9. Blaue Flecken

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"Bitte hör auf," wimmerte ich, meine Hände schützend an meinem Kopf. "Ich versteh nicht, wie du so eine Memme sein kannst. Nie und nimmer bist du mein Sohn!," schrie mich mein Vater an. Endlich ließ er von mir ab und ich blieb allein am Boden zurück. Als ich versuchte aufzustehen, durchzog mich ein stechender Schmerz und ich sackte wieder zusammen.
Nachdem ich einen Moment liegen blieb, ebbte der Schmerz etwas ab und ich stand langsam auf. Vor meinem Spiegel stellte ich fest, dass ich ein blaues Auge hatte. Na toll, wie soll ich das denn erklären? Vorsichtig zog ich mein T-Shirt hoch und kniff die Augen zusammen um nicht wieder loszuheulen. Fast mein ganzer Oberkörper war blau.
Leise schlich ich zur Tür und Schloss ab. Würde mein Vater das merken, würde es nicht bei den blauen Flecken bleiben, doch würde ich es nicht machen, würde ich wahrscheinlich vor Angst kein Auge zubekommen.
Morgen würde ich jedoch endlich nach England fliegen, zum Grand Prix von England genau genommen. Meine Sachen waren schon lange gepackt. Ich konnte es gar nicht mehr erwarteten von hier weg zu kommen. Ich legte mich in mein Bett und suchte mir eine Schlafposition, die am wenigsten weh tat.
Ich musste irgendwann eingeschlafen sein, denn am nächsten morgen wurde ich von meinem Wecker wach.
Ich sprang schnell auf, ignorierte den Schmerz, schaltete den Wecker aus, hastete zur Tür und schloss sie auf. Ich atmete erleichtert aus, als es weiterhin still blieb im Haus.
Aus meinem Schrank holte ich mir einen Toro Rosso Pullover, ein weißes Red Bull Shirt und eine schwarze Hose, womit ich ins Badezimmer ging. Ich duschte schnell und schlüpfte dann in die Klamotten. Als ich im Bad fertig war, ging ich nach unten in die Küche, wo meine Mutter und mein Vater am Tisch saßen und frühstückten. Ich setzte mich neben meine Mutter und behielt meinen Blick starr auf dem Teller, der vor mir stand. Eigentlich hatte ich keinen Hunger, aber meiner Mutter zur liebe aß ich etwas und tat auf heile Welt. Eigentlich war ich mir sicher, dass sie wusste, was zwischen mir und meinem Vater vor sich ging, doch sie schien es zu verdrängen. Ich war ihr nicht böse, wer weiß was mein Vater mit ihr machen würde, würde sie sich einmischen.
Sobald das Flugzeug abhob, verfiel die grundlegende innere Panik und ich war endlich mal wieder richtig entspannt. Ich merkte erst jetzt, wie die letzten zwei Wochen an mir genagt hatten. Waren es wirklich nur zwei Wochen gewesen? Es kam mir viel länger vor. Es lag wohl an dem wiedererlangten Gefühl von Sicherheit, dass ich fast den ganzen Flug verschlief und nicht bei jedem Geräusch hochschreckte.
Als ich dann doch wieder wach wurde, waren es nur noch wenige Minuten bis zur Landung. Ich sah mich etwas im Flieger um. Ich stellte fest, dass mein Teamchef sich wohl umgesetzt hatte, da er nicht wie vorhin neben mir saß, sondern ganz vorne im Flieger und, wie ich bis gerade eben noch, an die Wand gelehnt schlief.
Er hatte natürlich direkt wissen wollen, woher das blaue Auge kam und ich musste ihm schließlich eine Lüge auftischen, ich hätte mich in einer Bar geprügelt, was mir wirklich schwer fiel, denn Franz war für mich sowas wie ein Vaterersatz.
"Na kleiner," neckte er mich. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er sich neben mich gesetzt hatte. "Na alter Mann," stichelte ich zurück. "So redest du mit deinem Teamchef," Franz tat gespielt empört. Lachend nickte ich und der Älter stimmte mit ein. Es war schön mal wieder lachen zu können und so unbefangen Späße zu machen. Ich sah meinen Vater zum Glück nur noch selten, aber dafür ließ er dann all die angestaute Wut auf kurze Zeit an mir aus und die Ausmaße konnte man an meinem Oberkörper ja deutlich sehen.
Am Londoner Flughafen angekommen, traf wir auf das Sauber Team. Wir begrüßten das Team und beschlossen zusammen zum Hotel zu fahren, da wir alle im selben Hotel untergebracht waren. "Hey," schüchtern lächelte ich Felipe an. In seiner Nähe war ich immer nervös. Wir waren schon mehrere male miteinander ausgegangen und trotzdem war ich jedesmal aufs neue nervös. Ich mochte ihn wirklich gerne. "Hey, wie gehts?" "Gut," das war nicht gelogen. Im Moment ging es mir mehr als gut. "Und wie war dein Urlaub?," Neugier schwang in seiner Stimme mit. "Auch gut," okay, das war jetzt gelogen. "Und in Wirklichkeit?," erschrocken riss ich die Augen auf. "Guck nicht so! Ich durchschau dich direkt, wenn du lügst. Also?," harkte er nach. "Ich... Ich lüg doch gar nicht," behauptete ich. "Na gut, wenn du reden willst, komm jeder Zeit zu mir." Ich nickte nur und Felipe wechselte das Thema, wodurch kein unangenehmes Schweigen entstand, wofür ich ihm wirklich dankbar war.
Im Hotel angekommen, stellten wir fest, dass Felipes Zimmer direkt neben meinem ist. Da es bereits spät war, beschlossen wir für heute nichts mehr zu planen und nur noch schlafen zu gehen.
Jetzt lag ich jedoch im Bett und konnte nicht schlafen. Eigentlich war ich ziemlich müde, aber irgendwie fühlte ich mich einsam. Ich fischte nach meinem Handy und ging zu Whatsapp. "Schläfst du schon?," schrieb ich Felipe, der direkt antwortete. "Nein, kann nicht einschlafen. Du anscheinend ja auch nicht," grinsend las ich deine Antwort. "Und jetzt?..." Auch diesmal musste ich nur wenige Sekunden warten, bevor mein Nachrichtenton erklang. "Warte... Ich hab eine Idee." Verwirrt sah ich auf das leuchtende Display und wartete auf eine weiter Nachricht, doch Felipe ging offline. Erst dachte ich er wäre doch eingeschlafen, jedoch klopfte es kurz darauf an meiner Tür. Ich schälte mich mühsam aus meinem warmen Bett und öffnete. Vor mir stand ein breit grinsender Felipe. "Tada!," er breitete seine Arme aus. Lachend ließ ich ihm herein und warf mich wieder auf mein Bett, Felipe folgte mir.
Müde gähnte ich und zog meine Decke über uns. Eigentlich war die Situation ziemlich kurios. Felipe und ich kannten uns zwar schon lange und waren schon öfter zusammen ausgegangen, doch über unsere Gefühle geredet hatten wir nicht wirklich.
"Worüber denkst du nach?," wollte der Ältere wissen. Ich konnte nicht vermeiden rot zu werden. Mir war es unangenehm über Gefühle zu sprechen, erstrecht da mein Vater mir ja ohne Hemmungen zeigte, dass diese Art von Gefühlen nicht richtig sind. "Du siehst süß aus, wenn du nachdenkst," Felipes Aussage ließ mich noch roter werden, wenn das überhaupt noch möglich war. Felipe drückte mir lachend einen Kuss auf die Wange. Ich schmiegte mich an ihn und schlang meine Arme um ihn. "Du bist anhänglicher als ich dachte," ich hörte an seiner Stimme, dass er grinste. Ich legte meinen Kopf auf seiner Brust ab und lauschte seinem Herzschlag. "Warum schlägt dein Herz so schnell?," fragte ich ihn und augenblicklich schlug sein Herz noch ein bisschen schneller. "Weil du bei mir bist," hauchte er so leise, sodass ich es fast nicht verstanden hätte. Ich setzte mich wieder auf und sah ihn aus großen Augen an.
"Hab ich was falsches gesagt?," fragte er schüchtern. "Nein... Ganz im Gegenteil," ich erwiderte das Lächeln, das sich auf Felipes Gesicht bildete und kam ihm langsam näher. Als uns nur noch wenige Millimeter trennten und man das Knistern zwischen uns förmlich spüren konnte, überwand ich die restliche Distanz und vereinte unsere Lippen miteinander. Felipes Lippen waren viel weicher und sanfter, als ich sie mir vorgestellt hatte. Generell übertraf der Kuss jede meiner Vorstellungen. Ich ließ meine Hände in Felipes Nacken wandern um ihn näher an mich zu ziehen und den Kuss zu vertiefen.
Sanft wollte er mich zurück aufs Bett drücken, doch als er mein Oberkörper berührte, konnte ich ein schmerzerfülltes zischen nicht unterdrücken. Erschrocken musterte mich Felipe und noch bevor ich reagieren konnte, zog er mein Shirt hoch. "Wer hat dir das angetan?," fragte er geschockt. Als ich an die vergangenen Wochen denken musste, schossen mir unbewusst Tränen in die Augen und ich fing an zu zittern. Felipe zog mich so vorsichtig in seine Arme, als könnte ich daran zerbrechen. Ich krallte mich an ihm fest und vergrub mein Gesicht im seiner Halsbeuge. Ich wollte nicht weinen. Dann fühlte ich mich immer so schwach und ich wollte nicht schwach sein, doch die salzige Flüssigkeit bahnte sich einfach ihren Weg über meine Wangen. Felipe strich mir sanft und darauf bedacht mir nicht weh zu tun über meinen Rücken. "Erzählst du mir wer das war? Und warum?," bat er mich ruhig. Einen Moment hadere ich mit mir. Ich hatte Angst wie Felipe reagieren würde. "Aber du musst mir versprechen nichts unüberlegtes zu machen," schniefte ich. "Versprochen," hauchte er und küsste meine Schläfe. Felipe gab mir das Gefühl sicher und geborgen zu sein und beruhigte mich so weit, dass ich bereit war ihm zu erzählen, was mein Vater mir angetan hatte. "M-mein Vater war das," ich biss mir auf die Unterlippe und wartete Felipes Reaktion ab. "Was?! Wie kann ein Vater seinem Sohn so etwas antun?! Du musst zur Polizei und ihn anzeigen!" Schnell schüttelte ich den Kopf und sah ihn ängstlich an. "Nein das kann ich nicht! Das kann ich meiner Mutter nicht antun und was ist, wenn mir niemand glaubt? Wer weiß was mein Vater dann mit mir macht," verzweifelt stützte ich mein Gesicht in meine Hände. "Dir passiert nichts mehr, das verspreche ich dir! Und morgen gehen wir zur Polizei und zeigen deinen Vater an," sagte er entschlossen. "Warum tust du das alles für mich?" "Weil," ein Lächeln huschte über sein Gesicht, "weil ich dich liebe." Mein Herz machte einen Hüpfer und überschwänglich presste ich meine Lippen auf seine, legte in den Kuss all das, was ich nicht in Worte fassen konnte. "Ich liebe dich auch."

Felipe und ich haben meinen Vater angezeigt. Wir haben meine Verletzungen von einem Arzt dokumentieren lassen und meine Mutter hat mit mir vor Gericht ausgesagt. Mein Vater wurde wegen schwerer Körperverletzung in mehreren Fällen zu sechs Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Ich bin froh, dass mein Vater zur Rechenschaft gezogen wurde und ich endlich keine Angst mehr haben muss.
Aber was viel wichtiger ist, Felipe und ich sind seit zwei Jahren glücklich zusammen und überlegen unsere Beziehung öffentlich zu machen. Bei ihm bin ich, egal wie hart es kommt, der glücklichste Mensch der Welt und die Gefühle sind immer noch genauso stark wie am Anfang.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 20, 2015 ⏰

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