Tränen

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Meine Lungen fühlten sich an als kollabierten sie. Jeder Atemzug schmerzte und brannte sich wie eine Botschaft in meinen Kopf:
Ich hatte überlebt.
Ich musste überlebt haben. Wäre ich tot, würde ich diese Schmerzen nicht spüren. Außerdem glaubte ich nicht, dass es im Himmel so laut war und klang, als ob jemand staubsaugte. Aber, wer weiß, vielleicht wäre ich nicht einmal in den Himmel gekommen. Vielleicht hätte man mich in die Hölle verbannt, dafür, dass ich all die Menschen zurücklassen wollte, die ich liebte. Und die Geräusche, die ich vernahm, waren elendig schuftende Höllenbewohner, die Satan zu sich geholt und zu Sklaven gemacht hatte.

Doch plötzlich war alles still. Die Stille lastete drückend auf mein rechtes Ohr, weshalb ich eine Hand hob und zu diesem führte.
Plötzlich bewegte sich etwas an meiner anderen Hand. Es kitzelte meine Finger, strich darüber und hielt sie schlussendlich fest.
"Ley?", fragte jemand mit hoffnungsvollem Ton in der Stimme.
Ich öffnete meine Augen und blickte abwärt zum Ende des Bettes, auf dem ich lag.
"Emily...", kam es leise über meine Lippen. Ein kleines Lächeln schlich sich in mein Gesicht, als ich sie sah. Wie sie neben meinem Bett saß und meine Hand umklammerte, als wäre es das Letzte, was sie hält. Als hinge ihr Leben davon ab, ob sie meine Hand losließ oder festhielt.

Als ob ich einen Schalter umgelegt hatte, fingen plötzlich Tränen an über ihr Gesicht zu fließen.
"Wieso Ley?", fragte sie nur mit brüchiger Stimme.
Der Anblick brach mein Herz weiter, als es eh schon gebrochen war. Was sollte ich sagen?
Ich wusste keine Antwort auf ihre Frage, die sie zufrieden stimmen würde. Ich senkte meinen Blick stumm auf meine Decke. Ich wollte ihr antworten. Ich wollte ihr eine plausible Erklärung bieten. Ich wollte, dass sie mich verstand und es nachvollziehen konnte. Wenn ich die richtigen Worte dafür hätte, dann, das wusste ich mit Sicherheit, würde sie mich verstehen. Sie würde es nicht billigen, aber sie würde es verstehen und das war alles, was ich wollte.
Nach einigem Schniefen schüttelte sie mit dem Kopf, ehe sie mich fest umarmte.
"Mach das nie wieder. Bitte, mach das nie wieder", flüsterte sie verzweifelt in meine Haare. "Bitte, bitte nie wieder. Bitte, Ley."
Ich nickte in der Umarmung. Trotzdem schien sie mich nicht loslassen zu wollen und wiederholte es immer wieder und wieder, bis ich schließlich selbst in Tränen ausbrach und mich an ihrem Schal festkrallte. Alles schien wieder von mir abzufallen. Es fühlte sich an als könnten wir uns jeden Moment für immer verlieren.
Mit lauterer Stimme sagte ich: "Ich mach es nie wieder. Ich verspreche es dir, Emi. Ich verspreche es dir", während wir uns weiter weinend in den Armen lagen als hätten wir uns ewig nicht gesehen. So fühlte ich mich auch. Es war gerade egal, warum ich es getan hatte, es zählte nur, dass ich hier war. Hier in den Armen meiner besten Freundin, die immer für mich da war. Sie würde mir sogar verzeihen, dass ich sie einfach so verlassen hätte. Was wäre ich nur ohne sie? Diese Sehnsucht nach meiner besten Freundin schien mich aufzufressen und tat mehr weh, als es meine Lungen je könnten. Ich wollte sie nicht mehr loslassen, und sie wollte das auch nicht.

Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Voller Trauer und Geborgenheit, die ich mit ihr teilte. Wir trennten uns irgendwann. Nicht einmal die Tatsache, dass ihr Schal und mein Krankenhausoberteil von unseren Tränen getränkt waren, störte uns. Wir fingen an über vieles zu sprechen, was nichts mit dem Grund für meinen Aufenthalt im Krankenhaus zu tun hatte, trotzdem flossen die ganze Zeit einige weitere Tränen. Es war ein Thema, worüber momentan keiner gerne reden wollte; vorerst zumindest. Es war schwer mit weinen aufzuhören, wenn man den Moment mit seiner besten Freundin teilte. Und das war es, was den Moment für mich so schön und einzigartig machte.

Später erzählte sie mir unter anderem, dass ein gewisser Dominik, als erster hier saß, jedoch kurz bevor ich wach war, gegangen war, um Emily und mir Privatsphäre zu gönnen. Ich dankte ihm bereits dafür, hoffte aber, dass ich ihn auch nochmal zu sehen bekam. Ich wusste nicht, was ich ihm sagen sollte, doch wollte ich trotzdem, dass er mich besuchte.
Emily ließ es sich auch nicht nehmen, mir Spaßeshalber zu sagen, dass er doch ganz süß war, eine sexy Stimme hatte und meine Hand gehalten hat. Natürlich musste sie das ganze mit einem feschen Wackeln mit den Augenbrauen unterstützen.
Ich lachte nur, hoffend, dass sie nicht mitbekam wie nervös ich dadurch wurde.
Aber sie kannte mich zu gut. Ich sah, dass sie es mitbekam, sich jedoch ein Kommentar verkniff. Danke, Emi.

Gamescom Massaker [Pausiert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt