Data: Dylan_Crise / Subject 7.8
Date / Time: 11.24.2024 7:42pm„Wie kann das sein? Selbst die Anderen haben eine.", verlangte der blonde Junge aufgebracht zu wissen. Sie standen in Raya's Hütte und er unterhielt sich grade mit der Anführerin. Dylan stand neben der Tür und versuchte, zu verstehen, wovon sie da redeten.
„Ich weiß es nicht. Aber wie auch immer das möglich ist, es bleibt uns nichts anderes übrig, als ihm in der Hinsicht zu glauben. Letzen Endes würde es mich nicht überraschen, wenn das alles hier nicht das ist, was wir glauben. Du weißt..." Den Rest des Satzes konnte er nicht verstehen, denn Raya hatte ihre Stimme zu einem Flüstern gesenkt.
Von Minute zu Minute fühlte er sich unwohler und fing an, nervös von einem Fuß auf den anderen zu treten.
Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, drehte sich Raya um und kam lächelnd auf ihn zu. „Keine Angst, ich werde dafür sorgen, dass du nicht nochmal angegriffen wirst. Zumindest nicht von unserer Seite."
Sehr beruhigend klang das nicht, aber immerhin war das schon mal mehr, als noch vor wenigen Stunden. „Ich werde gleich eine Ankündigung machen, was das betrifft. Aber dass wir dir vertrauen, kannst du nicht von uns erwarten. Es ist noch nicht geklärt, wie du herkamst und dass du absolut nichts darüber weißt, kaufe ich dir nicht ab."
Natürlich verstand Dylan, das sie ihm nicht vertraute, aber, dass sie ihr misstrauen so offen äußerte, überraschte ihn.
Ich weiß wirklich nichts! Ich habe keine Ahnung, ich weiß noch nicht mal wo ich hier bin, würde er jetzt gerne rufen, aber er nickte bloß still.
„Morgen kannst du direkt mitanpacken und dich nützlich machen. Hier ist kein Platz für Faulpelze.", fügte der Blonde hinzu und ging an ihm vorbei aus der Hütte. Dylan verdrehte die Augen, dann trat er hinter Raya nach draußen und bemerkte, dass die Sonne bereits ganz untergegangen war. Einige Meter entfernt brannte ein großes Lagerfeuer, um das sich viel mehr Leute scharrten, als er am Nachmittag am Strand gesehen hatte. Er schätzte, dass es etwa fünfzig oder sechzig Leute sein mussten.
Und jetzt erkannte er, was sie alle gemeinsam hatten. Sie alle waren etwa im gleichen Alter. Er war einer der Jüngsten - wenn er mit seiner Schätzung, etwa sechzehn Jahre alt zu sein, richtig lag - und die Ältesten, wie zum Beispiel Adan, der Koch, schienen Anfang zwanzig zu sein. Ansonsten hätten sie nicht unterschiedlicher sein können. Sie schienen alle aus den verschiedensten Winkeln der Welt zu kommen. Das Chaos am Anfang, sich auf eine Sprache zu einigen, wollte er sich überhaupt nicht vorstellen und er war froh, dass sie sich für Englisch entschieden hatten.
Raya trat nach vorn und es dauerte nicht lang, bis es still wurde. Nur das Knistern des Feuers und leises Geflüster war noch zu hören.„Seit heute Nachmittag ist ein Neuer unter uns. Wie er hergekommen ist, wissen wir nicht, aber eine Sache ist klar: Er kommt nicht von den Anderen."
Rufe aus der Menge wurden laut. Viele schauten verwirrt drein, andere diskutierten wild drauf los. „Wo soll er den sonst herkommen?", rief jemand, Dylan konnte jedoch nicht erkennen, wer es gewesen war. „Ja! Es fällt doch niemand vom Himmel.", stimmte jemand anders der ersten Stimme zu.
„Ruhe jetzt!", brüllt Raya, lauter, als Dylan es ihr zugetraut hätte. Augenblicklich war alles still und sie sprach ruhig weiter.
„Da es nicht unsere Art ist, grundlos Leute umzubringen, werden wir ihn willkommen heißen."
Wieder ging ein Gemurmel durch die Menge, aber diesmal traute sich niemand, etwas dazwischen zu rufen.
Niemand schien besonders begeistert darüber zu sein, dass er hier war und Dylan stimmte ihnen ohne zu Zögern zu: Er wäre jetzt auch lieber woanders. Aber er konnte sich leider nicht in Luft auflösen und deshalb war er Raya äußerst dankbar, dass er jetzt nicht mehr als vogelfrei galt.
„Ich fordere euch nicht auf, ihm zu vertrauen. Aber meine Entscheidung, ihn nicht gleich hinzurichten, hat seine Gründe. Deshalb verlange ich von euch, dass ihr - solange er sich nichts zu Schulden kommen lässt - ihn behandelt wie alle anderen."
Bei den Worten solange er sich nichts zu Schulden kommen lässt durchbohrte Raya ihn mit drohenden Blicken. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Keine Sekunde zweifelte er daran, dass er mit dieser Verkündigung auf einem Hochseil lief. Ein falscher Schritt und es war vorbei mit ihm. Und mit verbundenen Augen würde es schwer werden, keinen falschen Schritt zu tun. Er wusste ja nicht mal, was von ihm verlangt wurde.
Das Gefühl vollkommender Einsamkeit, das er bis jetzt hatte unterdrücken können, kam wieder hoch und er wünschte sich nichts eher, als zuhause aufzuwachen und bei seiner Familie zu sein. Bei seiner Mutter und seinem Vater. Bei seiner nervigen Verwandtschaft, die ihn jedes Mal in die Verzweiflung trieb. Selbst sie vermisste er plötzlich. Doch jetzt war er hier und es fühlte sich an, als hätte jemand eine Linie um ihn herum gezogen, die es ihm unmöglich machte, sich den anderen anzuschließen. Er war außen vor. Und nichts würde etwas daran ändern. Und zurück konnte er auch nicht ohne weiteres. Vielleicht würde er niemals wieder zurückkommen.
Reiß dich zusammen, du kannst jetzt nicht losheulen, sagte er sich selbst und schluckte die aufkommende Trauer hinunter.
Raya's Rede war offensichtlich angekommen und damit schien das Thema für alle erledigt zu sein, denn sie widmeten sich sofort wieder dem, was sie zuvor getan hatten. Dylan bewunderte, wie gehorsam sie Raya's Ansagen befolgten. Sie mussten ihr blind vertrauen.
Davon aber abgesehen wusste er wirklich nicht, wie er sie einschätzen sollte. In einem Moment war sie die freundlichste Person, die er bis jetzt hier getroffen hatte, im nächsten drohte sie, ihn umzubringen, wenn er auch nur den kleinsten Fehler machte. Vielleicht ist es das, was dieser Ort aus den Leuten macht, dachte er bei sich.
Der blonde Junge klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter und riss ihn damit aus seinen düsteren Gedanken. „Du solltest was essen, morgen wird ein harter Tag."
Wortlos befolgte Dylan seinen Rat und ließ sich von Adan, der bei einem großen Kochtopf stand, eine Holzschüssel mit Eintopf füllen. Dann ging er zum Feuer hinüber und setze sich auf den sandigen Boden.
Einige Minuten später ließ sich der blonde Junge neben ihn in den Sand fallen.
„Ist nicht einfach, hm? Wenn niemand einem traut.", sagte er und fing an zu essen. Dylan sah ihn überrascht an. Grade eben hatte sich das noch ganz anders angehört. Woher der plötzliche Sinneswandel?
„Hat Raya dir gesagt, du sollst meinen Babysitter spielen? Wenn ja, kannst du ihr ausrichten: ich komme auch so klar."
Der Junge lachte leise. „Hat sie nicht. Aber weißt du, ich glaube, sie hat mehr Verständnis für deine Situation, als irgendjemand sonst. Du hast wirklich Glück, dass sie nebenbei auch unsere Anführerin ist."
Neugierig horchte Dylan auf. „Wieso sollte sie das verstehen?"
„Sie ist selbst erst später aufgetaucht, als die anderen. Eigentlich wäre Adan unser Anführer. Aber als sie aufgetaucht ist, hat er sich lieber in die Küche zurückgezogen."
Jetzt verstand er überhaupt nichts mehr. „Sie ist einfach so aufgetaucht?", harkte er nach. Der Junge seufzte.
„Sagte ich doch grade. Es war etwa zwei Wochen nach dem Absturz. Damals haben wir uns nichts dabei gedacht, wir haben geglaubt, sie wäre einfach nicht gleich gefunden worden. Nach dem Absturz haben wir den Wald nach Überlebenden abgesucht, sie waren überall verstreut. Lebendig, Tot, im Sterben liegend. Es war der Horror."
„Was für ein Absturz?", fragte er dumpf. Er wollte den Jungen unbedingt am Reden halten, denn vor seinem inneren Auge war ein Bild aufgetaucht, das er nicht sehen wollte. Aber es wollte einfach nicht aus seinen Gedanken verschwinden. Er sah zerrissene Körper, über den ganzen Waldboden zerstreut. Manche atmen noch oder schreien, versuchen sich irgendwie am Leben zu erhalten, in mitten von Leichen. Er musste dem plötzlichen Drang, sich zu übergeben wiederstehen.
„Wir sind mit dem Flugzeug abgestürzt.", erklärte der Junge. Eine Weile herrschte betroffene Stille zwischen ihnen. Der Ausdruck im Gesicht des Blonden war schwer zu deuten, es schien, als würde er dagegen ankämpfen, dass alles noch einmal vor sich zu sehen.
„Wo sind wir hier überhaupt? Warum lebt ihr hier, anstatt in der Zivilisation?", fragte Dylan, um auf ein anderes Thema zu kommen. Vielleicht würde er etwas Nützliches erfahren, dass ihm half, von hier wegzukommen.
Der Junge schaute ihn überrascht an, dann sah er zum Feuer, als würde er überlegen, wie er das beantworten sollte.
„Es ist nicht so einfach, wie du es dir anscheinend vorstellst. Wir haben tagelang den Wald durchstreift und nach Dörfern oder Städten gesucht. Wir sind immer noch hier, wie du siehst."
„Ihr habt nichts gefunden? Warum habt ihr nicht weitergesucht?"
Der Blick des Jungen verdunkelte sich. „Wir haben alles abgesucht. Es ist eine Insel. Etwa ein Tagesmarsch bis zur anderen Seite, drei wenn man an der Küste entlangläuft. Kein Festland in Sichtweite, von nirgendwo aus."
Er könnte sich selbst ohrfeigen, dass er nicht schon selbst auf die Idee gekommen war. Auf einmal schienen die Hütten und Waffen nicht mehr primitiv sondern nützlich. Das Verhalten dieser Leute war plötzlich verständlich. Und seine Hoffnung, sich allein auf den Weg nach Hause zu machen, rückte in unendliche Ferne. Er saß hier fest.
„Wie lange seit ihr schon hier?"
Sicher, dass er die Antwort hören wollte, war er nicht, aber er musste es einfach wissen. Es mussten mindestens ein paar Monate sein, alle hier schienen bereits eine eingeschworene Gruppe zu sein und immerhin hatten sie es zustande gebracht, all die Hütten zu bauen.
„Genau vor einem Monat waren es drei Jahre."
Dylans Gedanken schlugen vollkommen durcheinander. Drei Jahre? Wie sollte er da je nach Hause kommen? Wie hatten sie das so lange durchgehalten?
Aber der Gedanke, der am meisten durchschien war, dass er seine Familie nie wiedersehen würde. Und dass er mit diesem Gedanken wahrscheinlich Recht hatte, machte ihm Angst.
„Jetzt aber mal genug mit dem Rumgefrage.", riss ihn der Blonde aus seinen Gedanken und stieß ihn auffordernd an. „Wenn du möchtest, stelle ich dir ein paar von unseren Leuten vor."
Dylan nickte und stand auf. Die halbleere Schüssel mit Eintopf ließ er stehen, denn die Vorstellung von eben und die plötzliche Hoffnungslosigkeit hatten ihm den Appetit verdorben.
Sie gingen um das Feuer herum und der Junge zeigte auf einen Jungen und ein Mädchen, die zusammen saßen und über irgendetwas diskutierten.
„Das sind Evan und Abdi. Sie kümmern sich um die Verletzten. Und, bevor du fragst: Evan möchte mit er angesprochen werden, obwohl er als Frau geboren wurde."
Dylan sah ihn verwirrt an, doch er winkte nur ab. „Tu's einfach. Ist so 'ne Respektsache."
Wir gingen weiter um das Feuer herum und er zeigte in die Richtung, in der Carrie saß. „Das dahinten ist Carrie, sie hast du ja anscheinend schon kennengelernt. Manchmal ein bisschen unleidlich, aber wenn du nett zu ihr bist, ist sie normalerweise auch nett zu dir. Außerdem ist sie die Anführerin der Erkunder. Die suchen die Umgebung ab und patrouillieren die Grenzen unseres Territoriums, damit es keinen Stress mit den anderen gibt."
Eine kleine Pause entstand, als sie an der Essensausgabe vorbeigingen.
„Wer sind eigentlich diese Anderen, von denen ihr andauernd redet?", fragte Dylan neugierig, aber der Junge ignorierte ihn und redete einfach weiter. „Das mit dem Essen wird hauptsächlich von Adan geregelt, wie du wahrscheinlich schon mitbekommen hast. Und der da hinten ist Bryan, der Anführer der Pflanzer, die... naja, dass erklärt sich irgendwie von selbst."
Wieder entstand eine Pause. Nach einer Weile drehte sich der Junge zu ihm herum und sah ihn direkt an.
„Jetzt hab' ich dir eine ganze Menge Leute vorgestellt. Mit deinem Namen bis du aber noch nicht rausgerückt. Es sei denn, du willst unbedingt, dass ich dich Idiot nenne."
Dylan schüttelte bestimmt den Kopf. Das wollte er sicher nicht. Es machte ihm nichts aus, wenn er ihn für einen hielt, aber wenn er anfing ihn so zu nennen, würde er ihm irgendwann ein Messer ins Kreuz werfen, wenn er nicht damit rechnete.
„Du gibst mir ganz sicher keinen Spitznamen. Mein Name ich Dylan und damit basta!", sagte er und einen Moment später fragte er sich, ob das nun mutig oder dumm gewesen war, so schnell, wie man hier ins Kreuzfeuer genommen wurde. Aber der Junge schien das auf die leichte Schulter zu nehmen. „Na dann. Ich bin Jake."
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Bloodstained Sand
AdventureJahr 2021 - Nach einem Flugzeugabsturz wacht Jake mit schweren Verletzungen mitten im Wald auf. Zu seinem Glück ist er nicht der einzige Überlebende. Jedoch ahnt keiner von ihnen, wie weit sie von Zuhause entfernt sind - bis sie herausfinden, was wi...