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Durch einen stechenden Schmerz in meinem Kopf wachte ich auf. Meine Augen konnte ich nur schwer öffnen. Panisch setzte ich mich auf. Wo war ich? Bilder der vergangenen Nacht blitzen vor meinen Augen auf. Das Letzte woran ich mich erinnern konnte war Ethans Gesicht. Ich sah mich um. Ich lag in einem kleinen, engen Bett, meine Füße schauten über den Bettrand. Ich sah nach rechts, dort stand eine Couch. Davor ein Tisch, auf dem sich Pizzakartons türmten und zertrümmerte Bierflaschen lagen. Mein Blick traf einen Spiegel, direkt gegenüber von mir. Meine roten Haare waren zerzaust, meine Lippen geschwollen und ich hatte riesige Augenringe, die von meiner verschmierten, schwarzen Mascara leicht überdeckt wurden. Dieser Anblick war einfach nur furchtbar. Als ich an mir herab sah, stellte ich zum Glück fest, das ich bis auf eine Hose bekleidet war. Zwar trug ich ein viel zu großes T-Shirt, dessen Besitzer ich nicht wusste, aber ich hatte immerhin etwas an. Sogar weiße Socken waren wohl nun mein Besitz. Ich ging davon aus, das die Sachen Ethan gehörten. Er war der Letzte, den ich sah. Zumindest sagte mir das meine Erinnerung.

Ich wollte gerade aufstehen als die Tür geöffnet wurde. Hastig zog ich mir die Bettdecke über. Tiffanys blondes Haar erschien in meinem Blickfeld. ,,Hallo? Ist hier jemand?'' Ich fragte mich, ob sie wirklich so blöd war und nicht merkte, das ich unter der Decke war. ,,Ja, ich!'', antwortete ich schnell, bevor sie noch auf die Idee kam, eine Lupe zu holen. ,,Ava?'' Ihr Mund formte sich zu einem 'o' und ihre Augenbrauen schossen nach oben. ,,Was machst du denn noch hier? Normalerweise schickt Matty seine... ehm... wie nennt ihr sie noch gleich? Chicas?''

,,Ich bin keine von Mattys Chicas! Von wem redest du überhaupt?'', fragte ich verwirrt. An einen Matty hatte ich keine Erinnerung. Was ja nicht zwangsläufig bedeuten musste, das ich nichts mit ihm zu tun gehabt hatte. Vielleicht war das ja dieser berühmte Moment mit dem Filmriss. Es gefiel mir überhaupt nicht. ,,Ich rede von Michaels Bruder. Matty Anderson?'' Michaels Bruder?! Diesen Matty kannte ich natürlich.Zwar nicht sonderlich gut, aber jeder kannte ihn. Zumindest hatte jeder einmal von ihm gehört. Matty ist das krasse Gegenteil von Michael. Er ist unverschämt, arrogant und respektlos. Und er sieht leider ziemlich gut aus. Ich habe ihn bisher zwei Mal getroffen, wenn wir alle bei Michael waren, aber er hat nie ein Wort mit mir gesprochen. Dafür hang er die gesamte Zeit über an Sams Lippen. Er schmachtete sie nicht an oder so was in der Art. Nein, er wirkte irgendwie fasziniert. Ich glaube es gefiel ihm, das sie ihm Kontra gab. Sie beleidigte ihn eben zurück, wenn er ihr blöd kam.

,,Wie kommst du überhaupt darauf, das ich Mattys Dingsda bin?'', hakte ich zickig nach, während ich aufstand und nach meinem Kleid suchte. Ich ging zu einem Klamottenhaufen und durchwühlte ihn. ,,Naja, weil das hier'' Sie machte eine, das Zimmer umfassende, Geste. ,,Mattys Zimmer ist''Oh nein! Oh nein, nein, nein! Mir fielen die Sterne ein. Der wunderschöne Sternenhimmel war verschwunden. Hier waren keine Sterne. Wo war ich dann mit Ethan? Was war nach meiner Erinnerung passiert?

Ich schnappte mir eine Jogginghose und stürmte an Tiffany vorbei aus der Tür. Ich bog nach links ab und ging die Treppe nach unten ins Wohnzimmer. Michael, der auf dem Boden saß und Müll einsammelte, sah auf. ,,Hey, na, war ne gute Party, was?'', begrüßte er mich frech und lachte amüsiert über meinen desolaten Zustand. ,,Mir geht es gut. Danke der Nachfrage, Arschloch'', antwortete ich sauer. Hatte ich mit Matty rum gemacht? Und was war mit Ethan passiert? Hatte ich ihn schon wieder von mir gestoßen? Mir schwirrte der Kopf. Ich wollte nur noch nach Hause. ,,Kein Grund mich an zu zicken. Selbst schuld, wenn du deine Grenzen nicht kennst. Also erzähl mal, was lief gestern noch bei dir und McCrorry? Seid ihr jetzt en Paar oder was?''

,,Nichts. Zwischen uns lief nichts und wird es auch nie'', stellte ich etwas zu schnell klar. Michael hob ungläubig eine Augenbraue. Er stand auf und kam einen Schritt auf mich zu. ,,Sicher? Du hast ihn nämlich ziemlich verzweifelt gesucht gestern Abend'' Ich sah mich selbst, wie ich schwankend im Flur herumgeisterte und wie Michael mich festhielt, damit ich nicht umfiel. ,,Ich weiß. Ich erinnere mich daran'' Allerdings erinnerte ich mich nicht mehr an den Rest... Leider konnte ich wohl kaum Michael danach fragen, was ich mit seinem Bruder zu tun hatte. ,,Kannst du mich nach Hause begleiten?'', fragte ich ihn, weil ich nicht alleine gehen wollte. Mir war schlecht und ich hatte Angst, umzukippen oder im Graben zu landen. Oder einen Bus vollzukotzen. ,,Sorry, aber ich muss das hier aufräumen bevor meine Grandma kommt. Ansonsten verpfeift sie mich noch. Aber ich kann Matty fragen, ob er dich Heim fährt. Warte kurz'' Ich wollte ansetzten, etwas dagegen einzuwenden, aber er war bereits, Richtung Küche, verschwunden. Na, super. Schlimmer konnte es nicht mehr werden.

Irrtum. Konnte es doch. Ungefähr zehn Minuten später saß ich mit Matty in seinem Auto. Er sah immer wieder zu mir herüber und grinste mich an. Ich kam mir so dämlich vor. Ich wollte unbedingt wissen, was oder ob überhaupt etwas zwischen uns passiert war, aber die Worte kamen mir nicht über die Lippen. Ich hatte einfach Angst. Angst vor der Wahrheit.

,,Also, was hälst du von einem Date? Am Mittwoch um acht?'' Ich blinzelte, weil ich dachte ich träume. Hatte er das gerade ernst gemeint? Wohl kaum. Bestimmt machte er sich über mich lustig. Bald würde er jedem erzählen was für eine unerfahrene Küsserin ich war oder... nein, an das oder wollte ich nicht denken. Niemals würde ich mein erstes Mal betrunken an Matty Anderson verschenken. Egal, wie voll ich war, daran würde ich mich erinnern. Oder?

Ich lachte, weil ich es tatsächlich für einen Scherz hielt. Mattys Blick wurde wütend. ,,Machst du dich etwa über mich lustig?'', fragte er verärgert. Oh, nicht gut. Ich sah ihn skeptisch an. ,,Das war dein Ernst?''

,,Natürlich. Wir hatten doch Spaß, oder siehst du das anders?'' Er zwinkerte mir verschwörerisch zu. Ich betrachtete sein beinahe makelloses Gesicht. Seine grünen Augen waren groß, aber nicht zu groß, seine Nase war gerade und seine Lippen voll. Einzig die vielen kleinen Narben zerstörten diese Perfektion. ,,I-ich... also... ja natürlich'' Ich probierte selbstbewusst zu klingen, was mir natürlich nicht sonderlich gut gelang. Aber ich wusste, wenn ich ihm die Wahrheit sagen würde, würde er ausrasten. Das ich mich an unseren 'Spaß' und somit auch nicht an ihn erinnern konnte fand er sicherlich nicht toll. Einen Matty Anderson vergisst man nicht. Das hatte er selbst einmal gesagt und dieser Satz verleitete mich zum Lügen. ,,Also, was sagst du? Mittwoch? Du, ich?'' Matty ging normalerweise nicht auf Dates. Zumindest hatte ich dies noch nie gehört oder gesehen. Irgendwas musste hier faul sein. Ich hatte zwar an Beliebtheit gewonnen, aber ich dachte nicht, dass das Matty beeindrucken würde. Ich war schließlich zuvor bereits nicht komplett unbeliebt. Andererseits hatte ich es satt immer die Arschkarte zu ziehen und mich von meinem Gehirn und seinen negativen Gedanken leiten zu lassen. Langsam reichte es mir. Ich hatte am Abend zuvor so viel Spaß gehabt. Der Filmriss war zwar weniger spaßig, aber ich konnte beim nächsten Mal ja darauf achten, das es mir nicht wieder passieren würde. Und warum nicht mal mit dem heißen Bad Boy ausgehen? Ich war es so leid immer nur die zweite Geige zu spielen. Erlebte ich diese Veränderung nur durch Sams Verschwinden? Ja, vielleicht, aber das war mir egal. Sie war weg und irgendwann hörte sie eben auf mir zu fehlen. Vielleicht war das jetzt endlich einmal meine Zeit. Ich musste nur lernen, genauso kalt wie sie zu werden. Jetzt würde ich einmal mit den Leuten spielen und sie ausnutzen. Es hing mir zum Hals heraus, das bei mir ständig Alles schief lief. Meine beste Freundin ließ mich ohne Erklärung sitzen? Na schön, suche ich mir einfach eine Neue. Nein, ich brauchte überhaupt keine. Ich würde alleine klar kommen. Gefühle würden in den Hintergrund rücken. Meine, wie auch die, meiner Mitmenschen. Schließlich hatten meine Gefühle auch nie jemanden interessiert. Und wenn Ethan mich schon Miststück nannte, sollte er auch ein Miststück bekommen. Ich würde mich nicht mehr herumkommandieren lassen. Niemand würde mehr über mich bestimmen. Jetzt war ich an der Reihe. Ich setzte mir als Ziel , von jetzt an nichts mehr an mich heran zu lassen, denn das war die einzige Möglichkeit, um mich zu schützen. So, konnte ich nicht verletzt werden. Und ich schwor der Liebe erneut ab. Ich brauchte keine Liebe. Sie brachte mir nur Unglück. Es war Zeit sich auf Wichtigere Dinge zu konzentrieren. Zum Beispiel, Respekt. Mein Date mit Matty war dafür der perfekte Anfang.





The missing girl and her broken pastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt