschichte eingehen, und das Volk ist völlig begeistert! Hier ist Sally Hansen, guten Tag!" beendete die Reporterin ihren Bericht und meine Mutter schaltete das Tv-Gerät aus.

Sie seufzte laut und sah uns an. "Wir müssen jetzt stark sein." Sagte sie leise, dabei war sie immer die traurigste. Wir haben uns mehr um sie gekümmert, als sie sich um uns, als es passierte. Ich sah traurig in die Runde. Meine Mutter blickte meinen Vater an, welcher ihre Hand nahm. Mein großer Bruder Jared sah mich an und nahm meine und die Hand meiner Mutter.

Ich blickte nach links und nahm die Hand meines Zwillingsbruders Jake, dieser lächelte mich matt an. Luis, der Älteste von uns Kindern stellte sich hin, da er vor der alten, abgewetzten Couch saß und nahm schwach die Hand meiner Mutter. Die stelle zwischen Jake und Luis blieb leer. Für eine lange Zeit sagte keiner etwas, eine ohrenbetäubende Stille herrschte. Ich war die erste, die diese Stille brach.

"Ich, ich habe meinen Zettel in die Spielerhütte gebracht." Murmelte ich leise, die Worte kamen mir nur schwer über die Lippen. Ich wusste auch ohne hinzusehen, dass Jake seinen Kopf senkte, da er sich schuldig fühlte weil er so etwas schon geahnt hatte. Aber ich hatte immer verneint, als er mich fragte, ob ich mich melden würde. Mein Vater würde meine Mutter an sich ziehen, weil ihr die Tränen in den Augen standen, die sie zu verbergen versuchte, indem sie nach oben sah.

Jared riss dann seine Augen panisch auf und zitterte, was ich allerdings nicht dachte, sondern an meiner Hand spürte. Luis würde mich wahrscheinlich unverwandt ansehen, ganz ohne Gefühle, doch in seinem Kopf herrschte Chaos, was man dann in seinen Augen sehen würde. Ich hob meinen Kopf, und ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, da ich völlig richtig lag mit meiner Vermutung.

"Das kannst du doch nicht machen, ohne uns ein Wort mitzuteilen Joel!" Er klang verletzt, und eine Spur Traurigkeit war zu hören. 

Ich war wütend, auch wenn ich anstelle meiner Familie auch so reagiert hätte. "Du! Ihr! Ihr hättet mich nie den Zettel abgeben lassen! Das ist der Grund warum ich euch nicht bescheid gegeben habe, Jared!" In der letzten Zeit waren alle gestresst gewesen, und jetzt ließ ich meinem Ärger Luft, jetzt konnte ich sagen, was mir auf dem Herzen lag.

"Ganz genau! Du bist unsere Schwester!" Knurrte Luis und trat einen Schritt auf mich zu. "Wir brauchen dich, deshalb hätten wir dich nicht gelassen!"

"Ach komm! Als ob du nicht wüsstest, dass wir das Geld nicht brauchen!" Ich presste meine Kiefer zusammen und sah mit einer anbahnenden Traurigkeit in die Runde, die ich bis jetzt mit meiner Wut unterdrücken konnte. "Ihr seid zu alt um Teilnehmer zu werden und Jake könnt ihr nicht entbehren. Dann bin ich wenigstens zu etwas gut." Den letzten Satz murmelte ich leise, da es mir ein wenig unangenehm war, so etwas zuzugeben.

Ich schloss meine Augen, atmete tief durch und befahl mir ruhig zu werden. "Nach der Sache mit Liz-" Ich sah zu der Lücke, die Luis und Jake gelassen hatten, "müssen wir auch mal nach vorne gucken" Ja, meine Schwester. Sie war die Vernünftige, hatte immer alles im Griff und brachte uns wieder nach vorne.

Überraschenderweise setzte sich meine Mutter für mich ein. Sie kam auf mich zu und drückte mich. Sie wusste, wie viel es mir bedeutete unserer Familie keine Last zu sein, sondern ihr zu helfen.

"Ich glaube an dich, Joel. Ich weiss, dass du dich richtig entschieden hast, denn ich weiss, wie selbstlos du bist. Aber im Spiel darfst du nicht selbstlos sein, Okay?" Sie nahm mich an den Schultern und sah mich an. Es war klar, dass ich dabei sein würde, ich würde perfekt in das Spiel passen. Meine herzzerreißende Hintergrundgeschichte würde Schwung in das spiel kriegen und einer eigentlich unbedeutenden Figur, einen Namen geben. Ich nickte langsam.

"Wenn ich Überhaupt ausgewählt werde. Aber ich werde ja Post kriegen, also kann ich mich die letzten Tage auch noch ein bisschen entspannen." Ich lächelte sie an, und nahm sie in den Arm und ignorierte alle anderen bewusst.

Jetzt meldete sich mein Zwillingsbruder leise. "Ich auch." Erst sah ich ihn fragend an, doch als ich verstand, breitete sich endloses Unverständnis aus.

"Nein. Nein, warum? Du hast doch Arbeit Jake, ich verstehe das nicht. Du bist so eine große Hilfe und willst alles aufgeben?" Ich löste mich aus dem Griff meiner Mutter und sah meinen Bruder entgeistert an.

"Ich dachte, ich könnte dadurch mehr helfen! Und du bist genauso wichtig, du bist unsere einzige Schwester, du weißt, dasss wir dich brauchen. Du bist genauso ein Teil unserer Familie wie ich." Er hob verzweifelt seine Arme.

"Du hast Arbeit und bist keine Last für unsere Familie, Jake! Aber ich hab keine Arbeit! Du hilfst uns, damit wir nicht wie elendige Ratten verhungern. Du hast eine Arbeit mit der du uns helfen kannst." Meine Trauer schwindete so schnell wie sie gekommen war und die Wut, die eich in den letzten Tagen mit mir herumtrug breitete sich wie in einem alten Zuhause aus. Ich drehte mich um und ging in unseren Schlafraum, der für sechs Leute eigentlich viel zu klein war. Leise, aber so, dass er es hören konnte murmelte ich "Weißt du was? Mach doch was du willst."

Ich legte mich auf die mottenzerfressene Matratze und versuchte meinen Puls zu beruhigen, ohne Erfolg. Selbst mit geschlossenen Augen und totenstille fand ich keine Ruhe, ich wälzte mich für gefühlte Stunden herum. Doch als ich endlich in den schlaf sank träumte ich von wilden Kämpfen und blutenden Körpern. Ich sah, wie ich panisch hin und her lief, mit einem Blutverschmiertem Messer. "Es tut mir leid! Es tut mir leid, das... Ich... Ich wollte das nicht, bitte verzeiht mir... Es tut mir leid..."

The Gamer (on hold)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt