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Als ich am nächsten Tag abends unsere kleine Mietwohnung im dritten Stock betrat, war mein Vater noch unterwegs. Saufen, oder meine Mutter betrügen.

"Lea?", fragte Mum. Ich streifte meine Schuhe ab und ging in die Küche. Meine Familie saß schon da.

"Hallo", murmelte ich und nahm Platz. Es gab Kartoffelbrei mit Schnitzel.

"Wie war die Schule? Hast du gestern was schönes gefunden?"

Ich nickte. "War gut, und ich hab neue Unterwäsche."

Mum lächelte. Ich liebte sie einfach. Sie war zwar fast nie da, aber wenn, dann kümmerte sie sich um uns, machte essen und gab helfende Gespräche.

"Zeigst du sie mir nachher?"

Ich nickte. "Ist aber ein bisschen anders als sonst."

Sie lachte. "Alles klar. Gibts da einen Jungen?"

Ich wurde sehr zu meinem Ärger rot. "Nein, Vivi meinte, ich soll nicht immer nur in Baumwollunterhosen rumrennen."

Flo patschte seine Hand in den Kartoffelbrei und schmierte sie dann an Lily ab. Sie quietschte.

"Flori, mach das nicht!"

Samira sah mich mit großen Augen an. "Bist du verliebt?"

"Nein", sagte ich schnell. "Bist du verliebt?"

"Ja, in Moritz", kicherte Lily. Samira wurde rot.

"Sei leise Lily."

Ich lächelte.

Nach dem Essen brachten Mum und ich die Kleinen ins Bett und räumten dann noch die Küche auf.

"Hat Papa dir noch öfter wehgetan?", fragte ich sie leise. Sie schüttelte zögernd den Kopf.

"Nur beleidigt hat er mich. Dass ich es zu nichts gebracht hätte und dass seine Sandra viel besser wäre als ich...fehlt nur noch, dass er sie mit hierher bringt."

"Dann schlag ich ihn zusammen", sagte ich wütend. Es stimmte, meine Mum arbeitete sehr viel für wenig Geld, aber trotzdem musste er ihr das nicht als Vorwurf machen.

"Das musst du nicht, Lea. Du bist siebzehn, du solltest nicht mit solchen Belastungen umgehen müssen."

Ich zuckte die Schulter. "Das ist schon okay so."

In dem Moment hörten wir die Wohnungstür.

"Bleib ruhig", flüsterte Mum. "Dann geht er vielleicht gleich ins Schlafzimmer."

Fehlanzeige.

Mein Vater blieb im Türrahmen stehen, die Haare zerzaust, die Augen leicht gerötet und den Reißverschluss der Hose nicht ganz zu. Es war unübersichtlich, was er vorher getan hatte.

"Sitzt ihr schon wieder faul hier rum?", fragte er wütend. Na, wenigstens ist er nicht betrunken.

"Sei bitte leise, die Kleinen schlafen schon", sagte meine Mum leise.

"Ich kann so laut sein, wie ich will. Und wieso bist du noch wach?"

"Weil sie schon 17 ist und es ist noch nicht mal acht", sagte Mum und stand auf, um sich noch Tee einzugießen.

Mein Vater schubste sie nach hinten. "Jetzt auch noch frech werden, oder was?!"

Ich stand ebenfalls auf. "Lass sie in Ruhe, oder.."

"Was? Oder was? Was willst du dummes, kleines Mädchen schon tun?"

"Ich könnte das Jugendamt anrufen", sagte ich fordernd.

"Und dann? Dann komme ich in den Knast und ihr alle in getrennte Jugendheime, weil deine Mutter mit ihren läppischen dreihundert Euro im Monat nicht für euch sorgen kann."

"Du blödes Arschloch", zischte ich und ging wütend auf ihn zu. "Du glaubst wohl, du könntest dir alles erlauben. Du betrügst Mom, obwohl sie dir nichts getan hat und..."

Er umfasste mein Handgelenk mit festem Griff und machte mir unmöglich, zurückzuweichen, als er auf mich zutrat.

"Du bist unmöglich", fauchte er mich an. "Unmöglich, undankbar und frech. Ich bezahle den ganzen Scheiß hier und du wagst es noch, mich anzugreifen. Ich könnte auch ganz schnell abhauen und ein besseres Leben haben, anstatt mich um euch Bälger zu kümmern."

"Lass sie in Ruhe, Hubert."

"Du bist mal ganz still", schrie er meine Mutter an. Ich wimmerte vor Schmerzen.

"Sei nett und freundlich zu mir, sonst setzts was", sagte er zu mir. "Und heul hier nicht so rum, du Weichei."

Dann ließ er mich los und ich rieb mir mein Handgelenk. Es war schon ganz gerötet und tat ziemlich weh.

"Ich hasse dich", zischte ich. Fehler.

Als ich den brennenden Schmerz auf meiner Wange spürte, rannte ich davon.

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Ich wusste nicht, wo ich war. Oder wie ich dort landete. Die Straßenlaternen gingen nicht mehr richtig, der Boden war verdreckt und voller Müll und es war einfach nur finster.

Schnell ging ich weiter und hoffte, auf eine lebhaftere Straße zu treffen.

Tat ich aber nicht.

Plötzlich hörte ich Stimmen hinter mir.

"Ohhh, wen haben wir denn da?"

Drei Jungs mit Bierflaschen in den Händen kamen auf mich zu.

"Frischfleisch", grinste einer von ihnen. Ich sah mich panisch um, doch hinter mir gab es eine Mauer.

Sackgasse.

"Wo willst du denn hin?", fragte der zweite und trank einen Schluck.

Durch das dämmerige Licht der flackernden Laterne sah ich ihre Gesichter- dreckig und mit Narben.

Eine Gänsehaut kroch meinen Rücken hinauf.

"Wir wollen doch nur ein bisschen Spaß", säuselte der dritte.

"Lasst eure Flossen von mir, sonst klatscht es, aber keinen Beifall", fauchte ich wütend.

Der größte von ihnen schlug mir ins Gesicht und ich stolperte zur Seite.

Ein Tritt in den Magen und ich lag am Boden.

"Sooo Jungs...was machen wir mit ihr?"

"Ficken, bis sie tot ist", grinste der andere und mir wurde übel.

Schon spürte ich, wie eine Hand unter meinem Kinn entlangstrich, um meinen Kopf anzuheben.

"Hey! Was macht ihr da?", schallte eine Stimme durch die kleine Gasse. Bitte, lass es kein Kumpane sein.

"Verpiss dich, du Wichser!", schleuderte mit der Narbe der Person entgegen.

"Lasst sofort das Mädchen in Ruhe!", schrie diese weiter. Durch meinen dröhnenden Kopf kannte ich diese Stimme irgendwo her.

"Ist sie deine Hure oder was?", lachte der dritte im Bunde. Kurz darauf hörte ich einen Schlag und der Pisser stürzte zu Boden.

"Wagt es noch einmal, sie anzusprechen, anzuschauen oder anzufassen, und ich mache Hackfleisch aus euch! Verfickte Wichser, jetzt verpisst euch!"

Die beiden anderen nickten ängstlich, ließen ihren Freund liegen und rannten davon.

Das letzte, was ich spürte, waren starke Arme, die mich hochhuben.

Is it right or is it wrong? ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt