2. Wo ich bin, ist Lila

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POV Luna
„Steeeeeeeeeeeeeeeeveee? Ick leih mir – och nee!" Nich schon wieder Berlinern! Steve streckt den Kopf zur Tür rein und fragt genervt: „Luna, WAS leihst du dir?" Ich ziehe das T-Shirt aus dem Schrank und halte es hoch. Steve seufzt. Irgendwas vor sich hin brabbelnd winkt er ab, dreht sich um und verlässt das Zimmer. Triumphierend ziehe ich das gelbe Pikachu-Shirt über und renne dann in die Küche. Jako sitzt am Tisch, Felix steht vor dem geöffneten Kühlschrank, Marti wartet ungeduldig. Ich schnappe mir meine Jacke vom Stuhl und verabschiede mich schnell von jedem den ich finden kann. Dann rase ich die Stufen runter – mittlerweile ist Marti zum Auto gelaufen. Als er mich kommen sieht, startet er den Motor, und als ich gerade eingestiegen bin, fährt er auch schon los. Ich hebe tadelnd den Zeigefinger und sage: „Herr Fischer, hier sind Kinder in Ihrem Fahrzeug! Warten Sie, bis das Kind sitzt und angeschnallt ist!"
Marti zieht die Stirn kraus und antwortet: „Luna, du kommst zu spät zur Schule, das ist auch nicht besser!" Ui. Schlecht gelaunt. Kommt nicht oft vor, aber wenn, dann richtig. Ich ziehe einen Flunsch und schnalle mich an. Als wir vor der Schule halten, steige ich ganz schnell aus – wenn jemand mich mit Marti aka theclavinover sieht, hab ich gleich ganz viele tolle neue ‚Freunde' am Hals. Da freu ich mich drauf!
Ich winke kurz. Als ich mich umdrehe, steht plötzlich Maike vor mir. Maike ist meine beste Freundin. Nein – Maike ist eine meiner besten Freundinnen. Wir sind vier: Maike, Jule, Ale und ich. Micky umarmt mich und wir gehen in Richtung Schulgebäude. Dieses ist ziemlich hässlich – vor zig Jahren mal in Türkis und Gelb gestrichen, und unsere Sporthalle – na ja, die ist halt keine Sporthalle mehr. Vor vier Wochen abgefackelt. Das Gerüst steht noch und sieht verdammt gespenstisch aus.
„Jule!", rufe ich, als ich meine blonde beste Freundin auf dem Hof entdecke. Sie steht bei den coolen Jungs, die eigentlich nur Assis sind. Sie dreht sich um, lässt ihren Blick suchend über die Menschenmenge wandern und findet mich schließlich. Ich winke wieder, diesmal jedoch weit ausholend, sodass ich meinem Nebenmann die Brille von der Nase haue. „Oh Mist, sorry! Das war so nich geplant...", entschuldige ich mich. Dann erst sehe ich, wen ich da geschlagen habe: Es ist Mattis. Mattis geht in die Neunte. Mattis hat grüne Augen. Mattis heißt mit Nachnamen Bork. Mattis ist blond. Mattis hat eine Zwillingsschwester. Mattis und seine Schwester wohnen bei ihrer Mutter, die Eltern sind getrennt. Mattis hat am 2. Dezember Geburtstag. Mattis hat Grübchen wenn er lacht oder grinst. Jetzt hat er Grübchen. Mattis hat eine tolle Stimme. Fuck! Mattis hat irgendwas gesagt! Ich löse mich aus meiner Starre und frage verwirrt: „Was? Äh... sorry. Könntest du wiederholen... was du grade gesagt hast?" Mattis grinst. Oh... so ein schönes Grinsen... Halt! Was sagt er? „Ach, kein Problem. War ja nur die Sonnenbrille." Er bückt sich und hebt sie auf. Dann meint er: „Man sieht sich," und geht.
Jule wedelt mit der Hand vor meinem Gesicht herum. „Erde an Luna? Bist du zuhause?!" Ich fahre herum. „Oh Gott, WAS habe ich gesagt?! Hab ich irgendwas total Dämliches gesagt?" Jule zuckt die Schultern. Micky meint: „Nichts Dämlicheres als sonst. Aber du hast gesabbert." Ich fasse mir an den Mund, woraufhin meine Mädels anfangen zu lachen. Ich verdrehe die Augen und gehe los in Richtung Klassenzimmer.

„Hey, warte!", ruft jemand. Es ist Ale. Ich bleibe stehen, drehe mich dann abrupt um und rufe laut: „Ale! Oh, meine geliebte Ale! Du bist gekommen, um mir beizustehen!" Ale breitet die Arme aus und antwortet genauso theatralisch: „ Ja, meine holde Maid, oh Luna! Ich werde dir zur Seite stehen, in guten..." - „...wie in schlechten Zeiten!", beende ich ihren Satz und ziehe sie lachend in einer Umarmung.

Zu viert betreten wir das Schulhaus. Es stinkt. Es ist ziemlich dreckig. Es ist unsere Schule in Berlin! Was erwartet man? Wir laufen durch die Gänge. Die bunten Schließfächer sind erst vor einigen Wochen gekauft worden, doch sie sind jetzt schon verdreckt, besprüht und bemalt. Aber das ist auch egal. Fakt ist, dass mein Schließfach nur ein Fach entfernt von Mattis' ist!

Als wir knappe fünf Stunden später wieder in die Sonne treten, muss ich mich erst einmal strecken, gähnen und blinzeln. „Montage sind furchtbar", murmele ich. Micky nickt und Ale gähnt zustimmend. Nur Jule brummelt vor sich hin: „Wenn ihr alle drei auch nur nachts lebt! Tagsüber ist mit euch nix anzufangen, aber nachts dreht ihr voll auf ne? Unfair!" Jule regt sich nur aus einem Grund so auf: Sie schläft unglaublich gerne und das tut sie auch viel. SEHR viel. Aber egal. Ale hat mittlerweile irgendwas gefragt, und da Micky bejaht hat, tue ich dies auch. Ale sieht Jule fragend an und auch diese nickt. Sobald Ale sich wieder mit Maike unterhält, flüstere ich Jule zu: „Was war die Frage?!" Diese verdreht genervt die Augen, antwortet mir erstaunlicherweise aber. „Ob wir noch schnell zu Avanti gehen!"-„Achso", grinse ich. Sehr gut. Leckeres italienisches Eis. Dann fällt mir was ein. Bin ja heute mit der UWG verabredet! Im Moment penn ich bei denen, weil mein Onkel auf einer Geschäftsreise in Schweden ist. Ich wollte eigentlich mit – ich liebe Schweden!- aber ich durfte nicht, wegen Schule. Ich gebe mir selber einen Facepalm und entschuldige mich bei meinen Freundinnen. Als alle mich verabschiedet haben renne ich los, um meine U-Bahn noch zu erwischen.

In der UWG angekommen, höre ich aus Jakos Zimmer die Klänge von ‚Risen to a flood'. Aha, sie nehmen die Roomsession für Sonntag auf. Sehr ungewöhnlich – es ist doch erst Montag?! Leise lege ich meine Sachen ab und schleiche dann auf Zehenspitzen durch den Flur. Ich lausche an der Tür und warte, bis die Endcard fertig gedreht ist, dann trete ich mit einem lauten „Hiiiiiiiiiiiiiiiiiii!" ein. Fewjar und Andre begrüßen mich. Da steht eine Frau mit Camcorder und roten Haaren im Raum. Ich gehe zu ihr und stelle mich vor. „Hi, ich bin Luna!" Sie drückt meine Hand und sagt: „Ich bin Sina. Dann lernen wir uns wohl endlich mal in Reallife kennen!" Sie hat ein nettes Grinsen und eine superlustige Lache. Ich glaub, die ist cool.

„Also los, Nudelsuppe. Wir haben dein Zimmer ausgeräumt und alles abgeklebt, jetzt muss nur noch Farbe an die Wände!" Wir wollen mein, beziehungsweise Lauras altes, Zimmer heute streichen. Laura wohnt seit circa drei Wochen bei ihrem Freund. Und da ich sowieso den größten Teil meiner Freizeit (und auch den Rest meiner Zeit) in der UWG verbringe, bekomme ich das Zimmer jetzt.

Zwei Stunden, einen dreivierteleimer graue Farbe mit dem Namen ‚coffee 12' und viele Lacher später stehen Jako, Felix, Steve und ich in meinem neuen Zimmer. Jako begutachtet kritisch die Wand vor ihm. „Luna, findest du das nicht sehr lila?" Ich sitze in der anderen Ecke des Zimmers und drehe nun den Kopf zur Wand hinter mir. „Nö", meine ich, „ich finds sehr grau." Felix steht an der Tür und muss auch seinen Senf dazu geben. „ Also, ich finde ja, es hat einen ziemlichen Blaustich." Steve schüttelt einfach nur den Kopf und verschwindet – er hat wahrscheinlich mehr Farbe abbekommen als die Wände. Jako dreht sich zu mir. „Also, wo ICH bin, ist lila!", ruft er und verlässt den Raum.

Wo ich bin ist Lila !Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt