~2~ Mom verhält sich seltsam und mein Kleid wird ruiniert

2.3K 243 9
                                    

"Das ist Prinz Frederick, der große Bruder von Prinz Karl. Sein Foto wurde nur ein einziges Mal abgebildet, als er von der Thronfolge ausgeschlossen wurde. Eigentlich hätte er der nächste König von Preußen werden sollen, doch es gab da einen Vorfall, weswegen König Gustav ihn praktisch enterbte."

"Was für einen Vorfall?", wollte Christian sofort wissen. Offenbar war sein Interesse geweckt. Immerhin ließ er dadurch davon ab, seine Krawatte weiter zu massakrieren.

"Das weiß ich leider nicht. Nirgends steht etwas darüber..." Mom wühlte weiter in ihren Zeitschriften.

"Und Mariella wird den Bruder von diesem Fettklops heiraten?", fragte Luisa.

"Nein, ich werde ihm nur vorgestellt, wie hundert andere Mädchen auch. Aber danke der Nachfrage."

Sophie schnappte sich die Zeitschrift mit Prinz Fredericks Foto.

"Mein Beileid, Schwesterchen", grinste Christian in meine Richtung.

Die Zwillinge stupsten sich gegenseitig an und begannen gemeinsam loszuträllern: "Frederick, der war so dick und hatte einen ..."

"... Pickel im Genick!", ergänzte Christian hilfreich.

Ich ließ mich tiefer in den Sitz sinken. Na toll, ich sollte also mit dem Bruder eines bulligen Verbrechers verheiratet werden. Bestimmt war Prinz Karl auch so einer. Grobschlächtig, dumpfbackig, aufgeblasen... Mir fielen gerade noch mehr schmeichelhafte Adjektive für den Kronprinzen ein, als sich Clementina auf meinen Schoß übergab.

"Nein!", kreischte Mom. "Dein Kleid!"

Ich grinste und klopfte Clementina auf den Rücken. Ach wie schade, mein Kleid war ruiniert, so konnte ich auf keinen Fall dem Prinzen vorgestellt werden. Braves Baby! Ich drückte Clementina einen Kuss auf die Wange.

Inzwischen hatte Mom ein Feuchttuch aus ihrer Tasche gezogen und rubbelte an dem Kotzfleck auf meinem Kleid herum. Damit Clementina nichts von Moms verstörender Hektik mitbekam, reichte ich sie an Christian weiter.

"Verdammt!", fluchte Mom.

Ich runzelte die Stirn. Meine Mutter fluchte sonst nie.

Christian schien das auch aufgefallen zu sein. "Mom, weißt du, dass du in letzter Zeit ganz schön komisch bist?", fragte er unvermittelt.

Doch Mom hörte nicht zu. "Harry!" Sie klopfte an die Trennwand der Limousine. "Fahren Sie uns zum Hintereingang des Schlosses. Sofort!"

Ich sah aus dem Fenster. Wir hatten uns bereits in die lange Schlange von Stretch-Limousinen eingereiht, die eine nach der anderen am roten Teppich, der vor den Eingangsstufen des Schlosses ausgerollt war, anhielten und eine adlige Familie nach der anderen ausspuckten. Am Eingang des Schlosses wurden alle Gäste von der preußischen Königsfamilie begrüßt. Allerdings konnte ich auf diese Entfernung ihre Gesichter nicht erkennen.

Mit quietschenden Reifen scherte Harry aus der Reihe der Limousinen aus und bretterte in Richtung Westflügel des Schlosses. Er hatte den panischen Ausdruck in der Stimme meiner Mutter wohl überbewertet. Die Königsfamilie und alle anderen Adligen auf dem roten Teppich wandten die Köpfe und sahen unserer Limousine verwundert hinterher. Gleichzeitig pressten die Zwillinge und ich uns an die Fensterscheiben und zogen wilde Grimassen, die leider niemand sehen konnte, denn die Scheiben unserer Limousine waren abgedunkelt.

Mom schnaubte genervt.

Wir schlitterten um die Ecke und kamen vor dem Hintereingang des Schlosses zum Stehen.

Bevor Harry uns die Türen öffnete und wir aussteigen konnten, hielt mich Luisa am Arm fest. "Du bist trotzdem die Allerhübscheste, Ella!"

"Ja, auch mit Kotze auf dem Kleid!", bestätige Sophie.

Ach, meine Geschwister waren einfach die Besten und die Klügsten! Grinsend stieg ich aus der Limousine und ließ mich von meiner Mutter ins Schloss bugsieren.

Gott sei Dank bekam ich im Schloss mein eigenes Zimmer. Trotzdem störte meine Mutter sofort meine Privatsphäre, denn sie wollte mein Kleid in die Reinigung bringen lassen. "Du musst es einfach bei deinem ersten Treffen mit dem Prinzen tragen. Es ist perfekt für diesen Anlass. Wir lassen es schnell reinigen, und zum Empfang nachher kannst du es wieder anziehen." Fahrig strich Mom sich ihre dunkelblonden Strähnen hinter die Ohren.

Okay, wenn ihr dieses Kleid so wichtig war... Schnell zog ich es aus und reichte es ihr nach draußen. Danach schlüpfte ich in bequeme Jeans und meine Chucks. Über ein weißes Top zog ich eine leichte mintfarbene Bluse und legte dazu meinen indianischen Hals- und Armschmuck an.

"Ich sehe mich mal kurz im Schloss um!", rief ich meiner Mom zu, dann rannte ich ohne eine Antwort abzuwarten aus dem Zimmer.

"Denk an den Nachmittags-Empfang! Sei pünktlich!", rief meine Mutter mir hinterher. "Du hast schon deine erste Chance verpasst, den Prinzen kennenzulernen! Verpass deine zweite nicht!"

"Ja ja", murmelte ich. Der Prinz war mir so was von egal.


Queen on Heels XXL Leseprobe zum BuchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt