Tag Eins

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Data: Dylan_Crise / Subject 7.8
Date / Time: 25.11.2024 07:42am

Der Raum, in dem er lag, war weiß. Alles war weiß. Selbst sein ausgemergelter Körper war weiß wie Schnee. Fast durchsichtig. Seit so langer Zeit war er nicht mehr draußen gewesen. Und so lange war er nicht mehr zuhause gewesen. Sie sagten, sein Zuhause wäre jetzt gefährlich. Sie sagten, er könnte seine Eltern jetzt nicht sehen. Sie sagten, wenn er brav sei und die Tests bestand, könnte er bald zu ihnen zurück. Und die weiße Frau schaute ihn dann mitleidig an. Alles an ihr war weiß. Genauso wie dieser Raum. Selbst ihre Haare waren weiß, obwohl sie nicht alt war.
Aber jetzt war die weiße Frau nicht da. Sie war schon gestern nicht da gewesen. Und am Tag davor auch nicht. Er vermisste sie. Sie hatte ihn nicht immer so angesehen, als hätte er etwas falsch gemacht. Doch jetzt war sie fort. Sie sagten, sie sei jetzt auch gefährlich.
„Erhöhen Sie die Dosis.", befahl einer der Ärzte und starrte mit kalter Miene zu ihm herunter.
„Aber, Sir. Die anderen Testsubjekte sind noch nicht bereit dafür. Sie werden das nicht verkraften!"
„Tun Sie, was ich sage, oder Sie können sich ein anderen Job suchen! Ich bin mir sicher, beim Selektieren haben sie noch Plätze frei."
Er spürte, wie eine kalte Flüssigkeit in seinen Arm gespritzt wurde. Augenblicklich konnte er sich nicht mehr bewegen. Es fühlte sich an, wie ein eingeschlafenes Bein, nur im ganzen Körper. Und dann tat alles nur noch weh.
Aber er schrie nicht. Sie hatten gesagt, wenn er brav sei, konnte er seine Eltern wiedersehen. Und er war sich sicher, sie vermissten ihn so sehr, wie er sie.

Das Plätschern von Wasser drang an Dylans Ohr und weckte ihn langsam aus seinem Schlaf. Nur noch ein paar Minuten, dachte er und versuchte, das stetige Geräusch auszublenden. Aber es hatte keinen Sinn. Sein Kopf war schon hellwach und wollte ihm die Ruhe nicht gönnen, also gab er auf und öffnete die Augen.
„Na, gut geschlafen?", fragte eine Stimme über ihm und er setzte sich verwirrt auf. Raya stand in der Tür und blickte lächelnd auf ihn herab. Sofort fielen ihm die Ereignisse des gestrigen Abends wieder ein. Und ihm wurde klar, wo er war. Jetzt hatte er noch weniger Lust, seinen Schlafplatz zu verlassen, auch wenn er nicht grade gemütlich war.
„Du solltest langsam wirklich aufstehen. Wir haben sogar heute eine Ausnahme gemacht, weil doch heute dein erster Tag ist."
Sein Blick wanderte durch die Hütte, in der er geschlafen hatte. Die beiden Matten neben ihm waren leer. Er konnte sich nur noch wage daran erinnern, wer noch in dieser Hütte schlief. Gestern war er todmüde gewesen, als er entschied, sich zum Schlafen zurückzuziehen und er war beinahe sofort eingeschlafen.
Wiederwillig stand er auf. Raya würde sonst wohl nie verschwinden. Sie nickte zufrieden und trat nach draußen.
Als er sich unter dem niedrigen Türrahmen der Hütte her duckte und neben sie trat, bemerkte er, wie brütend heiß es schon jetzt war. In der Nacht hatte er sogar ein wenig gefroren, aber jetzt konnte er sich plötzlich nicht mehr vorstellen, wie sich das überhaupt anfühlte.
„Du kannst dich bei den Felsen waschen gehen. Einfach dem Bach da folgen." Sie zeigte auf einen kleinen Bach, der aus dem Wald heraus quer über den Strand lief. „Wenn du fertig bist, kannst du dir bei Adan etwas zu essen holen, außerdem kann er bestimmt eine helfende Hand gebrauchen."
Dylan sah sich um. Wo genau war noch mal Adan's Hütte? Er stand an einem ganz anderen Teil des Strandes und brauchte eine Weile, um sich zu orientieren. Als er endlich entdeckt hatte, wonach er gesucht hatte, war Raya bereits verschwunden.
Na toll, also bin ich mal wieder ganz auf mich allein gestellt, dachte er und seufzte. Doch was Raya gesagt hatte - von Wasser, mit dem er sich waschen konnte und etwas zu essen - hörte sich gar nicht so schlecht an. Also ging er zu dem Bach hinüber und folgte ihm gegen den Strom, bis in den Wald hinein.
Nach einigen hundert Metern wurde der Boden felsiger und ging leicht aufwärts. Über eine, etwa drei Meter hohe Felskante stürzte das Wasser herab, das den Bach näherte. Das musste die Stelle sein, die Raya gemeint hatte.
Zum Glück schien das Wasser recht sauber zu sein, also zog er kurzerhand sein T-Shirt und seine Hose aus und legte sie über einen Stein in der Nähe. Dann stellte er sich unter den Wasserfall, der überraschend kalt war.
Fluchend fuhr er sich mit der Hand über seine Wange, als diese plötzlich zu brennen anfing. Der Schnitt fiel ihm wieder ein, den Jake ihm gestern zugefügt hatte. Was für ein blöder Arsch, dachte er und betrachtete die Hand, die er auf die Wunde gepresst hatte. Immerhin blutete sie nicht mehr. Er trat unter dem herunterdonnernden Wasser hervor und zog sich seine Kleidung wieder über. Die Haut war dort, wo sie gestern nicht von Stoff bedeckt gewesen war, knallrot und löste sich teilweise ab. Wie er sich gedacht hatte, ein Sonnenbrand. Er hatte nie erwartet je so etwas Gewöhnliches und Unnütz-erscheinendes wie Sonnencreme zu vermissen. Seufzend machte er sich auf den Weg zurück zum Strand.

Bloodstained SandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt