~9~ Mom reißt Witze und die Möchtegernbräute tuscheln über mich

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Das eisblaue Kleid und ich lieferten uns daraufhin ein erbittertes Blickduell. Ich wollte es absolut und überhaupt nicht anziehen. Vielleicht konnte ja auch diesem Kleid ein 'Unfall' zustoßen? Ich kniff die Augen zusammen. Dieses Kleid entsprach weder der aktuellen Mode, noch wollte ich in Kitsch und Tüll an einen mir unbekannten Prinzen verschachert werden. Wie ein Pferd auf dem Bauernmarkt. Also tat ich das einzig Logische: Ich versuchte es mit der Kraft meiner Gedanken in Brand zu stecken oder wenigstens zum Schmelzen zu bringen.

Leider gelang mir beides nicht, und so musste ich mich damit zufrieden geben, den eisblauen Alptraum weiterhin mit bitterbösen Blicken zu taxieren.

Es war immer noch nicht sicher, wer von uns beiden als Sieger aus diesem Duell hervorgehen würde, als es wieder klopfte und Sophie mit tief verstellter Stimme rief: "Na, bist du auch wirklich da, Mariella?" Sie versuchte eindeutig Mom zu imitieren, klang dabei aber mehr wie Dori aus Findet Nemo, wenn sie im Film "Na du kleiner Schmollmopps?" sagte.

"Ja, Mom!", rief ich gut gelaunt zurück.

Vor der Tür kicherte es. "Bist du auch schon wie eine Prinzessin angezogen?", wollte die tiefe Stimme wissen.

"Ja, und hast du auch schon einen BH an?", rief Luisa.

"Shhh, du musst doch deine Stimme verstellen!", zischte Sophie. "So merkt sie doch, dass du nicht Mom bist!"

Ich kicherte. "Gleich, Mom! Soll ich den BH mit den Kuhfladen oder den mit den Hundehaufen anziehen?", rief ich unschuldig durch die Tür.

"Ihhhhh!", kreischten die Zwillinge einstimmig und jetzt wieder mit ihren normalen Stimmchen. Dann rannten sie kichernd davon und ließen mich mit dem eisblauen Schrecken allein zurück.

Doch schon ein paar Minuten später lachten die Zwillinge nicht mehr, als sie von Mom in zwei kackbraune Kleidchen gezwängt wurden. Jedenfalls beschwerten sie sich in einer Lautstärke über die Farbe ihrer Kleider, dass es bis zu mir herüberschallte. Da fragte man sich doch fast, wer von uns dreien das schwerere Schicksal erleiden musste.

Schließlich gab ich auf und zog das eisblaue Kleid mit den weißen Handschuhen an. Dazu noch silberne High Heels ohne rote Sohlen, die Moms Röntgenblick sicher standhalten würden.

Als meine Mutter mich wenig später angezogen sah, fiel sie vor Freude fast in Ohnmacht. "Mariella, schau dich an! Wie eine echte Prinzessin siehst du aus! Ich bin so stolz!"

Wow. Mom war stolz, weil ich es geschafft hatte, ein Kleid anzuziehen! Das hatte ich mir ja schon immer gewünscht! Ich rollte mit den Augen. "Mom", versuchte ich es ein letztes Mal mit Vernunft bei ihr. "Ich gehe zwar zu diesem Ball, aber du solltest dir keine großen Hoffnungen machen. Weder werde ich hier irgendeinen aufgeblasenen Schnösel daten, noch werde ich hierbleiben und mein gewohntes Leben für einen Prinzen aufgeben, den ich noch nie in meinem Leben gesehen habe. Und auf gar keinen Fall werde ich hier die nächste Möchtegern-Prinzessin! So habe ich mir mein Leben definitiv nicht vorgestellt."

Mom sah mich irritiert an. "Ich verstehe wirklich nicht, warum du das nicht willst. Du könntest hier ein sorgenfreies Leben im Luxus führen, wenn der Prinz dich auswählt. Was willst du sonst dein ganzes Leben lang machen? Weiter diese Mode-Glocks schreiben?"

Jetzt wurde ich aber wirklich böse. "Es heißt Modeblog, und ich verdiene jeden Monat zweitausend Euro damit!"

Mom tat meinen Einwand mit einer Handbewegung ab. "Zweitausend Euro abzüglich Steuern sind für deinen gesellschaftlichen Stand nicht einmal annähernd angemessen."

Ach ja? Wütend verschränkte ich die Arme vor der Brust. Ich war stolz auf meinen Modeblog, der stolze 300.000 Fans aus aller Welt zählte, aber Mom, die das Feingefühl eines Presslufthammers besaß, schaffte es immer wieder, mich wegen meines Jobs runterzuziehen.

Während ich so dastand und böse guckte, musste sie jedoch bemerkt haben, dass ich in äußerst miese Stimmung geriet. Also drückte sie aufmunternd meinen Arm und sagte: "Ach komm schon, Mariella. Zeit, den Kronprinzen kennenzulernen. Er ist wirklich ein fescher junger Mann. Und wenn du ihn nicht willst, dann nehme ich ihn!" Mom verkniff merkwürdig das Gesicht.

Das sollte wohl ein Zwinkern werden, wie ich feststellte. Mom riss plötzlich Witze? Wie ein Goldfisch öffnete und schloss ich den Mund, sagte jedoch nichts.

"Jetzt schau nicht so überrascht. Beim Tee vorhin, bevor er Migräne bekam, ist er mir sehr positiv aufgefallen", fuhr Mom fort. Sie lächelte verschmitzt. Meine Mutter und der Kronprinz???

"Ach Schatz, nun tu doch nicht so pikiert. Das war natürlich nur ein Scherz", winkte Mom ab. "Prinz Karl ist überhaupt nicht in meinem Alter." Wieder dieses merkwürdige, aufgesetzte Zwinkern. "Und jetzt zieh deine Handschuhe an. Ich hole Luisa und Sophie."

"Kommen Christian und Clementina nicht mit?", wollte ich wissen.

"Nein. Christian hat keine Lust, und für Clementina wird es zu spät."

Aha. Die beiden hatten ja so ein Glück! Ob die Migräne-Nummer noch ziehen würde? Wahrscheinlich nicht ...

Gelangweilt stellte ich mich vor den bodentiefen Spiegel am Fenster und betrachtete mich. Ja, eindeutig. Mit den weißen Handschuhen sah ich aus wie Cinderella. Außer, dass meine blonden Haare nicht zu einem Dutt aufgesteckt waren, sondern mir in leichten Wellen über die Schultern fielen. Im Gegensatz zu Cinderella fiel ich auch nicht durch eine leichenblasse Haut auf, sondern eher durch einen gebräunten Teint.

"Mariella!", rief Mom.

"Komme schon!", rief ich zurück.

Vor dem Thronsaal hatte sich, wie schon heute Nachmittag, die gesammelte Schar an Möchtegern-Bräuten versammelt. Ich schätzte sie auf etwa vierzig blaublütige Mädchen zwischen 18 und 25 Jahren. Allesamt recht aufgebrezelt, flatterten sie im Gang herum. Manche von ihnen überprüften in Taschenspiegeln ihr Make-up, so als ginge es für sie zu einem wichtigen Fernseh-Interview. In ihren bunten, bodenlangen Kleidern, erinnerten sie mich unwillkürlich an sprechende Papageien. Zugegeben, in einer Tierdokumentation würden sie sich schon gut machen.

Als ich zu den Möchtegern-Bräuten stieß, verstummte ihr Geplapper für einen Augenblick. Ich spürte ihre Blicke auf mir. Dann jedoch ging es erneut los, diesmal sogar noch lauter. Jetzt konnte ich auch einzelne Gesprächsfetzen heraushören.

"Schokoladenmädchen ..."

"... Blamage des Jahres ..."

"... Schande für die Gesellschaft ..."

"... beim Tee zu spät gekommen ..."

Aha. Na wenigstens kannten sie mich alle schon, und ich musste mich nicht mehr vorstellen ...


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