Meinungen - D R E I

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Liebevoll klatscht mir die äußerst hygienisch aussehende Frau irgendeine sehr Appetit erregende Pampe auf den Teller, deren Zutaten sie wahrscheinlich vor ein paar Stunden hinten im Müll fleißig gesammelt hat. Okay. Eindeutig zu viel Sarkasmus. Außer das mit dem Müll.
Ich suche mir einen Tisch, an dem noch niemand sitzt. Irgendwo hinten in der Mensa ist noch ein Tisch frei. Langsam balanciere ich mein Tablett in Richtung des leeren, bemalten Holzdings und setze mich hin. Mein Blick gleitet durch den Raum zu den anderen Schülern. Sie lachen, knutschen und manche bewerfen sich sogar mit Essen. Kann ich ihnen ehrlich gesagt nicht übel nehmen. Zu was anderem ist dieser Fraß ja auch gar nicht gut. Alle sind glücklich. Alle haben ihre Freunde. Niemand ist einsam. Niemand ist so wie ich. 'Hör auf so zu denken! Es ist gut alleine zu sein.', sage ich leise zu mir und lasse die Pampe wieder von meinem Löffel gleiten, den ich gerade unbewusst zum Mund geführt habe. Gelangweilt stütze ich mein Kinn auf meine Hand.
'Hey. ', sagt eine Stimme leise. Ich schaue auf und entdecke Ave. Irgendwie bin ich froh, sie zu sehen. Warum auch immer.
'Hi.', sage ich und zwinge mich zu einem Lächeln, ich habe sie heute schon genug dumm angemacht.
'Darf ich.. Mich zu dir setzen?',fragt sie schüchtern. Habe ich sie so eingeschüchtert? Bin ich wirklich so schrecklich?
'Klar. ', krächze ich und räuspere mich. Ave setzt sich mir gegenüber.
' Willst du gar nichts essen? ', fragt sie und isst einen kleinen Bissen vom Müllsmoothie.
' Eher nicht so. Ich denke danach habe ich noch weniger im Magen als vorher. '
Das Mädchen, mit den zugeben schönen grünen Augen, lacht.
'Schmeckt nicht so schlecht, wie es aussieht.'
Ich schüttele den Kopf, um ihr klar zu machen, dass davon nichts essen werde. Dann fasse ich mir ein Herz.
'Ave.. Es tut mir leid, dass ich heute morgen so war.'
'Schon gut. Ich bin manchmal auch nicht so gut drauf. ', lächelt sie und isst weiter.
Ich lache trocken. Sie ignoriert das und hat schon bald alles aufgegessen.
' Willst du wirklich nichts essen? ', fragt sie und sieht mich an.
' Nein. Keinen Hunger. ', antworte ich und stütze mein Kind wieder auf der Hand auf.
Ave wendet den Blick ab und winkt einem Jungen zu.
' Tut mir leid, Rain. Ich muss los. ' Ave zeigt mir ihre perfekten weißen Zähne und lässt mich wieder allein.

✵✵✵

' Der Autor schreibt über den Tod. Was sind eure Meinungen über dieses Thema? '
Mr. Daniel, mein Deutschlehrer, sitzt mit halbem Arsch auf seinem Pult und mustert uns.
Die Dümmste der Klasse nickt eifrig und streckt ihren Arm in die Höhe . Ich verdrehe die Augen und lehne mich gelangweilt im Stuhl zurück.
'Tod bedeutet für mich viel Trauer. Die Menschen die sterben, sind dann für immer weg. Hoffentlich kommen sie dann in den Himmel.. ', plärrt die in den Unterricht rein, ohne dass Mr. Daniel sie überhaupt dran genommen hat.
' Ja.. Danke Charlotte. Das ist eine Meinung. Und die anderen? '
Er lässt seinen Blick durch die Klasse gleiten. Schließlich bleibt er an mir hängen.
' Rain? Was ist deine Meinung? ', fragt er mich.
Ich stöhne innerlich auf. Kurz überlege ich,  nichts zu sagen und einfach geistesverwirrt zurück zu starren, doch ich beginne zu sprechen.
' Tod ist für manche vielleicht der einzige Ausweg, diesem Leben zu entfliehen. '
' Wie meinst du das genau? '
' Nicht jedem geht es gut auf der Welt. Nicht jeder hat die Kraft weiter zu leben. Wenn man tot ist, dann ist der Schmerz nicht mehr da. Nichts ist mehr da. Und das ist vielleicht das beste, was jemandem passieren kann, wenn man keine Kraft mehr hat', spreche ich meine Meinung aus. Die ganze Klasse ist ruhig. Wissen sie, dass ich mir gerade aus der Seele spreche? Dass ich keine Kraft mehr habe? Ich lasse mir nichts anmerken. Sollen sie doch denken, was sie wollen.
Mr. Daniel räuspert sich. ' Das war mal eine andere Meinung. Danke Rain.'
Der Gong beendet die Stunde und alle springen auf. Ich erhebe mich langsam von meinen Stuhl und gehe in Richtung Tür.
'Rain? ', ertönt die Stimme meines Lehrers hinter mir. Ich bleibe stehen und drehe mich um.
' Kommst du bitte kurz zu mir?'
Ich wusste, dass meine Antwort Konsequenzen haben wird. Ich verdrehe die Augen und stelle mich an sein Pult.
Der Raum ist still und ich höre den Zeiger der Uhr, der an die vergangenen Sekunden erinnert.
Ich sehe Mr. Daniel an und erhebe ungeduldig meine Augenbrauen. 'Ich hab auch noch ein Leben außerhalb der Schule, Sir', sage ich.
Er lacht nervös. 'Deine Antwort gerade eben, bereitet mir Sorgen.'
'War meine Meinung. Was ist dabei?', frage ich und blicke an seinem Kopf vorbei an die noch beschriebene Tafel.
'Nichts, nur.. Es klang nicht sehr.. Naja.. Es klang so, als wäre der Tod für DICH nur der einzige Ausweg. Nur das stimmt nicht. Du wirst gebraucht. ' Ich merke, wie er versucht, meine Aufmerksamkeit wieder zurückzubekommen. Mein Blick klebt aber immer noch an der Tafel, deren Gekritzel langsam vor meinen Augen verschwimmt.
Auch, wenn ich abwesend wirke, höre ich ihm genau zu. Mr. Daniel will mir jetzt nicht ernsthaft sagen, dass ich gebraucht werde. Er ist verdammte scheiße mein Lehrer, der sich, genau wie alle anderen, nie für mich interessiert hat.
'Du kannst mir sagen, was dir auf dem Herzen liegt. Ich bin Vertrauenslehrer. Zusammen schaffen wir vielleicht, dass du wieder glücklich wirst. ', spricht er weiter, da er wohl gemerkt hat, dass ich wohl nicht auf sein Phsycho Gelaber antworten werde.
Will der mich jetzt komplett verarschen? Was denkt er sich? Dass ich jedem scheiß Menschen, meine Probleme in den Arsch schiebe? Sicherlich nicht.
'Danke. Ich komm schon klar. ', sage ich lauter und genervter als gewollt. ' Wem ich meine Probleme erzähle, entscheide immer noch ich. Aber eins ist klar. Lehrern, die mich jeden Tag in der Schule quälen, sind wohl die letzten Kreaturen, den ich meine Probleme erzähle. ' Damit gehe ich mit schnellen Schritten zur Tür, doch ich spüre deutlich seine Blicke in meinen Rücken und bemerke jetzt erst, dass ich das Feuer erst richtig entfacht habe...
Mr. Daniel wird mich nie wieder in Ruhe lassen.

Rain fallsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt