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Ich beschloss, meine neugewonnene Freiheit zu genießen.

Sobald ich zuhause angekommen war, ließ ich mir ein Bad ein. Sicher nicht das, was die meisten anderen getan hätten, wenn sie gerade gekündigt hätten, doch ich hatte mich noch nie wirklich um die Meinung anderer geschert.

Der Dampf stieg aus der Wanne auf und  ließ sich in feinen, kaum erkennbaren Tropfen auf den weißen Fliesen an der Wand nieder. In dem kleinen Schrank neben dem Waschbecken bewahrte ich normalerweise Badesalz auf, doch da ich in letzter Zeit die Geldknappheit deutlich zu spüren bekommen hatte, waren das sozusagen meine Sparmaßnahmen. Stattdessen nahm ich einfach Duschgel.

Ich wartete, bis die Wanne voll war, und der Schaum schon fast über den Rand stieg, dann testete ich zuerst mit einem Fuß die Wassertemperatur, und stieg schließlich ganz in die Wanne.  Es dauerte eine Weile, bis sich mein Körper an die Temperatur des Badewassers gewöhnt hatte, und das leichte Kribbeln, das durch die Wärme hervorgerufen wurde, verschwunden war.

Ich ließ mich zurücksinken.

Vorher hatte ich die Fenster geschlossen, so waren die Kerzen, die ich angezündet hatte,  die einzige Lichtquelle. In der Luft hing eine süßliche Schwere, wahrscheinlich wegen des Dampfes, die auf eine angenehme Weise einschläfernd wirkte.

Ich schloss die Augen, nahm immer noch den warmen Schein der Kerzen wahr, das Wasser, das mich gleichzeitig leicht und schwer fühlen ließ, und das regelmäßige, leise Ticken der Uhr.

Als ich wieder aufwachte, war das erste was mir auffiel der Lärm.  Das Wasser plätscherte, als ich mich aufrichtete und lauschte. Es war nicht so, als wüsste ich nicht, woher der Lärm kam, eigentlich wusste ich es ganz genau. Der Lärm war nichts geringeres als ein Fernseher, der auf volle Lautstärke aufgedreht war, da die Wände so dünn waren konnte man alles hören. Der Fernseher gehörte dem Wolf.

Der Wolf war ein alter Mann, der die Wohnung unter meiner Wohnung bewohnte. Niemand von den wenigen Nachbarn, die ich jemals zu Gesicht bekommen hatte, wusste genau, warum er nur 'der Wolf' hieß, aber zwei Dinge waren allen nur zu gut bekannt. Erstens, er war vergesslich und zweitens, er war schwerhörig.

So schwerhörig, dass er seinen Fernseher immer auf volle Lautstärke aufdrehte, wenn er seine Krimiserie ansah, und so vergesslich, dass er dabei regelmäßig auf sein Hörgerät vergaß.

Jedes mal, wenn also im ersten Stock die altbekannte Titelmelodie einer gewissen Krimiserie durch die Wände dröhnte, wusste das ganze Haus, dass es viertel nach sechs war. Und wenn man dann ein lautes, dumpfes Klopfen und eine männliche Stimme herumschreien hörte, konnte man sich sicher sein, dass der Sohn des Wolfs seinen Vater liebevoll an sein Hörgerät erinnerte.

Ich musste nicht lange warten, bis sich meine Erwartungen erfüllten, der Sohn seinen kurzen Auftritt hatte, und diesen mit einem leisen Fernseher und Stille in meiner Wohnung abklingen ließ.

Zwei der Kerzen waren ausgegangen, in der Luft hing schwer der Duft des Duschgels, der Spiegel über dem Waschbecken war beschlagen.

Mir fiel auf, dass das Ticken fehlte.

Die Uhr war stehen geblieben, der Zeiger deutete hinab auf die Tür.

In dem Moment beschloss ich, diese Unwahrscheinlichkeit als ein Zeichen zu sehen und fortzugehen, ohne jegliche Absicht, wieder zurückzukommen.


































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