Leben und Tod

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Ich habe keine Angst vor dem Tod.
Es muss beruhigend sein, ja sogar angenehm, hätte man noch Gefühle.
Wie ein seidenes, fließendes Kleid, das den Körper umhüllt und in einen tiefen, traumlosen Schlaf wiegt.
Ich brauche nicht einmal die Augen zu schließen und schon bin ich befreit von Angst und Trauer. Von Erinnerungen und dem Vergessen. Von Vergangenheit und Zukunft.

Ich habe keine Angst davor zu sterben. Dennoch möchte ich das Leben, Gefühle, Wissen, Erinnerungen, Menschen, Natur, Gedanken, Worte, Geräusche und Gerüche, Musik - das alles möchte ich nicht verlieren. All das, was das Leben ausmacht und so lebenswert macht.
Pascal Mercier hat mal geschrieben: "Es ist der Tod, der dem Augenblick seine Schönheit gibt und seinen Schrecken. Nur durch den Tod ist die Zeit eine lebendige Zeit."
Er hat recht. So lange wir Zeit haben und diese nur befristet ist, solange können wir die kleinen Freuden des Lebens genießen. Eben weil wir wissen, dass sie eines Tages enden werden.
Wer würde sich schon die Unendlichkeit wünschen und die Langweile desjenigen, der alle Zeit der Welt hat und dessen Tag nicht mehr zählt, weil er davon zu viele hat?

Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich habe Angst, dem Leben nicht gerecht zu werden und zu wenig davon zu sehen, weil ich in dem Stress, den mir die Gesellschaft aufzwingt, gefangen bin und Angst habe, mich von den Strukturen und vermeintlichen Regeln zu befreien.
Um endlich, irgendwann, selbst über mich zu entscheiden.
Um endlich, irgendwann, die Zeit zu schätzen, die endlich ist.

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