5. Flugangst

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Langsam machte er sich wirklich Sorgen um seinen Teamkollegen, denn eigentlich war er immer pünktlich, doch heute ließ er lange auf sich warten. Als habe sein Freund seine Gedanken gehört, betrat er nur wenige Augenblicke später das Flugzeug. Allerdings war unverkennbar, dass ihm die lockere Art fehlte und vor allem das offene Lächeln, mit dem er sonst unterwegs war.
"Hey," begrüßte er ihn kurz gebunden, setzte sich neben ihn und schnallte sich an. Anders als sonst suchte Sergio aber nicht direkt Blickkontakt, sah ihn nur flüchtig an. Dann stützte er den Ellenbogen auf die Armlehne und massierte sich die Schläfe, als habe er Kopfschmerzen. Er überlegte einen Moment. Es war nicht wirklich seine Art, Menschen so direkt anzusprechen, aber bei Sergio war es etwas anderes. Er wusste zwar nicht so richtig, was er sagen sollte, aber es interessierte ihn schon, warum sein Freund so elend aussah.
"Schlecht geschlafen?," fragte er also und amüsierte sich innerlich über den verwunderten Blick, den er daraufhin zugeworfen bekam. Sein Partner hatte ihn augenscheinlich schon wieder vergessen, während er in seinen Gedanken versunken war.
Es dauerte einen Augenblick, bis der Jüngere ihm eine Antwort geben konnte. "Nein, das ist es nicht." Er konnte sehen, wie es hinter Sergios Stirn zu arbeiten begann. Vielleicht war die Frage doch ein bisschen zu direkt gewesen, aber...
"Krank?," immerhin war das seinem Anblick gar nicht so abwegig. Das konnten sie jetzt eigentlich überhaupt nicht gebrauchen. Eigentlich wollten sie ihre frei Woche zusammen in Sergios Heimatland genießen.
Sergio schüttelte den Kopf, verzog das Gesicht und erst jetzt bemerkte er, dass die Hände des Jüngeren leicht zitterten. Er sah gar nicht gut aus.
"Ich fliege nicht gerne," offenbarte Sergio schließlich. Das kam überraschend. Er bemerkte, wie er erstaunt die Augenbrauen hochzog. Er hatte mit vielen gerechnet, aber gewiss nicht damit, dass Sergio ein Problem mit dem Fliegen hatte. In ihren Job blieb ihnen doch gar nichts anderes übrig.
"Du hast Flugangst?," kam es ihm doch noch reichlich perplex über die Lippen. Ging das in ihrem Business überhaupt? So richtig konnte er sich das nicht vorstellen.
"Nein, ich habe Angst, dass wir abstürzen," korrigierte Sergio ein klein wenig gereizt, was sicherlich seiner Anspannung geschuldet war. Es war jetzt ganz bestimmt nicht nett, zu lachen, aber ein klitzekleines Schmunzeln konnte er einfach nicht verhindern. So hatte er den Mexikaner noch nie erlebt. Er wirkte auf einmal so konfus, die ganze Freude und Unbefangenheit, die er sonst ausstrahlte war dahin.
"Kannst du mir mal verraten, was so lustig ist?," wollte der Jüngere plötzlich wissen, als er das dezente Schmunzeln auf seinem Gesicht bemerkt hatte.
Er bemühte sich wirklich, wieder ernst zu werden, aber es war schwer. "Welcher Mensch sagt denn bitte Absturzangst?," entgegnete er und nachdem er es ausgesprochen hatte, klang es irgendwie noch unsinniger, als in seinen Gedanken.
Das entlockte sogar Sergio ein minimales Lächeln. "Ich sage das, weil es so heißen sollte, und nicht Flugangst." Gut, wenn sein Freund das meinte, dann wollte er ihm da auch gar nicht widersprechen.
Er presste seine Lippen aufeinander, um nicht Gefahr zu laufen, ihn doch wieder damit aufzuziehen, stellte stattdessen etwas anderes fest: "Du guckst, als würdest du dich betrinken wollen." Vielleicht war das ein bisschen direkt, aber es war schon auffällig. Sergio hatte den Kopf aufgestützt, sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an. "Oh du glaubst ja nicht, wie sehr..." Und das klang schon ziemlich verzweifelt.
Es blieb eine Weile still zwischen ihnen. Sergio rang immer wieder die Hände, atmete bewusst tief ein und aus, um seine innere Panik niederzukämpfen. Es ließ ihn ganz und gar unberührt, dass der Jüngere diese Angst hatte. Er hatte noch nie jemanden erlebt, der sich vor etwas derart fürchtete.
Er beobachtete Sergio nervöse Finger, bis sie sich schließlich so fest um die Armlehne schlossen, dass die Haut, die sich über seine Knöchel spannte, ganz weiß wurde. Er konnte sich das ganze langsam nicht mehr mit ansehen, also griff er bestimmt nach der Hand des Jüngeren. Sein Freund warf ihn einen dankbaren Blick zu.
Der Start war ein richtiger Kampf für den Mexikaner und es tat ihm unglaublich weh, seinen Freund so zu sehen.
Als sie dann jedoch auf Flughöhe waren, entspannte Sergio sich wieder einigermaßen. Erschöpft lehnte er sich gegen ihn und nuschelte ein gerade so verständliches "Danke". "Du musst dich doch dafür nicht bedanken. Ich bin dein Freund, da ist es doch selbstverständlich, dass ich mich um dich kümmre," stellte er ruhig klar und drückte ihm einen Kuss auf den Kopf. Mit der Zeit wurde Sergio immer ruhiger und kuschelte sich an Nico. Trotzdem konnte der Deutsche sich eine Stichelei nicht verkneifen.
"Weißt du, wenn das Flugzeug jetzt abstürzt, dann wäre das ganz schlecht für die Konstrukteurs-WM," brach er die Stille. "Ich hasse dich!"

Formel 1 One Shots (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt