Demir war völlig in Gedanken versunken. Seinem grimmigen Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien ihn etwas verärgert zu haben. Seine dunklen Haare und seine dunkle Kleidung harmonierten im Einklang. Irgendwie schmerzte es mich, meinen Kindheitsfreud auf diese Weise zu sehen. Es schmerzte, nicht zu ihm gehen zu können und in dieses genervte aber doch vertraute Gesicht zu sehen. Zudem erinnerte mich dieses Bild an den verbitterten und verzweifelten vierzehnjährigen Demir und das schmeckte mir gar nicht. Seine Nähe verunsicherte mich und machte mich melancholisch. Wir waren schon immer wie Tag und Nacht, wie Himmel und Erde, wie Yin und Yang. Er verletzte jeden und ich war die einzige, die ihn beruhigen konnte. Das nutzte seine Mutter besonders oft aus. Wäre er nach seinem Abitur nicht nach London und hätte dort den Kontakt zu mir nicht abgebrochen, hätte ich behauptet ich wäre sein Zufluchtsort. Sein Fels in der Brandung. Doch er war einfach gegangen.Resigniert setzte ich mich auf einen Barhocker in unmittelbarer Nähe, aber doch mit reichlich Abstand. Von hier aus hatte ich einen guten Überblick auf das Geschehen und Demir. Seine brünette Freundin durfte ihm an seiner Seite nicht fehlen. Wie ersetzbar ich doch war...
Ich verfluchte mich zum zweiten Mal an diesem Tag. Ohne nachzudenken und mit dem glasklaren Ziel ihn zur Rechenschaft zu ziehen, war ich aus dem Haus gestürmt. Und nun? Was sollte ich tun? Meine Waffe hatte ich auch nicht bei mir. Ich konnte ja nicht einfach auf ihn zugehen und Hallo sagen.
Nach einer Weile quatschte mich jemand von der Seite aus an. Auch wenn mich dies nervte tat ich so als würde ich ihm zuhören und schlürfte derweil an meinem Cocktail. Zu meinem Missfallen drehte der DJ auch noch unnötig die Musik auf, sodass die Beats mir den letzten rationalen Nerv raubten.
„Hey, hörst du mir überhaupt zu?", empörte sich mein neuer Freund.
Augenrollend drehte ich mich zu dem Lackaffen zu. „Nichts für Ungut, aber du bist voll nicht mein Typ", antwortete ich ihm.
„Du brichst mir das Herz", versuchte er mein Gesagtes theatralisch zu überspielen.
„Hast du überhaupt eins?", entgegnete ich gelassen, worüber sich Mr. Lackaffe ärgerte.
„Ist eher die Frage, ob du überhaupt eins hast", meinte er eingeschnappt und sprang von seinem Sitz runter und zog von dannen. Was für eine Diva.
Desinteressiert blickte ich ihm hinterher, ehe ich mich wieder Demir zuwandte. Ich war erstaunlich ruhig. Und das im wahrsten Sinne der Worte. Meine Wut wurde wie ein Vakuum entzogen. Mein Racheplan erschien mir gerade so unnötig, den Verlust meines Opas hatte ich in das hinterste Eck meiner Gedanken eingesperrt. Die Tür zu meinem Labyrinth verschlossen, ohne ans Ziel gelangt zu sein.
Nie hatte ich mir unser erstes Aufeinandertreffen so ausgemalt. Eigentlich wollte ich kalte Wut verspüren, ihn diese Wut spüren lassen, doch es klappte nicht. Die Schuld dafür fand ich bei den Tabletten, die ich vorhin eingenommen hatte. Die brünette Schönheit beugte sich zu Demirs Ohr und teilte ihm etwas mit.
Das einzige, das ich bei diesem Lichterspiel sah, war Demirs angespanntes Gesicht und sein wütendes Zischen, das sich bemerkbar machte, wenn er etwas betonte. Dafür kannte ich ihn wohl doch gut genug. Demirs Freundin schien diese Art von Aufmerksamkeit nicht zu genießen. Denn sie stand auf und verschwand mit gerecktem Kinn in der Masse.
Während Demir sichtlich genervt einen Schluck von seinem Drink nahm, konnte ich nicht umhin daran zu denken, ob Demir eigentlich überhaupt ein Herz hatte. Hätte er mich wirklich geliebt, hätte er meinen Opa doch nicht so etwas antun können.
Demir ließ seinen Blick durch die Gegend schweifen, woraufhin ich ihm schnell den Rücken kehrte. Es war das Beste, wenn ich ging. Ich war schon zu lange hier und ich konnte nicht riskieren, dass er mich entdeckte.
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Red, wenn Liebe unvergänglich ist
RomanceWas passiert, wenn dein bester Freund dein Leben zerstört? Dir deinen Opa wegnimmt? Nur Leid und Schmerz hinterlässt. Würdest du ihm dasselbe antun? Würdest du ihn töten?