Prolog

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Rot floss der billige Wein über den Linoleumboden, rot klebte Blut an den Scherben der zerbrochenen Flasche, die gerade noch ganz gewesen war. Luises Welt war schon lange nicht mehr heile. Jetzt war das Fass übergelaufen. Sie konnte nicht mehr weiter. Irgendetwas musste sich ändern, doch alles stand schon festgeschrieben. Alles war in Stein gemeißelt und das war leider keine Illusion, sondern Tatsache. Luise konnte nicht alles hinschmeißen. Das war nicht der Plan, wenn auch die einzige Lösung. Also räumte sie das Regal aus und schmiss Flaschen. Wo war der Wendepunkt gewesen? Wann war ihr Leben so elend geworden? Wo hätte sie es ändern können, aufhalten können? Es hatte doch nahezu perfekt angefangen. Perfekt, ja. Nur ein Moment der Unachtsamkeit, und diese Vollkommenheit, diese zerbrechliche Blase war geplatzt. Dieser Moment hatte zu vielen anderen Momenten geführt. Luise hätte vorsichtiger sein sollen. Es war zu spät zum Umkehren. Sie hatte den falschen Weg gewählt, doch den müsste sie bis zum Ende gehen. Aufgeben war keine Möglichkeit. Sie zog einen Stuhl vom Tisch weg und setzte sich ans Fenster. Bald würde sie die Fassung wiederfinden, sie hatte keine andere Wahl. Der Ärmel ihrer Bluse wischte einmal unter ihrer Nase entlang, bevor sie sich besinnte und ein Taschentuch zückte, um manierlich die Tränen aufzuwischen. Emotionale Ausbrüche gehörten nicht zu Luises Tagesplan und sie bekam Kopfschmerzen davon. Sie ging ins Schlafzimmer, holte eine Schmerztablette aus dem Medizinschränkchen und spülte diese mit einem Glas kalkigem Leitungswasser runter. Dann nahm sie Handfeger und Kehrblech zur Hand, um das Chaos, das sie erschaffen hatte, zu beseitigen, bevor Lothar nach Hause käme.


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