Kapitel 8

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In dieser Nacht schlief ich mal wieder kaum. Anstatt heute wenigstens ein paar Erklärungen zu finden, hatten sich nur neue Fragen in meinen Kopf gebrannt. Egal wie ich es wendete und drehte, die Antworten schienen nicht einmal in greifbarer Nähe zu sein. Wie deprimierend das war, ist unbeschreiblich. Dieses Gefühl, zu wissen, dass ich vermutlich so gut wie gar nichts wusste. Selbst mein eigener Vater, dem ich blind vertraut hatte, schien seine grausamen Geheimnisse zu haben. Nicht zu wissen, warum er sowas tat und weshalb er es verschwieg, machte mich verrückt. Ich konnte ihn nicht einmal damit konfrontieren und das war so ziemlich das zweit schlimmste daran. Was würde er tun? Würde er mich womöglich bei der Beschützerzentrale melden und ihnen sagen, dass ich in dieser Nacht unbefugt in diesem Gebäude war? Vor wenigen Tagen noch, hätte ich denjenigen gehasst, der ihm das zutraute. Jetzt zweifelte ich selbst daran. Abgesehen davon, würde ich nie mehr erfahren, über das was in diesem Gebäude wirklich passiert war, wenn ich ihn darauf ansprechen würde. Über das Wieso und Was. Nein, ich konnte meinen Vater noch nicht zur Rede stellen. Ich musste einfach nur heile Welt spielen und das war so gar nicht meine Lieblingsbeschäftigung geschweige denn mein Talent. Und was war mit John? Weshalb war er auch in diesem Club, und wieso wusste er Antworten, die mir verborgen waren? Und das allerwichtigste, konnte ich ihm wirklich vertrauen? Demjenigen, der eigentlich mein Ausbilder in der Beschützerzentrale war und den ich eigentlich kaum kannte? Und wieso um Himmels Willen brach John als Beschützer solche Regeln? Mir blieb wohl keine Wahl, ich musste das Risiko eingehen und John vertrauen. Denn ohne John, würde ich keine Antworten erhalten, Antworten, die ich dringend benötigte. Wenn jeder dunkle Geheimnisse hat, wem kannst du dann überhaupt noch trauen, Haley? Schoss es mir durch den Kopf. Meine Entscheidung stand fest. Ich würde ihm vertrauen um Antworten auf meine Fragen zu bekommen. In dieser Nacht schwor ich mir, dass ich jedes noch so kleine dunkle Geheimnis lüften würde, welches mir zu Unrecht verschwiegen wurde.

Ich starrte John erwartungsvoll an, als er uns Auszubildenden seine Schieß Techniken vorführte und erläuterte. Drei Tage waren seit jener Nacht vergangen, drei Tage in denen sich John nicht wie versprochen gemeldet hatte, und das machte mich wütend. Was zur Hölle sollte das? Hatte er mich denn nicht deutlich genug verstanden Samstagnacht? „Achtet auf eure Position, ihr müsst richtig stehen um das Gleichgewicht richtig zu verlagern. Streckt eure Arme aus und richtet die Waffe auf euer Ziel. Fokussiert es an, konzentriert euch ausschließlich auf das, was vor euch liegt. Dann entsichert ihr die Pistole, zielt und drückt ab.", erklärte er seelenruhig während seiner Demonstration, bevor er abdrückte. Dann der laute Knall des Rückstoßes und das krachende Geräusch als die Kugel auf die Zielscheibe traf, direkt in die Mitte. Ich hörte wie Cara neben mir begeistert (oder erschrocken?) die Luft einsog. Zugegeben, auch ich war ein wenig beeindruckt. Aber John machte das schließlich nicht zum ersten Mal. Ich fragte mich, ob er in Wirklichkeit auch schon mal geschossen hatte, auf einen Menschen meine ich. Auch das hätte ich noch vor einer Woche mit Sicherheit verneint, doch jetzt war ich mir bei gar nichts mehr so sicher. Das einzige das mich beruhigte war die Tatsache, dass diese Kugeln nicht tödlich waren, nicht wie früher. Zumindest nicht direkt. Sie verursachten dem Getroffenen trotz allem höllische Schmerzen, denn das Gift, welches sich in den Kugeln befand, ließ den Getroffenen die Schmerzen einer wirklichen und tödlichen Kugel simulieren. Wenn das Opfer dann nicht allein schon von den Phantomschmerzen in Ohnmacht fiel, übernahm das dann die andere Wirkung des Giftes, welches die Nerven angriff und denjenigen bewegungsunfähig machte. Tödlich wäre dennoch eine solche Kugel, wenn sie in bestimmte Körperteile wie das Herz oder das Gehirn eindringen würde. Allein die Wucht eines Kugelaufschlags, könnte zu einem Schädelbruch führen, wenn sie nahe genug abgefeuert würde. Das hast du ja toll auswendig gelernt. Jetzt waren wir an der Reihe zu üben. Die Pistole fühlte sich schwer und kalt an in meiner Hand. Hoffentlich muss ich so ein scheiß Teil nie benutzen. Ich verlagerte mein Gewicht so wie John es eben erklärt hatte, zielte und schoss daneben. War ja klar. „Du bist nicht konzentriert genug." Erschrocken drehte ich mich um und blickte John ins Gesicht, der meiner Meinung nach viel zu nahe war. „Und das wundert dich jetzt?", fragte ich leise, immer noch wütend auf ihn. „Nicht wirklich. Stell dich so hin.", sagte er und berührte mit seiner Hand sanft meine Hüfte, um mich in die richtige Stellung zu bringen. Ein heißes Prickeln breitete sich an der Stelle aus, an der er mich berührt hatte. Was war nur los mit mir? Mein Blick war jetzt wieder zu der Zielscheibe gerichtet, John richtete mit seiner Hand meinen Schussarm und stand dicht hinter mir. „Schau in deine rechte Jackentasche.", hauchte er mir kaum merklich ins Ohr, was mich erschaudern ließ. Was meinte er? Während ich das dachte, drückte ich ab, und diesmal traf ich wenigstens in der Nähe der Mitte. Ich ließ meine Hände sinken, immer noch verwirrt. John kehrte mir den Rücken zu und wandte sich wieder zu den anderen. Aufgeregt griff ich vorsichtig unauffällig in meine Tasche und spürte ein dünnes Papier. Meine Atmung beschleunigte sich, bestimmt eine Nachricht! Aber weshalb auf normalen Papier und nicht wie abgemacht über einen Account? Egal, das spielte ja nicht wirklich eine Rolle.

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