Nutzlos - A C H T

35 6 0
                                    

Die weißen Wände scheinen mich zu erdrücken. Die Helligkeit sticht in meinen Augen. Ich starre auf meine Hände, die ich im Schoß zusammen gefaltet habe. Zugegeben, ich bin etwas nervös. Aber wenn du dir vorstellst, dass du in einem stillen Klassenzimmer sitzt, in dem nur das Geräusch des Sekundenzeigers zu hören ist und dir Gegenüber Mr. Daniel sitzt und dich wie gestört anglotzt, wärst du glaube ich auch nervös.
An meinen Armen spüre ich immer noch den harten Griff von Mr. Daniel, der mich vorhin von Charlotte hoch gezogen hat. Danach hat er mich in das Zimmer geschleppt, und ja, jetzt sitzen wir hier. Ich tue so, als wäre ich völlig abweisend, obwohl ich alles was um mich herum passiert eindeutig wahrnehme, so auch den Blick von meinem Gegenüber, der mich zu durchbohren scheint.
'Rain.. ', bricht Mr. Daniel plötzlich das Schweigen.
' Wenn du mir nicht erklärst, warum das mit Charlotte passiert ist, kann ich leider nicht von einem Besuch beim Direktor absehen.'
Will er mir Angst machen? Also ein fetter Direktor, der jeden Tag regelrecht durch die Flure rollt, ist alles andere als angsteinflößend.
'Mir egal.', sage ich und zwinge mich, Mr. Daniel anzusehen.
'Hatte zwar keine Lust seinem verschwitzten Körper sonderlich nahe zu sein, aber da kann man wohl nichts machen.' Ich zucke mit den Schultern und lächle Mr. Daniel falsch an.
'Warum bist du so stur?', fragt er mich und sieht mir die ganze Zeit tief in die Augen.
Sein tiefer Blick hält mich fest, umschlingt mich und lässt mich nicht mehr los.
'Ich will dir helfen, Rain. Ich werde nicht locker lassen, bis du mir endlich deine Probleme erzählst. Ich will und kann dir helfen. Wir kriegen das hin. Zusammen.'
Ich schaffe es, mich aus dem Blick loszureißen und schnaube verächtlich auf.
'Niemand kann mir helfen, okay?! ', schreie ich.
'Ich will mir von Menschen, zu denen ich kein Vertrauen habe nicht helfen lassen. Und hören Sie auf zu sagen, dass WIR das schaffen. Sie wissen doch nicht im geringsten, was ich durch mache. Sie wissen rein gar nichts über mich!'
Ich stehe auf und laufe mit schnellen Schritten zur Tür.
Mr. Daniel sprintet wie geistesgestört hinter mir her, nimmt meine Hand und dreht mich um.
Ich sehe perplex zu meiner Hand, die immer noch von Mr. Daniel fest gehalten wird. Dann fasse ich mich wieder und ziehe schnell meine Hand aus seiner.
'Rain, ich will nicht, dass du auf dumme Gedanken kommst. Ich will dich nicht verlieren. '
'Sie sind mein scheiß Lehrer, verdammt.', brülle ich ihn an.
'Rain, bitte. ' Mr. Daniel kommt näher an mich heran und legt vorsichtig seine Hand auf meine Schulter.
'Ich will dir nichts Böses, nur helfen. Vertrau mir.'
'Fassen sie mich nicht an.', zische ich und gehe einen Schritt zurück.
Plötzlich wird die Tür hinter uns geöffnet.
'Hier sind sie, Mrs. Heather. ', höre ich eine Stimme und drehe mich zur Tür. Dort steht unsere Sekretärin und atmet schwer.
' Ihre Mutter...', beginnt sie.
'Was ist mit meiner Mutter? ', frage ich ernsthaft erstaunt.
Die Frau lehnt sich an den Türrahmen.
' Sie... liegt im Krankenhaus. Ich weiß nichts genaueres. Wahrscheinlich hatte sie eine Stressattacke. ', antwortet sie mir.
' Scheiße. ', flüstere ich.
' Sie können gern vom Unterricht frei gestellt werden, um sie zu besuchen. ', sagt sie und lächelt mich warm an.
Ich würde alles machen, um Mr. Daniels Griffeln zu entfliehen. Also nicke ich, nehme meinen Rucksack und gehe an der Sekretärin vorbei zur Tür, ohne Mr. Daniel eines Blickes zu würdigen.
' Danke. ', sage ich leise zu der Sekretärin, die mir irgendwie sympathisch ist und verlasse das Zimmer.

Der Bus ist leer, draußen nieselt es. Der Himmel ist grau und lässt meine Heimatstadt richtig hässlich aussehen. Diese Welt ist scheiße, unsere Gesellschaft ist scheiße und mein Leben ist es auch. Ich schaffe es einfach nicht mehr, ich will es nicht mehr. Mir kommen Charlottes Worte in den Sinn. Du bist ein Haufen Dreck, Rain.
Und sie hat Recht. Ich bin ein Haufen Dreck. Ich bin nutzlos.
Ich lehne meinen Kopf an die kalte Scheibe und schließe die Augen. Das Einzige was ich kann, ist Menschen zu vergraulen. Wie Mr. Daniel, der mir eigentlich nur helfen will, auch, wenn er es auf eine andere Art hätte tun können. Aber was mache ich? Ich brülle ihn an. Mir ist einfach nicht mehr zu helfen.
Der Bus hält nicht weit vom Krankenhaus und ich steige aus. Sofort spüre ich leichten Regen auf meiner Haut. Ich setze die Kapuze meiner Jacke auf und laufe auf das große Gebäude zu. Gleich sehe ich Mom wieder. Nicht so flüchtig, wie sonst immer. Nein, jetzt muss ich wirklich Zeit mit ihr verbringen.

Rain fallsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt