Kapitel 4

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Wir werden von jeder erdenklichen Seite angerempelt. Eine sichtlich überforderte Mutter zerrt gerade ihr kleines, schreiendes Kind hinter sich her. Sein Kopf ist rot angelaufen und man sieht wie es versucht so zu tun, als sei es am heulen. Sass und ich sehen uns an und denken beide das selbe. Wenn das mein Kind wäre…

Wir quetschen uns an den Menschen vorbei, bis wir endlich die größte Menge hinter uns lassen und wir nach einem freien Platz Ausschau halten können.. Ich schaue mich um, suche. Saskia zieht neben mir an meinem Ärmel. Sie zeigt mit ausgestrecktem Arm irgendwo hin. Ich folge ihrem Arm, und mein Blick landet bei einem Steg, direkt an der Themse. Ein Wunder, dass noch niemand anders diesen Ort fand. Zügig schritten wir an den Leuten vorbei um ja nicht zu spät zu kommen. “Entschuldigen Sie,” murmle ich, als sich eine Frau vor uns stellt. Die Fremde macht keine Anstalten, sich zu bewegen. Also schaue ich auf. Cecilia sieht mir direkt in die Augen, von Freundlichkeit keine Spur. “Wen haben wir denn hier? Unsere kleine, eifersüchtige-“ “…wie immer nervige Cecilia Mârti.”, beende ich ihren Satz und lächle sie übertrieben an. Sie wirft mir einen verspottenden Blick zu, doch in ihren winzigen verlogenen Augen sehe ich ihre Verärgerung darüber, dass ich so schlagfertig bin. “Ist das diese Kuh..?”, flüstert mir Sass zu und sieht aus ihren Augenwinkeln Cecilia an. Ich nicke bloß. Cecilia öffnet ihren Mund, wobei ihre perfekten Zähne zum Vorschein kommen, und tatsächlich kommen Wörter aus ihrem Mund:”Wie schön, dich anzutreffen! Tut mir leid wegen neulich. Das mit Dave und mir, rein geschäftlich. Du verstehst?” Ich mustere sie von oben bis unten. “Schon klar,”,sage ich so locker es geht, als würde es mich gar nicht interessieren,”nur geschäftlich. Lässt du uns jetzt bitte mal durch? Danke.” Ich  greife nach Saskias Hand und wir wenden uns von Cecilia ab. Ich höre, wie sie noch etwas sagt. Doch ich ignoriere es und laufe stur auf den ursprünglichen Platz zu. Sass setzt sich ab und beißt in ihr monströses Sandwich. “Jetzt versteh ich dich. In live ist das Biest ja noch schlimmer, als in meinen Vorstellungen.”, schmatzt sie und sieht mich erwartungsvoll aus ihren runden Augen an. Pamela Anderson Barbie ist in diesem ganzen Getümmel nicht mehr zu sehen. Hoffentlich hat sie sich aus dem Staub gemacht. Seufzend setze ich mich neben Saskia runter auf den kalten Boden. Ohne ihr eine Antwort zu geben ziehe ich mein Mittagessen aus meiner Handtasche und beiße rein.

Mmmh lecker. Ein frisch belegtes Brötchen mit Tomaten, Rohschinken und Mozzarella. Ich liebe die Person, die diese Kombination erfunden hat! Ich lausche dem fließenden Wasser der Themse. Es ist einfach wunderschön hier zu sitzen mit der einzigen Person, deren man blind vertrauen kann und die einem in meiner momentanen Situation versteht. Es fährt gleich ein kleines Ruderboot an uns vorbei, in dem ein bestimmt über siebzigjähriges Ehepaar es sich gemütlich gemacht hat. An der nächsten gemütlichen Ecke sitzt eine Mutter mit ihren zwei kleinen Kindern glücklich und zufrieden. Alle sehen so glücklich aus, auch wenn sie es manchmal vielleicht gar nicht sind. Weshalb kann ich das denn nur nicht? ,,Tara? Träumst du?’’ fragt mich Sass und schaut mich mit einem verwunderten Blick an. ,,Sorry, ja. Ich beobachte nur wieder Leute. So wie immer.’’, antworte ich ihr mit etwas trauriger Stimme. Nun herrscht eisige Stille. So kenne ich Saskia ja überhaupt nicht. ,,Sass, bedrückt dich was?’’ frage ich sie und hoffe auf eine positive Antwort. ,,Nein, nein. Ich bin nur so aufgeregt wegen Afrika. Du weißt ja, dass ich nicht so viel Reise.’’ Ich nicke ihr aufmunternd zu und dann ist das Thema aber auch wieder erledigt. Ich verstehe Saskia, da sie wirklich erst einmal so richtig weit weg von England war. Nämlich als sie mit ihrer Familie vor gut zehn Jahren von Melbourne nach London zog. Eigentlich verstehe ich ihre Eltern nicht so ganz. Warum zogen sie von Australien nach England? Vom schönen sonnigen, ins trübe, verregnete. Aber natürlich bin ich froh, sind sie hier her gezogen. Sonst hätte ich Sass ja gar nicht kennen gelernt. Wenn ich sie nicht hätte… ja, was wäre dann? Vermutlich wäre ich dann schon längst wieder in Afrika. Ich rücke näher an sie heran und kuschle mich an sie. Die mittlerweile warme Mittagssonne strahlt auf uns hinab. Am liebsten würde ich die Zeit stoppen. Für immer genau diesen Moment genießen. Saskia legt ihren Kopf an meine Schulter, wobei ihre Locken ihr ins Gesicht fallen. “Tara. Bedrückt dich denn etwas?”, fragt sie und starrt auf die Spiegelungen des Flusses. Ich weiß zwar nicht warum, aber irgendwas in mir wird leichter. Vermutlich brauche ich einfach jemanden, um mir meine Sorgen vom Herzen zu reden. “Ganz ehrlich? Alles?”, frage ich sicherheitshalber nach. Sehen kann ich es nicht, doch ich weiß, dass sie gerade ihre Augen verdreht. Ja. Ich beginne, und lasse alles aus mir heraus fließen:”Zwischen mir und Dave gibt es Probleme. Ich habe den Verdacht, er hat was mit Cecilia. Genau, diese Cecilia. Aber ich weiß es nicht. Wenn ich es doch nur aus Sicherheit sagen könnte! Sie trafen sich gestern früh zu einem angeblichen Geschäftsessen. An einem Sonntag! Er behauptete, als er sich auf den Weg machte, es sei ein Notfall geschehen. Bedeutet Notfall von nun an, sich mit der größten Tusse auf Erden zu verabreden und heimlich rum zu machen? Und dann sah ich gestern, als ich ihm nach gehen wollte, einen Bericht in der Zeitung. Rate mal, was da stand. Er übernimmt die PR Firma seiner Eltern! Und er hat kein Sterbenswörtchen darüber verloren! Und dann muss ich ihm noch von Afrika erzählen… er weiß ja schon, dass ich vor habe, zu gehen. Aber nicht so bald. Dann hat er mir auch noch fast einen Heiratsantrag gemacht. Scheisse, Sass... am liebsten würde ich mit dir hier und jetzt abhauen.” Ich breche innerlich zusammen.

Torn - Zwei Welten, Zwei LiebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt