Fühlt sich so die Freiheit an?

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Ich hörte noch das Geschrei der umstehenden Leute, doch blendete alles aus und ließ mich fallen. Ich hatte gründlich darüber nachgedacht und war mir sicher ohne Max nicht leben zu können. Ich schloss meine Augen und genoss den Wind fast schon, der meine Haare und meine Bluse auffliegen ließ. Es fühlte sich an wie fliegen. Das Adrenalin pumpte durch meine Adern wie bei einer Achterbahnfahrt. Es rauschte in meinen Ohren und machte das Ausblenden viel einfacher. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Wenn sich so Freiheit anfühlte, dann hatte ich die richtige Entscheidung getroffen. Ich spürte wie sich der Knoten in meinem Inneren löste, der sich seit Max' Tod in mir gebildet hatte und mich gefangen hielt.
Das war das schönste Gefühl seit langem. Ich fühlte mich frei und losgelöst von allem. Von allem, was mir Schmerzen bereitete und mich runterzog. Von allem, was mich fesselte und wofür ich Verantwortung übernehmen musste. Von allem, was ich geliebt habe.
Meine Mutter, mein Vater, mein Bruder, meine Freunde. Sie alle würden mich vielleicht vermissen, aber das würde nichts im Vergleich zu meinem Schmerz für Max sein. Sie würden darüber hinweg kommen und es akzeptieren. Sie würden ihr Leben auch ohne mich weiterleben.
Emily würde zusammenbrechen, aber sie war stark. Ich wusste, dass sie sich wider aufraffen und weitermachen würde. Auch ohne mich. Wir waren seit der Grundschule die besten Freundinnen und ich vertraute darauf, dass sie mich verstand.

Was hätte mich sonst noch abhalten können? Nichts. Ich hatte ansonsten nichts oder niemanden, der mich abhielt.

Dachte ich zumindest, doch durch den Nebel der Gedanken, schnitt eine Stimme, die mich gedanklich zusammen zucken ließ.

"Scheiße, Ley!"

Die Worte, die ich zuletzt von meinem Freund gehört habe, jedoch gesprochen von einer völlig anderen, aber mir durchaus vertrauten Stimme. Dominik. Kedos.
Mit seiner wunderschönen, rauen Stimme, die mich in den Schlaf redete, wenn Max wieder nicht neben mir lag und mich zum Lachen brachte, wenn ich melancholisch war und niemanden an mich heran ließ.
Warum war er auf der Brücke? Ich hatte ihn gar nicht bemerkt, aber das war auch nicht wichtig. Ich wäre vermutlich so oder so gesprungen. Etwas dagegen tun, hätte er, glaube ich, eh nicht geschafft. Dafür war mein Wille zu stark, daran glaubte ich felsenfest. Trotzdem schlich sich ein Funken Unsicherheit mit ein.
Die Erinnerung an den Abend nach der Gamescom kamen in mir hoch. Drängten sich in den Vordergrund, obwohl ich verbissen versuchte sie auszublenden.
Das Glücksgefühl kam für den Bruchteil einer Sekunde wieder in mir hoch, als er mich zum Lachen brachte und grinsend von der Seite ansah.
Er war da und hatte auf mich aufgepasst, bewahrte mich davor gegen eine Laterne zu laufen. Bei dem Gedanken schlich sich schließlich doch ein weiteres Grinsen auf meine Lippen. Er hatte mir den Abend, mal wieder, viel erträglicher gemacht, als er eigentlich war und hat versucht mich von meinen eigenen Gedanken abzulenken. Ob er an dem Abend schon Angst hatte, sie würden mich zum Selbstmord treiben? Obwohl ich es nicht als Selbstmord sah. Es war eher das Zurückkehren zu jemandem, den ich über alles liebte.
Wollte er mich davor etwa bewahren?
Vielleicht lag ihm etwas an mir und ich begang gerade einen mächtigen Fehler.
Letztendlich konnte ich nun eh nichts mehr ändern, denn ich war bereits gesprungen, felsenfest überzeugt das Richtige zu tun.
Ich schob die Gedanken beiseite und versuchte mich auf das Wesentliche zu konzentrieren, doch ich kam nicht drumherum mich zu fragen, ob es richtig gewesen war zu springen.

Schmerzhaft wurde ich in die Realität zurückgeworfen, als ich spürte, wie das kalte Wasser mich unangenehm umschloss und in die Tiefe sog.
'Warum hatte er mich nicht aufgehalten?', war mein letzter Gedanke.
Dann wurde alles schwarz.

Gamescom Massaker [Pausiert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt