,,Ja, Ihnen auch noch einen wunderschönen Tag!", die Worte, die aus dem Krankenhauszimmer bis zu mir hinaus auf den Flur drangen, trieften nur so vor Ironie. Leo klang mehr als nur wütend und ich merkte sofort, wie sich mein Magen verkrampfte und mein Herz schneller schlug. Es war zwar kein Geheimnis, dass Leo ziemlich aufbrausend sein konnte und doch bekam ich es immer mit der Angst zutun, wenn ich nicht wusste, was los war. Hatten sie einen neuen Tumor entdeckt? Ging die Chemotherapie wieder von vorne los? Musste er wieder diese verdammten Qualen durchmachen?
Ich schluckte fest, als die Oberärztin an mir vorbeilief und mir ein gequältes Lächeln schenkte. Augenblicklich lief ich einen Schritt schneller und kam im gleichen Augenblick in Leos Zimmer, als dieser ein paar Stifte mit voller Wucht gegen die Wand schmetterte. ,,FUUCK!", ich zuckte erschrocken zusammen und starrte regungslos zu meinem Freund, der in seinem Rollstuhl saß. Das Gesicht zu einer wütenden Grimasse verzogen atmete er schwer und ich bekam nur noch mehr Angst.
,,Leo?", keine Reaktion. Ich trat näher und kniete mich schließlich hin, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein. Erst jetzt schien er mich wahrzunehmen, sah mich an, während ich nach seinen Händen griff und diese leicht drückte. ,,Heey, was ist denn passiert?",,Ich fühle mich wie ein verdammter Gefangener, wie im Knast! Scheiße man!", fluchte er und schüttelte den Kopf, ehe er wieder zu mir blickte. ,,Ich wollte nur für einen verfickten Tag hier raus, verstehst du? Für EINEN Tag und nicht mal das darf ich! Mein Immunsystem ist zu schwach, ich muss mich schonen, bla bla bla. Das ich hier drin irgendwann durchdrehe checkt aber keiner oder was?"
Darum ging es also... Ich atmete tief durch, denn um ehrlich zu sein hatte ich schon mit schlimmerem gerechnet. Nicht, dass das hier nicht scheiße war, aber es war immernoch besser als ein neuer Tumor.,,Irgendwann hau ich einfach ab, das schwöre ich dir. Und dann werde ich denen zeigen, dass ein Tag draußen mich sicher nicht direkt umbringen wird. Ich will doch einfach nur mal für einen Tag nach Hause, mal wieder in mein Zimmer, irgendwas mit dir unternehmen. Mich kotzt dieses scheiß Krankenhaus so an!", wütete er und löste seine Hände aus meinem Griff, um sich die schwarze Wollmütze vom Kopf zu ziehen und diese auf sein Bett zu werfen. Es tat mir unglaublich leid ihn so zu sehen und manchmal wünschte ich mir nichts sehnlicher, als all seine Wünsche in Erfüllung gehen zu lassen. Ich hätte ihm so gerne ermöglicht mal nach Hause zu gehen, hier rauszukommen, aber die Ärzte waren stur und das wahrscheinlich aus gutem Grund, auch wenn selbst ich manchmal glaubte, dass sie übervorsichtig waren. Es ging doch nur um einen Tag... selbst ein paar Stunden hätten ihn schon unglaublich glücklich gemacht.
,,Ich weiß", murmelte ich leise, während ich bereits mit den Tränen kämpfte. Diese Hilflosigkeit, die Gewissheit, dass man rein gar nichts tun konnte, war einfach so verdammt beschissen.
,,Du weißt gar nichts, okay? Du spazierst doch hier jeden Tag wieder raus und kannst tun und lassen was du willst. Du hast keine Ahnung wie es ist, hier drin eingesperrt zu sein und überhaupt keine Freiheiten mehr zu haben!", fuhr er mich plötzlich an, was mich zusammenzucken ließ. Es war nicht fair, dass er jetzt auf mich losging, obwohl ich absolut nichts für seine Situation konnte. Ich wollte ihm doch helfen... ich wollte es wirklich, aber ich konnte nicht.,,Leo hör auf..." ,,Warum? Weil ich die Wahrheit sage?" ,,Nein, weil du dich wie ein Arschloch benimmst!", stellte ich fest und stand aus der Hocke auf.
,,Glaub mir, ich würde dir gerne helfen und es tut mir leid, dass-"
,,Hannah, ich bin vielleicht ein scheiß Krüppel, aber ich brauche verdammt nochmal kein Mitleid! Hau einfach ab, okay? Geh nach Hause und lass mich einfach in Ruhe!", schrie er mich an und das war der Punkt, an dem ich genug hatte. Ich wusste, dass er schnell ausrasten konnte, aber seine komplette Wut an mir auszulassen, obwohl ich nur das Beste für ihn wollte, war einfach nicht fair. Ich versuchte mir zu sagen, dass er gerade nicht rational denken konnte, aber trotzdem verletzte mich sein Verhalten. Es tat weh, von dem Menschen den man liebte, so weggestoßen zu werden, vorallem wenn man nichts falsches getan hatte.
,,Wie du meinst. Dann versink halt in deinem Selbstmitleid, mach was du willst", ich nahm mir meine Tasche vom Boden, blickte ihn ein letztes Mal an und verschwand dann aus dem Krankenzimmer. Von wegen "Leo, der Kämpfer". Da drin hatte ich keinen Kämpfer gesehen.Wütend knallte ich die Tür hinter mir zu und warf meine Schlüssel auf die kleine Kommode im Flur. Mit einem Schnaufen kämpfte ich mich ungeduldig aus meiner Jacke, die achtlos auf dem Boden landete, gleich neben meinen Schuhen. Ich konnte immernoch nicht fassen, dass wir uns wegen so einem Thema gestritten hatten, obwohl wir doch eigentlich zusammenhalten sollten. Ich fragte mich, ob ich irgendwas falsch gemacht hatte, aber ich hatte doch nichts anderes getan, als Verständnis zu zeigen und ihn ausreden zu lassen. Was hätte ich denn sonst machen sollen? Was hatte er von mir hören wollen?
,,Hannah? Bist du schon wieder zu Hause? Ich dachte du wolltest Leo besuchen, ist-", meine Mutter verstummte, als sie in den Flur trat und meine versteinerte Miene sah.
,,Ich war bei ihm, aber Mr. Arschloch kann gerade keine Gesellschaft ertragen", knurrte ich und lief an ihr vorbei in die angrenzende Küche, wo ich mir eine Flasche Eistee aus dem Kühlschrank nahm. Ich verzichtete darauf, mir ein Glas zu holen und trank einfach einen großen Schluck aus der Flasche, schließlich rührte außer mir sowieso niemand das süße Zeug an.
Meine Mutter war mir gefolgt, musterte mich und legte den Kopf schief, ehe sie wieder sprach. ,,Oh... Was ist passiert?"
,,Ach keine Ahnung, er ist einfach ausgetickt, vollkommen bescheuert", ich tippte mir an die Stirn und schraubte die Flasche wieder zu, um sie auf die Arbeitsplatte zu stellen.
,,Als ich ankam war er schon vollkommen durch den Wind, hat irgendwelche Sachen durch die Gegend geschmissen. Ich dachte schon es sei sonst was passiert, aber dann stellt sich raus, dass er wohl einen Tag aus dem Krankenhaus wollte oder so, aber die Oberärztin das nicht zulässt", erklärte ich seufzend und lief weiter zu unserem Küchentisch, an dem ich mich niederließ.Irgendwie war ich froh, dass meine Mutter nachfragte und ich mich bei ihr auskotzen konnte. Als das mit Leo angefangen hatte, hatte ich alle Sorgen und Probleme in mich hinein gefressen, aber relativ schnell gemerkt, dass das auf Dauer nicht funktionierte. Ich versuchte ihm das alles so leicht wie möglich zu machen und naja... wahrscheinlich brauchte ich im Gegenzug jemanden, der das für mich tat. Ich konnte schließlich schlecht mit ihm über meine Ängste und Sorgen sprechen und ihm das alles noch schwerer machen. Es war nicht so, dass wir nicht mal darüber sprachen, was wäre schon eine Beziehung, wenn man so etwas nicht miteinander teilen konnte? Aber alles, was ihn zusätzlich belasten könnte, trug ich nicht an ihn heran. Er sollte sich schließlich darauf konzentrieren wieder gesund zu werden, das war alles was zählte.
,,Und dann?", wollte sie wissen und setzte sich gegenüber von mir auf den Stuhl, während ich mit den Schultern zuckte. ,,Ich habe versucht ihm zuzuhören und wollte ihn dann irgendwie beruhigen, aber stattdessen ist er auf mich losgegangen und meinte ich hätte ja keine Ahnung wie es ihm geht und das er mein Mitleid nicht braucht, all so ein Scheiß, dabei wollte ich nur... helfen", ich wurde immer leiser und das letzte Wort war nur noch ein unverständliches Murmeln. Vielleicht wollte er meine Hilfe auch nicht, aber sollte ich behaupten, dass mir das alles egal war? Ich wusste wirklich nicht wie ich mich verhalten sollte.
,,Am Ende hat er mich förmlich rausgeschmissen, ich hatte keine Ahnung mehr, wer da vor mir saß...",,Hmm...", hmm?! War das jetzt ihr ernst? Was sollte das denn bedeuten? Ich wusste selber, dass dieser Streit wahnsinnig kindisch und unnötig war, aber hätte ich einfach nur dasitzen und nicken sollen? Ich musste mir doch nicht alles an den Kopf werfen lassen...
Ich runzelte die Stirn und hob die Augenbrauen, in der Hoffnung da würde noch etwas kommen, doch meine Mutter schien ebenso ratlos wie ich.
,,So kennt man ihn gar nicht. Also das er auf dich losgeht... Das er ab und zu mal seine Ausraster hat weiß man ja, aber normalerweise-" ,,Ja ich weiß", ich fuhr mir durch die Haare und atmete tief durch. Wenn ich daran dachte, dass auch noch tonnenweise Hausaufgaben auf mich warteten und ich zusätzlich noch für eine Klausur lernen musste, wurde mir ganz anders. Ich würde mich sowieso nicht konzentrieren können, wenn ich mir die ganze Zeit den Kopf über Leo zerbrach. Ein Problem war eben nie genug.,,Was soll ich denn jetzt machen Mama?" ,,Ach Mäuschen...", sie seufzte leise und strich mir mitfühlend über den Arm. ,,Erstmal solltest du gar nichts machen. Lass ihn links liegen, er kommt schon von selbst wieder an."
Okay. Das war ein Rat... aber ob dieser mir gefiel, war die andere Sache. ,,Wenn die Wut verflogen ist, wird er sicher merken, dass er sich unfair verhalten hat und Leo ist der Letzte, der sich dann nicht dafür entschuldigt. Das weißt du sogar besser als ich!"
,,Wahrscheinlich hast du Recht. Danke Mama!", mit einem Lächeln stand ich von meinem Stuhl auf, um sie umarmen. Der Rat von Mama war eben doch unbezahlbar und ich glaubte tatsächlich, dass sie richtig lag. Es brachte nichts, ihm jetzt noch hinterher zu rennen und ihn noch mehr einzuengen. Möglicherweise brauchte er ein wenig Abstand und Zeit, wieder runterzukommen.
Zumindest wusste ich eine Sache ganz sicher: Das war kein Streit, der unsere Beziehung beendete, denn wir hatten weitaus schlimmeres durchgestanden.
DU LIEST GERADE
I will be your safety [Club der roten Bänder inspiriert]
Novela JuvenilLeo und Hannah. Zwei Leben, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Eine Liebe, die zum Scheitern verurteilt ist. Und trotzdem ist keiner von Beiden bereit, diese Beziehung aufzugeben. "Auf Dauer wird dir die Liebe zu diesem Jungen nur weh tun...