Ich lief durch das grüne Dickicht, vorbei an Bäume und Gestrüpp und ich erreichte schließlich eine kleine Lichtung, inmitten des Waldes. Ann war schon da, und auch Cedric war schon auf der Lichtung und saß auf einem Umgefallenem Baumstamm.
Ich hatte ihn auf dem Marktplatz nicht wirklich wahrgenommen, doch momentan nahm ich sowieso alles nur benommen wahr. Ich lief auf Ann zu und schloss sie in eine Umarmung, ich wusste sie würde sich nicht melden, nicht freiwillig, dafür war sie viel zu wichtig für die Menschen hier, sie bedeutete Hoffnung für die Armen. Langsam, und sehr leise fing sie an zu weinen, doch ich fühlte mich emotionslos. Sie klammerte sich an mich, und ich hatte das Gefühl sie halten zu müssen. Irgendwann lies sie mich los und ich sie auch. Ich sah sie an, und wischte ihre Tränen weg.
"Hey, alles wird gut, Ann! Du gehörst vielleicht sogar zu den Offendern, dann hast du Vorteile! Du wirst das schaffen, da bin ich mir ganz sicher." Ich erwähnte nicht, dass ich höchstwahrscheinlich zu den Gamern gehörte. Ich hatte alle Charaktereigenschaften, die sie brauchten. Ich erwähnte nicht einmal, dass ich überhaupt mitmachte, denn sie hatte es bestimmt überhört, wie jeder von uns das jedes Jahr versuchte. Ich erwähnte nicht, dass ich Angst hatte, große Angst, obwohl ich mich sogar freiwillig gemeldet hatte. Ich erwähnte garnichts.
"Hast du es ihnen schon erzählt?" ertönte eine dunkle Stimme hinter mir. In der sonst so weichen Stimme klang Wut mit, ich könnte fast behaupten, es klang wie Hass.
Ich drehte mich abrupt um. "Hier geht es nicht um mich, sondern um Ann. Sie wurde gewählt, Wayn. Und das ist schrecklich genug." Er lachte verächtlich und funkelte mich an. Cedric sah mich fragend an, doch ich schüttelte den Kopf. Ann fiel auf die Knie, ich sog die Luft ein und kniete mich zu ihr. Sie hatte die Hände vor ihr Gesicht geschlagen und sagte nichts mehr. Cedric zog sie hoch, und nahm sie in die arme, Ann vergrub ihren Kopf in seinem verdreckten und kaputtem T-Shirt.
Wayn schnaubte. "Unsere liebe Joel hat sich gemeldet und wurde gewählt!" Er lachte laut, aber es war ein verzweifeltes Lachen, dann sah er mich wütend an. Ann riss sich von Cedric los und trat ein paar Schritte zurück und Cedric sah mir ungläubig in die Augen.
"St-stimmt das, Joel?" Cedrics Stimme war brüchig.
Ich sah auf den Boden, nicht um meine Tränen zu verbergen, sondern meine Emotionslosigkeit. Aber ich antwortete nicht.
"Ich hab dich was gefragt, verdammt!" Er schrie mich voller Verzweiflung an, und als ich nichts tat schüttelte er mich.
"Antworte mir! Warum machst du sowas, Warum Joel? Verdammt, warum?!" Cedric lies mich los, drehte sich um und schlug mit der Faust gegen einen Baum. Ich konnte sehen wie Blut an seiner Hand runterlief und auf den Boden tropfte. Ich erinnerte mich an meine Schwester, er auch. Jeder hier erinnerte sich an meine Schwester. Cedric hat ihr sehr nahe gestanden, und er wusste, wie es mir ging, nachdem sie- nachdem der Vorfall war.
Ich fühlte etwas. Aber es war keine Reue, es war Wut. "Warum? Du willst wissen warum!?" Alle sahen mich geschockt an, Cedric wollte etwas sagen, und auch Wayn trat einen Schritt auf mich zu und legte mir seine Hand auf meine Schulter. Doch ich schlug sie weg.
"Fass mich nicht an!" Er riss seine Augen auf und trat einen Schritt zurück. Ich war bis jetzt noch nie in meinem Leben wütend geworden, jedenfalls nicht so.
"Weil meine Familie kurz vor dem Sterben ist." Ich legte meinen Kopf nach hinten und lachte laut, es war, als ob bei mir eine Sicherung durchgebrannt wäre. Ich lachte voller Wut und wenn ich nicht gelacht hätte, hätte ich wahrscheinlich geschrien und wäre auf jemanden losgegangen. Aber dann war der Moment auch schon vorbei und ich beruhigte mich.
"Weil sie kurz vor dem Sterben ist." Sagte ich noch einmal. "Früher habt ihr meine Schwester ausgelacht, weil sie so dünn war. Ihr habt sie ausgelacht, weil sie wollte, dass ihr sie nicht mögt oder sie bemitleidet. Ich hab euch doch erzählt, dass sie so dünn und schön wie möglich für die Jungs sein wollte, oder? Nein. Sie hat nichts gegessen, damit wir etwas zu essen hatten. Sie aß höchstens einen kleinen Bissen von einem Brot, wenn sie fast am Abkratzen war. Sie wollte nicht, dass wenn sie starb oder wegging, sie jemand vermisste oder um sie trauerte. Da, jetzt habt ihr warum. Weil sie sich geopfert hat, und deshalb opfere ich mich auch." Ich spuckte ihnen die Wörter förmlich ins Gesicht.
Cedric schaute betreten zu Boden, er schien es auf irgendeine Art gewusst zu haben, und Wayn sah überall hin, nur nicht zu mir. Nur Ann, die bis jetzt kaum etwas gemacht hatte kam auf mich zu. Sie nahm mich in den Arm, und jetzt stützte sie mich, nicht andersherum.
"Es tut mir leid."
Und das war der schönste Satz den ich zu hören bekam. Ich errinerte mich an 'Game six'. Meine Schwester meldete sich auch freiwillig, und starb. Sie starb für uns, unsere Familie, sie ist eine kleine Heldin. Für alle war sie eine kleine Heldin, den dieser eine Vorfall ließ sich nicht aus den Köpfen der Menschen löschen. Und für uns und unsere Familie ist sie eine wirklich große Heldin.
Irgendwann lies sie mich los, ich setzte mich auf das weiche Graß und wir redeten über die Zeit, die wir hatten, als wäre sie für immer vorbei. Eigentlich war sie das auch, wenn man beachtete, dass kaum jemand überlebte. Ich versuchte es zu genießen, jedoch war ich in irgendeiner Weise trotzdem leer.
Irgendwann verabschiedete ich mich von allen und ging nach Hause. Ich hoffte, keinen antreffen zu müssen, aber als ich reinkam saß Jake auf dem Fußboden, der mit alten, knarzenden Dielen ausgelegt war. Vor ihm war die dunkelbraune Couch, und dort saßen meine anderen beiden Brüder drauf. Als ich eintrat sahen sie mich voller Trauer an, denn ich wusste, dass sie in mir auch Liz sahen, meine Schwester. Und jetzt würde ich auch gehen. Die drei sahen mich erwartungsvoll an, und ich ging mit langsamen Schritten auf sie zu. Als ich an der Couch ankam setzte ich mich nicht wie gewöhnlich zu Jake, sondern blieb stehen. Er wusste, dass er sich nicht hätte melden dürfen, wir wussten es alle.
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The Gamer (on hold)
Science FictionJoel Parker, ein Mädchen aus armer Familie meldet sich, um bei 'Game Ten' mitzumachen. Jeder weiss, dies bedeutet nie wieder ein normales Leben führen zu können, doch sie möchte ihrer Familie aus ihrer Geldnot helfen. Leider ist nicht das erste mal...