Teil 10

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Diese sonst so stark ausstrahlende Kälte war verschwunden. Es sah aus wie der weinende Junge von vor zehn Jahren. Der hilflose und einsame Junge, der einfach nur Liebe brauchte. Demir hatte Probleme und zwar gewaltige, wenn man sogar versuchte mich zu entführen und statt dass ich ihn seine Sorgen wenigstens für einen Moment vergessen ließ, überschütte ich ihn noch mit Vorwürfen. Wieso konnten wir uns nie aussprechen? Nie das sagen, was wir wirklich fühlten? In diesem Moment erkannte ich erneut... Demir brauchte mich, sonst würde er in seiner Einsamkeit ertrinken.

Und wenn er nicht reden konnte... dann...

Bedächtig stand ich auf und näherte mich ihm langsam. Als ich genau vor ihm zum Stehen kam, legte ich meine Hand auf seine Wange und lächelte ihn warm und traurig an. Seine Augen schrieen Verwirrung, doch ich ignorierte dies und tat das, was ich schon lange machen wollte.

Kapitel

Ich umarmte ihn, drückte ihn fest an mich und wollte ihm stumm vermitteln, dass wir nicht immer reden mussten, um füreinander da zu sein.

Demir, der zeitgleich starr vor Schreck wurde, rührte sich keinen Millimeter. Seine Arme hingen schlaff an seinen Seiten herunter, während ich seinen lauten Herzschlag an seiner Brust wahrnahm. Demir jedoch entspannte sich immer noch nicht, sodass ich intuitiv meinen linken Arm konstant seinen Rücken leicht auf und ab streichelte. Ich verharrte immer noch in der Position und war genauso stur wie Demir.

Und endlich regte er sich. Nur langsam hob er seine Arme an und umschlang meinen Rücken. Erst sanft und dann als wäre ich sein Rettungsring, an den er sich krallen musste, um zu überleben. Ein seliges Lächeln schlich sich auf meine Lippen und als er dann auch noch seinen Kopf auf meiner Schulter platzierte, merkte ich wie dringend nötig es war, dass er auch mal Geborgenheit zu spüren bekam. Seine Umarmung wurde immer fester, beinahe so, dass er mich erdrückte, aber ich meckerte nicht.

Es war einer der Momente, in denen Demir der kleine vierzehnjährige Junge war und nicht der, auf dessen Schultern solche Lasten lagen.

Ich wusste nicht wie lange wir da so standen. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Eine, in der mir erneut auffiel, dass Demir kein Junge mehr, sondern ein Mann geworden war. Der Duft seines Duschgels stieg mir in die Nase und betörte mich seltsamerweise und seine nassen Haare hatten meine Schulter durchnässt.

Irgendwann musste ich niesen, woraufhin wir beide gezwungen waren uns zu trennen.

„Gesundheit", sprach Demir mit einer ungewohnt ruhigen Stimme. Seine Augenbrauen waren diesmal nicht zusammen gezogen. So wirkte er weniger gefährlich. Seine Haarpracht glitzerte aufgrund der Feuchtigkeit.

„Danke", grinste ich ihn an. „Du solltest deine Haare föhnen. Nicht, dass du krank wirst."

„Mir passiert schon nichts", antwortete er desinteressiert. Beide schwiegen wir über die letzten Minuten. Wir sprachen nie über Gefühle. Für Demir war es ein Zeichen von Schwäche und für mich meist peinlich, weil Demir sich lustig darüber machte.

Er drehte mir seinen Rücken zu und irgendwie entstand eine unangenehme Stille, was nicht zuletzt daran lag, dass ich für gewöhnlich immer die Quasselstrippe war.

„Wenn ich schon nicht nach Freiburg gehe, kann ich wenigstens noch eine Weile schlafen", meinte ich und legte mich auf Demirs Bett. Es war noch früh am Morgen.

„Du denkst jetzt ernsthaft ans Schlafen?"

„Was glaubst du, wie ich es schaffe, so schön zu sein?", antwortete ich keck.

„Eingebildet bist du aber gar nicht."

„Ich doch nicht", lachte ich.

Er schüttelte nur seinen Kopf.

Red, wenn Liebe unvergänglich istWo Geschichten leben. Entdecke jetzt