Zwei

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Die Sonne ging gerade über dem Horizont auf und ich war schon wach. Meine Albträume saßen mir noch tief in den Knochen und ich zitterte, wenn ich daran zurück dachte. Langsam tappte ich zur Haustür und schloss den Briefkasten auf, um zu gucken ob wir schon Post bekommen hatten, obwohl es sehr unwahrscheinlich war schon nach einem Tag Post zu bekommen.

Wie zu erwarten hatten wir keine bekommen und ein Seufzer entwich mir. Ich beschloss, mich fertig zu machen, und auf den Marktplatz zu gehen. Gerade öffnete ich die Tür, da rief Jemand meinen Namen und ich drehte mich um.

"Hey! Hey Joel! Warte!" Eine dunkle Stimme brachte mich zum stehen. Als ich hochsah und mit der Hand die Sonne abschirmte, sah ich, wie Wayn auf mich zu kam. Mit einer schwungvollen Bewegung hatte er mich in den Arm genommen, was meine Laune jedoch nicht wirklich bessern konnte. Dann sah er mich an, und wusste, dass etwas los war.

"Was ist los, Miesepeter? Na, hast du dich etwa gemeldet?" Er lachte über seine groteske Aussage, jedoch wusste er nicht, dass er damit direkt ins Schwarze traf. Wir wollten nie mitmachen und hatten mehr oder weniger notgedrungen zugesehen. Aber unser Geld war wirklich knapp, wir hatten nicht einmal eine funktionierende Küche, ganz zu schweigen von einem Kühlschrank. Das einzig annährend Teure, was wir hatten, war der alte Fernseher, welcher früher als modern bezeichnet wurde. Doch sogar den bekamen wir von der Stadt gespendet. Es sollte doch jeder 'The Game' mitverfolgen können.

"Ja, ich habe mich gemeldet." Sagte ich nüchtern. Sein Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig und er trat einen Schritt auf mich zu.

"Hatten wir uns nicht sogar fast schon versprochen, da nicht mitzumachen oder täusche ich mich?Joel, und trotzdem hast du dich gemeldet?" Er runzelte die Stirn, ich nickte bedauernd und blickte zu Boden. Er nahm einen tiefen Atemzug, als würde er mir noch etwas entgegnen wollen, aber dann drehte er sich einfach um und ging.

Ich könnte mich nicht bewegen, starrte ihm einfach nur hinterher, mit dem Wissen, dass ich etwas angerichtet hatte, was nie wieder rückgängig gemacht werden konnte. Diese absurde Szene, die sich mir bot, schuf ein Stück Leere in mir, welches ich nicht beschreiben konnte.

▲▲▲

Als ich den Marktplatz erreichte, hatte ich mich nicht erholt. Ich wollte lediglich meine wahrscheinlich letzten Tage dafür nutzen, mich in irgendeiner Weise zu verabschieden.  Die Sonne schien unbarmherzig auf die Menschenmasse, welche den ganzen Marktplatz bedeckte. Es war sehr schwül, und langsam bemerkte ich, wie sich kleine Schweißtropfen auf meiner Nase bildeten.. Ich quetschte mich zwischen den verschwitzten Körpern durch und bekam dafür ein paar Ellenbogen in meinen Bauch gerammt. Als ich an einer der Hütten ankam, blickte ich auf die Bildwand, die an der Seite der Hütten angebracht war.

Bildwände waren so etwas wie Flachbildfernseher, jedoch erstreckten sie sich über die ganze Wand. Selbst diese waren sehr alt, denn jetzt hatten irgendwelche Wissenschaftler das 6D-System entwickelt. Man setzte einfach eine spezielle Brille auf, und schaltete eine kleine Box, die in der Mitte des Zimmers stand an. Dann wurde man in die Szene reinversetzt, man konnte sich sogar frei bewegen, und alles spüren und fühlen, da überall Thermometer und sonstiges angebracht waren. Allerdings war man auch hier eingeschränkt, denn das, was die Kamera nicht eingefangen hatte konnte man auch nicht sehen. Und wenn die Temperatur nicht gemessen wurde, oder auf eine bestimmte Temperatur eingestellt wurde, dann fiel sie automatisch auf 20 Grad. Es gab noch viel mehr Bedingungen, doch es waren zu viele um sie Aufzuzählen. Aber es war verständlich, dass nur die wirklich reichen Menschen sich so etwas leisten konnten.

Als mein Blick sich auf die Wand vor mir richtete, konnte ich die besten Szenen des letzten Spiels sehen, und mir wurde übel.

Aufgabe 26:
Ihr sollt Gruppe 46 Zwei Flaschen Wasser stehlen, ein Festessen würde euch guttun. Wenn jemand dabei stirbt, gilt die Aufgabe als verloren. Danach werdet ihr den Standort von Mia bekommen! Es bleibt euch überlassen, ob ihr es macht.
Einmal The Game, immer The Game.

Das war eine wirklich leichte Aufgabe gewesen, im Gegensatz zu den anderen, die erschienen sind. Die fünf Jungen und Mädchen sahen sich dennoch geschockt an. Einer holte eine Karte hervor, und an einer Stelle fing es an, rot zu blinken. Die Leute besprachen sich, dann gab es einen Cut.

Jetzt sah man, wie ein Junge den Vier restlichen durch ein Handzeichen befahl auseinander zu gehen. Sie umkreisten das Lager von der Gruppe 46. Sie wussten, dass das eine Gruppe von Offendern war, und dass diese ein Waffen hatten. Ein Mädchen lief direkt am Lager vorbei und zwei der Gruppe schossen hoch und liefen ihr hinterher. Danach stürmten drei auf das Lager zu und irgendwie schafften sie es, sich zwei Wasserflaschen zu nehmen und versuchten, zu verschwinden.

Allerdings waren in der Zeit auch die restlichen Vier der Offender losgesprintet und rannten hinterher. Dann kam das letzte Gruppenmitglied, ein Mädchen langsam zum Lager getrottet, nahm sich einen Rucksack und packte gemütlich so viel sie konnte ein.

Ich drehte mich weg, da ich wusste, dass bei dieser Aufgabe zwei Jungen gestorben waren. Leider hatte ich jeden Tod mitverfolgen müssen, doch dafür hatten meine Freunde und ich für jedes Opfer ein Kreuz in die Wiese am Markt gehämmert. Plötzlich ertönte eine laute, dunkle Stimme und alles wurde still.

"Die Spieler dieser Stadt sind gewählt. Shawn Hampter, Jane Waters, Joel Parker..." Ich war dabei. Und Jake nicht. Ein komisches Gefühl breitete sich in mir aus. Ich wollte ins Spiel, aber irgendwie empfand ich kein Glück. Ich empfand nur Erleichterung, dass Jake nicht gewählt wurde.

"Julius Drews, Mike Lawyers und Ann Warn. Danke, für die Aufmerksamkeit."
Ann. Die kleine, zierliche Ann. Die Ann, die jede Woche Kleider Nähte, um sie an Hilfesuchende zu verteilen. Die Ann, die Tag und Nacht arbeitete. Diese Ann, würde jetzt ihr Ende sehen.

Plötzlich wurde alles still, und das einzige was ich hörte war ein leises Schluchzen, welches immer lauter wurde. Anscheinend ging es nicht nur mir so schlecht. Ich sah nach links und sah, wie ein Mädchen von vielleicht vierzehn Jahren am Boden kniete, doch das Schluchzen kam nicht von ihr. Das Schluchzen kam von einem kleinen Jungen, der sie umarmte. Er war wahrscheinlich ihr Bruder, denn die beiden sahen sich sehr ähnlich. Leise, ich konnte kaum etwas hören, obwohl ich in der Nähe stand, flüsterte der Junge seiner Schwester etwas zu.

"Bitte pass auf dich auf, Mama ist weg, Papa ist weg und jetzt gehst du auch noch weg..."

"Hey, mein kleiner Superheld! Ich komme wieder, gehst du so lange zu den Nachbarn? Machst du das für mich? Ich bin doch auch eine Superheldin, und Superhelden sterben nicht!" Sie hob ihre linke Hand, ein kleiner Metalldraht war an ihrem Zeigefinger befestigt. Auch der kleine Junge hob seine linke Hand, und wie das Mädchen vor ihm hatte er einen kleinen Ring aus Metalldraht an seiner Hand. Sie umarmte ihn ganz schnell und ich sah, wie eine kleine Träne ihre Wange hinunterlief. Sofort wischte sie diese energisch weg, sodass ihr Bruder nicht sehen musste, wie verzweifelt sie war.

Ich fühlte mich wie ein Eindringling in ihrer kleinen Welt und drehte mich weg. Danach ließ ich meinen Blick über die Menge schweifen, die einen schützenden Kreis um die beiden gebildet hatte. Die meisten sahen die Szene voller Mitleid an, doch die beiden waren ganz in ihrer Welt versunken.

Dann erblickte ich Ann, welche mich von etwas weiter weg ansah. Ich könnte jedes einzelne Detail ihres Gesichtes sehen, obwohl ich dafür eigentlich viel zu weit weg war. Das starren ihrer glasigen Augen und ihren strengen Gesichtsausdruck ließ mich nicht los.

Sie lief los, und mir schien, als würde ich erst nach langer Zeit aus meiner Starre erwachen. Langsam konnte ich mich wieder orientieren und ich lief ihr hinterher.

The Gamer (on hold)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt