Prolog

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Data: Jake_Francis / Subject 7.16
Date/Time: 10.24.2021 2:36pm

Ein höllischer Schmerz in seinem Oberarm weckte ihn auf. Langsam öffnete er seine Augen. Alles um ihn herum schien verschwommen und drehte sich im Kreis herum. Vielleicht war es auch er, der sich im Kreis drehte. Doch er erkannte grün. Und grelles Licht.
Nach und nach wurde seine Sicht wieder schärfer und er erkannte, dass das grün über ihm von Laub rührte. Er lag in einem Wald, mitten auf einer kleinen Lichtung. Die Luft war feucht und warm und er fühlte sich verschwitzt und durstig.
Als er die Augen wieder schloss, sah er das alles wieder vor sich. Das Flugzeug, in zwei Teile zerbrochen, überall schreiende und blutende Menschen. Gepäck flog durch die Passagierkabine und wurde wie von einem riesigen Staubsauger nach hinten aus dem Flugzeug gesogen. Verzweifelt presste er die Luftdruckmaske auf Mund und Nase, weil er nicht wusste, was er sonst machen sollte.
Obwohl seine Augen noch immer geschlossen waren, rannen ein paar vereinzelte Tränen seine Wangen hinunter. Er konnte sich an alles ganz genau erinnern. An die Angst, die er gehabt hatte, an den Jungen neben ihm, der verzweifelt versucht hatte, sich irgendwo festzuhalten und dann fortgeschleudert wurde. An das viele Blut und an den Schmerz, der noch immer nicht verschwunden war.
Nach einer Weile traute er sich, die Augen wieder zu öffnen. Fast hätte er damit gerechnet, wieder dort zu sein. In dem Flugzeug. Und wieder alles vor sich sehen zu müssen. Es war beinahe eine Erleichterung, nur den stillen, grünen Wald vor sich zu haben. Vorsichtig versuchte er, sich aufzusetzen und hätte beinahe vor Schmerz aufgeschrien, denn seine Rippen brannten wie Feuer. Und der stechende Schmerz in seinem rechten Oberarm, der ihn aufgeweckt hatte, hatte sich noch mehr verschlimmert.
Er drehte seinen Kopf und tastete behutsam seinen Arm ab. Als er gegen etwas Kaltes stieß und eine warme Flüssigkeit über seine Hand rann, stieß er einen kurzen Schmerzenslaut aus und biss die Zähne zusammen, um dem plötzlichen Drang, sich zu übergeben, zu wiederstehen.
Ganz ruhig. Da steckt bloß ein Stück Metall in deinem Arm, aber das kriegst du da schon irgendwie raus. Also bleib verdammt noch mal ruhig! dachte er und atmete einmal tief durch.
Was sollte er jetzt tun? Das Ding rausziehen oder lieber erst einmal nach jemandem zu suchen, der mehr Ahnung von so etwas hatte? Er konnte nicht der einzige Überlebende sein und unter den anderen Passagieren muss doch jemand gewesen sein, der sich mit solchen Dingen auskannte.
Aber was, wenn er doch der einzige war? Wenn um ihn herum nur leerer Wald war, oder - noch schlimmer - ein Wald voller Leichen? Wenn nie jemand herausfinden würde, was mit dem Flugzeug geschehen war und er für den Rest seines Lebens durch diese Wälder streifen würde, in der Hoffnung, wieder zurück zu seiner Familie, zu seinem Zuhause, zu finden?
Er schüttelte den Kopf, als könnte er die Gedanken damit vertreiben. Er durfte nicht so pessimistisch sein. Bestimmt würde jemand kommen und bestimmt würde er zurück nach Hause kommen.
Was aber sollte er mit seinem Arm machen? Das Metall einfach darin stecken zu lassen kam ihm nicht wie die beste Idee vor, es rauszuziehen aber ebenso wenig.
Vielleicht sollte er den Arm erst einmal mit etwas abbinden, um das Blut daran zu hindern, unaufhörlich herauszulaufen. Entschieden riss er einen Streifen seines T-Shirts ab und versuchte es mit seiner linken Hand und seinen Zähnen halbwegs fest um seinen Arm zu binden, ohne vor Schmerzen zu schreien.
Dann stand er auf. Einen Moment lang war alles schwarz, doch dann löste sich die Dunkelheit in kleine, tanzende Punkte auf und er konnte wieder halbwegs klar sehen.
Der Wald erstreckte sich in alle Richtungen, soweit das Augen reichte. Wenn er nicht verletzt wäre, würde er jetzt auf einen der Bäume klettern um sich erst einmal einen Überblick zu verschaffen, aber so hatte er keine andere Wahl, als orientierungslos durch die Gegend zu streifen und nach jemandem zu suchen, der ihm helfen konnte.

Minute um Minute stolperte er durchs Unterholz und versuchte, alles, was nicht mit seiner wohlgemerkt bescheidenen Situation oder mit seinem Überleben zu tun hatte, aus seinem Kopf zu verbannen. So ganz funktionierte das nicht, denn immer wieder musste er an zuhause denken. Daran, wie seine Mutter ihm eine gescheuert hatte, wenn er mit seinen Freunden mal wieder Mist gebaut hatte, wie sie ihn dann in den Arm genommen hatte, um ihm zu sagen, dass sie sich bloß Sorgen um ihn machen würde. Wie er seiner kleinen Schwester bei den Chemiehausarbeiten half, obwohl er selbst nichts davon verstand. Und wie stolz er immer gewesen war, wenn sie die Dinge besser gemacht hatte, als er damals.
Und obwohl es ihm nicht weiterhalf, einen Ausweg aus dieser Misere zu finden, trotzdem spornte es ihn an. Es brachte ihn dazu, wieder aufzustehen, als er an einem Ast hängen blieb und hinfiel. Es brachte ihn dazu, weiter zu laufen, obwohl die Schmerzen in seinem Brustkorb und seinem Arm immer mehr zunahmen und nicht stehen zu bleiben, als der provisorische Verband an seinem Arm sich mit Blutvollgesogen hatte.
Und endlich, nach gefühlten Stunden sah er etwas Helles zwischen den Bäumen hindurchblitzen. Die Luft roch salzig und die Pflanzen standen hier nicht mehr so dicht beisammen. Er ging in die Richtung weiter, in der er den hellen Boden gesehen hatte. Nach einer Weile erkannte er, dass es Sand gewesen sein musste.
Und er hörte laute Stimmen und Geschrei von dort. Seine Schritte wurden schneller, halb lief, halb taumelte er nun durch das Geäst und wäre beinahe über etwas gestolpert, das vor ihm auf dem Boden lag.
Er blieb stehen, doch nur einen Moment später wünschte er, er wäre einfach weitergegangen und hätte nichts davon sehen müssen. Das Hindernis, über das er gestolpert war, war kein Ast und auch kein Stein. Es waren Beine. Ein ganzer Körper. Er lehnte an einem der Bäume und überall war getrocknetes Blut und Fliegen.
Er spürte, wie ihm die Galle hochkam und ein paar Schritte weiter fiel er zitternd auf die Knie und übergab sich. Wieso? Wieso musste das ausgerechnet ihm passieren? Er hatte nie etwas besonders Böses getan. Nichts, wofür er das hier verdient hätte.
Mit weichen Knie richtete er sich auf und wiederstand dem unnatürlichen Drang, noch einmal zu dem toten Körper zu blicken. Er musste weiter. Dorthin, wo er die Stimmen gehört hatte. Dort musste jemand sein, der ihm helfen konnte.
Schritt für Schritt quälte er sich vorwärts, bis er letztendlich weichen, nachgiebigen Sand unter den Füßen spürte. Sehen konnte er nichts, denn als er aus dem Wald getreten war, wurde er sofort von der prallen Sonne geblendet. Mit halb zugekniffenen Augen trat er vor, doch seine Beine wollten ihn nicht mehr tragen. Wieder tanzten schwarze Pünktchen vor seinen Augen und diesmal wollten sie nicht verschwinden. Er fiel unsanft zu Boden und das letzte, was er mitbekam, bevor er das Bewusstsein verlor, war, wie jemand neben ihm auf die Knie fiel und rief: „Holt Evan! Sofort!"


Bloodstained SandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt