Menschen - Z W E I

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Mein Wecker lässt mich auffahren. Zuerst bin ich verwirrt, doch dann kommen alle Erinnerungen an mein scheiß Leben wieder. Sofort will ich wieder schlafen. An nichts denken müssen. Einfach woanders sein. Schlafen ist für mich ein kleiner Tod, der leider nicht für immer hält. Ich quäle mich aus dem Bett und stöhne bei dem Gedanken an die heute bevorstehende Schule auf. Ich laufe verschlafen ins Badezimmer und mache mich fertig. Beim letzten Blick in den Spiegel, stelle ich wieder einmal fest, wie sehr ich mich hasse. Ich gehe zurück in mein Zimmer, um mir ein Pullover und eine dunkle Jeans herauszunehmen. Meine Haare nerven mich heute extrem an, also binde ich sie grob zu einem Zopf nach hinten. Dann laufe ich in die Küche. Mom hat heute früh Pfannkuchen gemacht. Macht sie immer Montags. Als ob Montag etwas besonders wäre, er ist der beschissenste Tag der ganzen Woche. Ich nehme mir eins von den nicht ganz so runden Dingern und esse ihn ohne irgendwas. Dann zwinge ich mich noch dazu, ein Glas Wasser zu trinken. Mit einem Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass ich heute wohl zu spät zur Schule komme. Scheiß drauf. In der ersten Stunde Mathe zu haben, ist eh zum kotzen. Ruhig nehme ich meinen Rucksack und gehe hinaus ins Freie. Sofort bereue ich es, überhaupt einen Fuß aus dem Bett gesetzt zu haben.
'November ist dein Lieblingsmonat. Schon vergessen? ', erinnere ich mich leise, bevor ich die Tür hinter mir abschließe und langsam zum Bus gehe. Ich brauche eine Kippe. Ich taste mit den Händen nach der Schachtel, die sich eigentlich immer in der Tasche einer meiner Pullover oder Sweater befinden müsste, doch finde sie nicht. Shit. Ich habe sie noch in dem Pullover, den ich gestern anhatte. Stöhnend lehne ich mich an das Glas des Haltestellen Häuschen und schließe die Augen. Warum tue ich mir das noch an? Wieso setze ich dem ganzen nicht einfach ein Ende? Diese Leere in mir breitet sich immer weiter aus. Würde mich überhaupt jemand vermissen? Mom, klar. Sie würde sich noch mehr mit Arbeit zumüllen. Aber sonst? In der Schule habe ich nicht wirklich 'Freunde'. Es gibt Leute, mit denen ich rede, aber das kann man nicht als Freundschaft bezeichnen. Ich kann einfach nicht mit diesen ganzen glücklichen Teenis befreundet sein. Sie verstehen mich nicht. Das Geräusch des anfahrenden Busses dringt in mein Ohr und ich öffne die Augen. Er hält vor mir und öffnet die Tür. Es steigen ein paar Leute aus und ich setze mich auf einen freien Platz und stecke mir die Kopfhörer in die Ohren, um mich mit Musik etwas abzulenken. Ich fahre ungefähr zehn Minuten, danach hält der Bus an meiner Schule. Kurz überlege ich, einfach sitzen zu bleiben und zu warten, wohin mich der Bus bringt, aber die abgestandene Luft vom Kohlenstoffdioxid fremder Leute bereitet mir Kopfschmerzen. Also steige ich aus dem Bus. Es nieselt leicht, stelle ich fest, als ich langsam zur Schule laufe. Ich schaue auf meine Sneakers, währenddessen ich an den ganzen Schülern vorbei laufe. Bloß niemanden anschauen. Sonst denken die noch, ich habe Interesse an ihnen. Was ich natürlich nicht habe. Alle haben ein schöneres Leben als ich und das ist alles was ich wissen muss.
'Hey Rain!', höre ich eine Stimme hinter mir.
Genervt verdrehe ich meine Augen. Ich habe keinen Bock mit jemanden zu reden. Wie eigentlich immer. Ich ignoriere die weibliche Stimme einfach und gehe weiter.
'Rain!' Mich fasst jemand an die Schulter. Ich fahre herum.
Grüne Augen funkeln mir entgegen und weißen Zähne blitzen auf.
'Was willst du, Avery? ' Ich spucke den Namen regelrecht aus, obwohl ich weiß, dass sie es bevorzugt Ave genannt zu werden. So merkt sie wenigstens, dass sie mich nervt.
' Nichts.. Ich wollte dir nur Hallo sagen. ', antwortet sie leise.
Sofort beiße ich mir auf die Zunge. Sicher, das war nicht besonders nett von mir, aber merkt sie nicht, dass ich keine Lust auf ein Gespräch habe? Da bin ich wieder bei dem Thema: Sie verstehen mich nicht.
' Sorry, bin heute nicht gut drauf. ', sage ich und wende mich von ihr ab.
' So, wie eigentlich immer, oder? Was ist los? ', Ave lacht leise.
Sie hat doch nicht die kleinste Ahnung, warum ich so bin. Was denkt sie sich? Avery soll sich gefälligst aus meinem scheiß Leben raus halten und zu ihren reichen Eltern gehen, die ihr sicherlich alles in den Arsch schieben.
' Geht niemanden was an.', sage ich abweisend und gehe mit schnellen Schritten in das Schulgebäude. Ave folgt mir nicht. Ich habe sie vergrault, wie schon so viele andere Menschen zuvor. Langsam gehe ich durch die Gänge. Manche Schüler gucken mich an, wenn auch nur kurz. Andere bemerken mich gar nicht. Sie sind alle zu sehr mit sich selbst beschäftigt und das ist auch gut so. Hauptsache sie lassen mich in Ruhe. Keine Ahnung, warum ich seit Keiras Tod so auf Abstand gehe.. Vielleicht ist es die Angst jemanden zu verlieren. Wieder zu vermissen. Wieder dieses Gefühl zu haben, alleine auf der Welt zu sein. Dieses Gefühl wünsche ich niemandem, auch wenn ich gerade wieder merke, wie sehr ich die Menschen hasse. In Gedanken versunken drehe ich die Kombination zu meinen Spind und hole ein Buch heraus, welches ich jetzt brauche. Der äußerst einladende Gong, der die Stunde ankündigt, lässt mich auffahren. Ich verdrehe meine Augen und schmeiße die Tür meines Spinds wieder zu. Meine Füße tragen mich zum Raum 312. Als ich diesen betrete, sitzen schon alle auf ihren Plätzen und glotzen mich dumm an. Das nächste Mal komme ich mit ausgestrecktem Mittelfinger in den Raum. Manche wenden den Blick wieder ab, nur ein Typ glotzt weiter.
'Was glotzt du so? Hast du kein eigenes Leben?',zische ich.
Er sieht mich erstaunt an. Ein paar Gesichter drehen sich zu uns um, doch ich achte nicht weiter auf sie. Langsam gehe ich an meinen Platz ganz hinten in der Ecke und lasse mich auf den Sitz fallen. Warum mache ich mich so unbeliebt? Wieso kann ich mir meine beschissenen Kommentare nicht verkneifen? Aber vielleicht ist es auch besser, wenn mich niemand mag und wenn ich das auch weiß. So kann man wenigstens nicht verletzt oder enttäuscht werden.
Unser Lehrer betritt den Raum. Willkommen in der Hölle, Rain.

Rain fallsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt