Als das Telefon zum dritten Mal klingelte und klar wurde, dass wer auch immer meine Ruhe stören wollte, nicht leichtfertig aufgeben würde, musste ich den Apparat zum Schweigen bringen. Also nahm ich den selbsternannten Wecker aus der Aufladestation und meldete mich, freundlich wie immer.
"Was?", grummelte ich in den Hörer.
"Dir auch einen wunderschönen guten Morgen, liebste Marley.", amüsierte sich Joy. Sie war eindeutig zu wach für diese Uhrzeit.
Wie spät war es eigentlich? Ich sah mich nach meinem richtigen Wecker um, das Telefon hatte nicht einmal eine Zeitanzeige. Mich wunderte es ehrlich gesagt, dass es nicht mehr an einem Kabel hing, so alt wie das Modell war.
"Was willst du?"
"Ich bin gerade in der Stadt und dachte wir könnten uns vielleicht-"
"Nein danke."
"Komm schon Mar, es tut mir leid okay? Ich wusste nicht, dass-"
Ich hatte keine Lust an einem Sonntagmorgen mit meiner Schwester darüber zu diskutieren warum sie mit meinem Freund herumgeknutscht hatte, also legte ich auf. Verschlafen drehte ich mich auf die andere Seite, das Gesicht in den Kissen vergraben um mich vor den Sonnenstrahlen zu schützen, die hinter den schiefhängenden Gardinen durchs Fenster schienen.
Und wieder zwang mich das Läuten des Telefons wach zu bleiben. Auf die Ellenbogen gestützt nahm ich den Hörer ab.
"Mar, bitte hör mir doch mal zu bevor du wieder auflegst."
"Wie spät ist es?"
Eine kurze Pause entstand, ich konnte förmlich Joys verwirrten Gesichtsausdruck sehen.
"Halb neun aber wieso-"
Und wieder hatte ich aufgelegt. Da man ja bekanntlich aus Fehlern lernt, stand ich auf und kramte in meinen Schreibtischschubladen, bis ich den Schraubenzieher gefunden hatte. Ich schraubte die Hinterseite des Telefons auf und ließ die Batterien in meine Hand fallen. Jetzt konnte ich möglicherweise sogar meinen Vormittag genießen.
Ich legte alle Einzelteile und den Hörer auf den Nachttisch, dann tappte ich in die Küche, wo ich die Kaffeemaschine mit einem kurzen Druck auf den On/Off Knopf aufweckte. Kurz darauf saß ich auch schon mit einer dampfenden Tasse Kaffee und einem Honigbrot am Küchentisch.
Der Geruch von Kaffee am Morgen war etwas, auf das ich einfach nicht verzichten konnte. Während ich vom Brot abbiss sah ich mich in der Küche um. Die Tapete an den Wänden hing in der Ecke in Streifen hinunter, daneben ein dunkler Fleck - das Zeugnis von Carters letztem Wutausbruch, als er wieder einmal betrunken an meine Tür geklopft hatte. Am selben Tag hatte ich mir noch eine Türkette zugelegt.
Mein Blick fiel auf die Post auf der Küchentheke, die ich gestern achtlos dort abgelegt hatte bevor ich zur Arbeit gefahren war. Mit dem Bus natürlich, denn ein Auto konnte ich mir noch nicht leisten. Ich trank einen Schluck aus der Tasse, stellte sie wieder auf dem Tisch ab und stand auf, den bitteren Geschmack des Kaffees noch auf der Zunge. Ich nahm den Stapel Post von der Theke, Kataloge und Werbung, wie immer. Ein Brief, eine Mahnung wahrscheinlich. Nicht mehr lange, und der Vermieter würde mich vor die Türe setzen.
Mit einem Stirnrunzeln legte ich den Brief wieder zurück, nahm stattdessen die Zeitung und setzte mich damit wieder an den Tisch. Ich überflog die Schlagzeilen, suchte nach etwas Interessantem. Ein Banküberfall, ein Artikel über Umweltschutz und ein versuchter Einbruch in einen Blumenladen. Warum sollte jemand in einen Blumenladen einbrechen? Um eine Topfpflanze fürs Wohnzimmer zu stehlen, wohl kaum.
Als es an der Türe klingelte sah ich auf, beschloss aber nicht zu öffnen. Vielleicht war es nicht so wichtig, dann wäre ich möglicherweise umsonst aufgestanden. Trotzdem legte ich die Zeitung beiseite und nahm noch einen Schluck aus der Tasse. Es klingelte zum zweiten mal, und ein dumpfes Klopfen war zu hören, also beschloss ich nachzusehen, wer sich in der Tür geirrt hatte.
Es klickte leise als ich den Schlüssel im Schloss drehte, und ich öffnete die Türe einen Spalt breit, soweit es die Türkette erlaubte. Als ich das allzu vertraute Gesicht im schwachen Licht erkannte, das durch das dreckige Fenster des Stiegenhauses fiel, schloss ich die Tür sofort wieder und sperrte wieder ab, was meinen Exfreund jedoch nicht daran hinderte, gegen das Holz zu hämmern und meinen Namen zu rufen.
Also schloss ich doch wieder auf.
"Was willst du, Carter?"
"Kannst du mich reinlassen?"
"Sollte ich?"
Er versuchte Blickkontakt aufzubauen, was durch den schmalen Spalt nicht so einfach war, und stellte sich dabei nicht gerade schlau an, was mich allerdings nicht besonders überraschte.
"Bitte?", flehte er.
Ich gab mich geschlagen und ließ ihn in die Wohnung. Er nickte kurz, sein Blick schweifte im Raum umher und landete schließlich wieder auf mir.
"Das mit Joanne tut mir leid. Das war ein Fehler."
"Joy."
Verständnislos sah er mich an.
"Ihr Name ist Joy und sie ist meine Schwester."
"Oh."
Wieder sah er sich im Raum um, fuhr durch seine Haare.
"Wars das jetzt?"
"Nein, eigentlich", - er stockte. "Ich wollte fragen ob ich wieder hier einziehen kann. Rob meint ich kann nicht mehr bleiben und ich dachte.."
"Vergiss es. Ich hab dich nicht ohne Grund rausgeschmissen."
"Ich brauche nur einen Platz wo ich meine Sachen lassen kann, bitte. Ich muss sowieso für eine Weile unter- äh - verreisen, du wirst gar nicht merken dass ich wieder hier wohne. Robert holt nur schnell meine Sachen dann kommt er nach."
"Was verstehst du eigentlich nicht?", schoss ich bissig zurück. Dieses 'unter-äh-verreisen' gefiel mir ganz und gar nicht.
Gerade als ich Carter meinen Standpunkt klar machen wollte rumpelte etwas vor der Wohnungstüre.
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Million Ways
HumorNeben Kaffee und 'besonderen' Steinen hat Marley Fairchild eine spezielle Vorliebe für Rätsel und Abenteuer. Als sie jedoch wortwörtlich über ihr wohl größtes Abenteuer stolpert, beginnt für sie eine unerwartete Reise, ohne wirkliches Ziel - mit ebe...