Alles nur Einbildung?

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Als ob es nicht das erste Mal wäre, dass ich solche Briefe bekam und doch, bei jedem weiteren Umschlag, den ich in meinem Briefkasten fand, den ich in meinen Händen hielt, spürte ich, wie immer wieder ein kalter Schauer meinen Rücken hinunterlief. Wie ich Gänsehaut bekam und wie sich mein Blut durch meinen eiskalten Körper schoss. Und nun, ich spürte es erneut. Diese Angst, die jeden einzelnen Muskel in mir lähmte.
„Wieso? Wieso nur?", brachte ich mit gebrechlicher Stimme und einem ängstlichen Unterton aus meinem Mund heraus. Meine Hände, deren Fingerspitzen so kalt wie Eiszapfen an einem Wintermorgen waren, hielten den postkartengroßen Brief in der Hand. Mein Blick war nur auf die zwei Zeilen, welche in der Mitte des Papiers mit krakeliger Schrift hingefetzt wurden, gerichtet.

Ich schloss meine Augen und kehrte in mich zurück. Ich versuchte alles um mich herum zu vergessen. Nur für einen Moment. Einen schweigsamen, stillen und sorglosen kurzen Moment. Es wurde leiser. Immer stiller und stiller, bis ich ein leises Lachen hörte. Ich sah Bilder vor meinen geschlossen Augen. Bilder, die mich an eine Zeit ohne Sorgen, Problemen und Ängste erinnerten.

Ich sah mich und Mark in einem Sandkasten, im Garten des alten Hauses, in dem ich damals noch gewohnt hatte, spielen. Mit einer blauen Latzhose, welche schon einigen Schlammpfützen zum Opfer wurde, saß ich im Sand und versuchte mit einer Plastikschaufel, die nicht größer als eine Haarbürste war, den Boden des Sandkastens zu erreichen. „Soll ich dir helfen?", fragte Mark neugierig. Ich schüttelte den Kopf und wischte mir mit meinen vom Sand beschmutzte Händen das Haar vom Gesicht weg. „Lin, jetzt hast du Sand in den Haaren.", meinte er und pustete mir daraufhin die kleinen Sandkörner aus den Haaren. „Gib schon her, ich mach das." „Warum? Ich kann das schon alleine.", schmollte ich und weigerte ihm die Schaufel zu geben. „Ich bin ein Junge." „Ja und? Nur weil ich ein Mädchen bin, heißt das noch lange nicht, dass ich das nicht alleine kann.", trotze ich und zeigte ihm zum Spaß die Zunge. Ich fing zu kichern an und sprang auf, um vor Mark wegzulaufen. „Lin!", rief er mir lachend nach und lief mir sofort hinterher. „Gib mir die Schaufel." „Hol sie dir!", sagte ich lachend und dachte nicht einmal daran, ihm die Schaufel zu geben.
Ich rannte lachend kreuz und quer durch den Garten, versteckte mich hinter Büschen und flüchtete auf die Rutsche. Ehe ich mich versah, stolperte ich über den grünen Gartenschlauch, welcher quer über der Wiese lag, und fiel auf den Steinboden der Terrasse. „Hast du dir wehgetan?", hörte ich Mark sofort fragen. Er nahm mich an den Armen und half mir vom Boden auf. „Du blutest.", sagte er erschrocken. Ich sah zu meinem Knie hinunter und bemerkte erst dann, die kleine Schürfwunde. „Tut es weh?", fragte er mich besorgt.
Ich erinnerte mich. Es brannte höllisch und doch verkniff ich mir die Tränen. Obwohl Mark mein bester Freund war, war es mir peinlich, vor ihm wie ein kleines Mädchen herumzuheulen. Ich biss mir vor Schmerz auf die Unterlippe und unterdrückte das brennende Gefühl. „Warte Lin, ich bin gleich wieder da.", meinte er und lief in das Haus.

Ich konnte meine Tränen nicht länger zurückhalten und die Ersten begannen mein Gesicht hinunterzulaufen. Weinend setzte ich mich auf den Boden und wartete bis Mark wieder zurückkam. Es dauerte keine Minute, da stand er auch schon wieder vor mir. „Ich hab eine Wundsalbe und ein Pflaster geholt." Er grinste, um mich wieder aufzuheitern. „So hat Mama es immer bei meinen Verletzungen gemacht." „Brennt die Salbe?", fragte ich schniefend. „Naja, am Anfang ein bisschen, aber dann tut es eigentlich ganz gut und kühlt auch."

Ich wollte Mark das Pflaster und die Salbe abnehmen, doch bevor ich überhaupt dazu kam, hatte er mir die Salbe bereits auf die Wunde aufgetragen. „Ich kann das auch schon alleine machen, Mark.", meinte ich. Er schüttelte den Kopf. „Mama hat gesagt, es ist immer wichtig die Hände vorher gewaschen zu haben und deine sind noch vom Sand dreckig."

Ein lautes Seufzen riss mich aus meinen Gedanken. Als ich meine Augen wieder öffnete fand ich mich im Wohnzimmer meiner Wohnung wieder. Die Uhr zeigte 18:45 Uhr an.

Himmel und Hölle (Got7 Mark FF - Fortsetzung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt