Kapitel 6

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Schweigend lief ich hinter ihm her, doch wider meiner Erwartung gingen wir nicht in Richtung der Shuttle Züge. Stattdessen führte er uns kreuz und quer durch verlassende und dunkle Seitenstraßen. Schließlich ertrug ich meine eigene stille Neugierde nicht mehr. „Wohin gehen wir? Und warum hast du mich nicht verraten?", platzte es aus mir heraus und durchbrach die Stille die zwischen uns herrschte, seitdem wir den Korridor meines Wohntrakts verlassen hatten. John blieb stehen und musterte mich. „Was wolltest du im Raum eines IT-Spezialisten? Und warum?", konterte er mit einer Gegenfrage. Ich seufzte bei dem Gedanken, wohl ehrlich zu ihm sein zu müssen, um Antworten zu bekommen. „Ich wollte Informationen, aus Interesse.", antwortete ich vage. Auf keinen Fall wollte ich da jetzt auch noch meinen Bruder mit reinziehen. John zog fragend eine Augenbraue hoch. „Du erwartest jetzt nicht ernsthaft, dass mir das als Antwort genügt, oder?", fragte er belustigt. „Ich hab dich zuerst was gefragt.", erwiderte ich während ich ihn anfunkelte, was ihn anscheinend nur noch mehr belustigte. „Ja, das hast du. Aber du bekommst deine Antworten erst, nachdem du ehrlich und etwas genauer warst." Unsicher was ich nun sagen sollte, kaute ich auf meiner Lippe rum und schlang meine Arme um meinen Körper. „Ich wollte Informationen über jemanden, der vor kurzem spurlos verschwunden ist, ohne ein Wort. Ich wollte herausfinden was mit ihm passiert ist.", erklärte ich in die Stille der Dunkelheit. „Und hast du deine Informationen bekommen?", fragte mich John. Ich nickte. „Ja, allerdings weiß ich nicht Recht, was ich davon halten soll. Von allem.", gab ich zu. „Woher kennst du Carlsen Hennington?", fragte er weiter. Er hatte sich also auch alles durchgelesen. „Von einer Feier.", antwortete ich ausweichend und in der Hoffnung, er würde nicht weiter nachfragen. Und glücklicherweise schien ihm diese Antwort zu genügen – fürs erste zumindest. „Ich habe dich nicht verraten, weil das nicht zu den Dingen gehört, die ich am liebsten mache. Sei einfach dankbar, und bring dich nicht nochmal in so eine Situation, ich weiß nicht wie nachsichtig ich das nächste Mal bin.", sagte er. Dankbar war ich allemal, und zwar über alle Maßen. Und trotzdem verstand ich Johns Beweggründe nicht, denn absolut jeder hätte heute Vormittag anders gehandelt als John, da war ich mir sicher. „Ich glaube nicht, dass du das nur aus einer Laune heraus gemacht hast. Du verheimlichst mir etwas. Etwas Wichtiges.", sagte ich während ich ihm direkt in die Augen blickte. Ein kurzes überraschtes Blitzen leuchtete in ihnen auf, dass in Sekundenschnelle jedoch wieder erlosch. „Wie du meinst, es ist nur so, dass es mir ziemlich egal ist was du glaubst und was nicht.", antwortet er mir kalt. Ich verstand ihn einfach nicht. Immer wenn John kurz ein bisschen Freundlichkeit zeigte, wurde er urplötzlich wieder eiskalt und unnahbar. „Warum hast du dir dann überhaupt die Mühe gemacht zu mir zu kommen?", fragte ich ihn, bemüht genauso selbstbewusst zu klingen wie er eben. „Du hast Recht, die Mühe hätte ich mir nicht machen brauchen." Genervt seufzte ich auf, wie kann man nur so kompliziert sein wie John? „Ohman, ich versteh dich einfach nicht. Ich kauf dir diese eiskalte Masche nicht ab, John. So bist du nicht, denn sonst hättest du mich niemals gedeckt, und du hättest Catrin nicht geholfen, und du hättest nicht immer dieses Blitzen in den Augen, wenn dich etwas überrascht. So wie jetzt gerade übrigens." Okay, das mit dem Blitzen in den Augen hatte ich eigentlich nicht geplant zu sagen, aber jetzt war es sowieso schon raus. John lächelte verschmitzt, was mich kurz aus der Fassung brachte. „Du hältst dich ja für ziemlich schlau.", Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß, dass mir eine gewisse Intelligenz zwar in die Wiege gelegt wurde, allerdings glaube ich eher dass meine Fähigkeit zum Analysieren mir mehr dabei hilft, hinter deine Fassade zu blicken.", antwortete ich kokett. John grinste nun wirklich breit (was ganz nebenbei ziemlich attraktiv war). „Wir werden ja sehen.", meinte er, gerade als ein Piepen die nächtliche Stille unterbrach. Johns Hand griff nach seinem blinkenden und piependen Cursor. Er schien irgendeine dringende Nachricht zu haben. „Du willst doch Antworten haben, oder?", fragte er mich plötzlich als er von seinem Cursor aufblickte. Ich nickte schnell. „Gut, dann begleitest du mich jetzt auf einen Einsatz.", Meine Augen weiteten sich erstaunt bei seinen Worten. „Wie jetzt? Ein Einsatz von der Beschützer Zentrale? Aber ist dir das denn überhaupt erlaubt, mich mit zu nehmen?", fragte ich aufgeregt. „Nein, ist es nicht. Aber niemand würde erfahren, dass du mich begleitest. Also, was ist? Kommst du mit?", fragte er mich herausfordernd. Eigentlich schien mir das keine allzu vernünftige Idee zu sein. Meine Eltern waren sicherlich bereits schon zu Hause und wunderten sich wo ich bliebe und außerdem konnte einiges schief laufen und dann hätte ich richtig viel Dreck am Stecken, aber andererseits würde ich vielleicht mehr Klarheit schaffen können, und meinen ersten Einsatz haben! Mit John, wohlgemerkt. „Gut, ich bin dabei!", sagte ich grinsend und folgte ihm in ein soeben gekommenes privates Shuttle, das den Beschützern jederzeit zur Verfügung stand. „Wohin geht's?", fragte ich neugierig. „Lass dich überraschen, aber achte darauf nicht allzu überrascht auszusehen, wenn wir ankommen, okay?" Verwirrt und aufgeregt nickte ich. Das kleine Privat Shuttle fuhr nach meinem Geschmack einige Kilometer pro Stunde zu schnell, sodass mir beinahe übel wurde. Doch bevor es tatsächlich ernst wurde, hielten wir urplötzlich an. Inzwischen war es wirklich stockdunkel geworden, und nebenbei auch richtig kalt. Schnell hatte ich meinen Eltern noch eine Nachricht geschrieben, in der ich erklärte, dass es später werden würde, da ich noch was mit ein paar Freunden unternähme. Ich hasste es eigentlich sie anzulügen, aber dieses eine Mal würde ich selbst nochmal ein Auge zudrücken. Wir stiegen aus dem Privat Shuttle aus, und ich schaute mich um. Wir schienen inzwischen einige Kilometer entfernt von der Stadt zu sein. Das riesige Gebäude vor mir sah ziemlich uneinladend aus, aber am gruseligsten war die Mauer, ringsum das Gebäude herum, an der oben Stromschlaggebender Stacheldrahtzaun befestigt war. Das ganze wirkte so ziemlich wie ein...Gefängnis. Genau das war das Wort, nur dass es aus einem sehr veralteten Sprachgebrauch stammte. „Ich zeige dir das, weil ich will, dass du das alles mit deinen Augen siehst um dir anschließend selbst ein Bild zu machen. Du musst dir selbst beibringen, zu verstehen, Haley.", sagte John neben mir leise, bevor er in Richtung dieses Gebäudes voranschritt, und ich ihm hinterher.

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