Das Licht des Nordens

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Er wollte sie sehen. Sie, ein beinahe normales Mädchen.
Seit einigen Monaten kannten sie sich, doch nicht allzu gut. Nur flüchtig, vom Sehen. Sie war ihm einmal in der Stadt begegnet, als sie gerade dabei war, für ihre kleine Schwester ein neues Ballkleid in Auftrag zu geben. Beim Verlassen des Ladens war er gegen sie gelaufen. Die Königin war auf den Boden gefallen. Augenblicklich hatte er sich bei ihr entschuldigt und der schlanken Frau aufgeholfen. Bei dem Anblick seiner Augen war sie für einen Moment erstarrt. Eisblau, strahlend und glasklar...
Diese Augen hatte sie die darauffolgenden Wochen noch einige Male gesehen, immer an demselben Ort.
Jack, so hatte er sich bei ihrer zweiten Begegnung vorgestellt, hatte sich mit der Königin hier am Brunnen getroffen, wo sie auch nun stand.
Aufgeregt schaute sie sich um. Ihre Hände kribbelten und sie fühlte sich so aufgewühlt. Dieses Gefühl hatte sie jedesmal gehabt, kurz bevor sie sich sahen.
"Meine Königin?", ertönte urplötzlich eine Stimme.
Die Hellhaarige drehte sich augenblicklich um, da sie diese Stimme sofort erkannt hatte. Freundlich funkelnde, eisblaue Augen befanden sich nun vor ihr. Hatte sie es doch gewusst...
"Du sollst mich doch nicht so nennen.", antwortete sie auf seinen Gruß.
"Wieso denn nicht?", grinste Jack verschmitzt.
"Weil mich jeder hier so nennt. Du würdest dich nicht von ihnen abheben, aber du... du bist etwa Besonderes für mich... Bitte nenn mich bei meinem Vornamen."
Bei diesen Worten errötete die junge Königin.
Der Weißhaarige lachte.
"Ist gut. Kommt du?"
"Wohin?"
"Das ist eine Überraschung.", grinste Jack, nahm ihre Hand und zog sie mit sich in den Wald.
Kurz nachdem sie aus dem Blickfeld der Stadtbewohner verschwunden waren, stoppte er seinen Laufschritt.
"Was ist?", fragte die Königin verwirrt.
"Ich... Elsa, ich muss dir etwas sagen...", begann Jack zu erzählen.
Neugierig musterte sie ihn.
"Ich bin kein normaler Junge. Ich... kann fliegen."
Geschockt schaute ihn die schöne Frau an. Hatte er das gerade wirklich gesagt? Das war doch unmöglich! Wobei... Sie hatte ja auch Eiskräfte, von denen er nichts wusste. War es da wirklich so unwahrscheinlich, dass Jack auch etwas konnte, wozu kein anderer Mensch fähig war?
"Du... Du kannst fliegen?"
Er nickte nur.
"Ich zeig's dir. Komm, nimm meine Hand!", forderte Jack sie auf.
Elsa zögerte, waren ihr doch große Höhen nie so wirklich geheuer gewesen.
"Keine Angst!", redete er ihr gut zu.
Noch einmal musterte sie ihn. Er sah so aus, als würde er es ernst meinen. Sie zögerte weiterhin. Sollte sie ihm wirklich die Hand reichen? Ihr Verstand wehrte sich dagegen, doch irgendetwas in ihrem Inneren zog sie zu ihm...
Langsam streckte die Königin ihre Hand aus, bis sich seine schließlich um die ihre schloss.
Noch im selben Moment schoss Jack mit ihr in die Höhe und als Elsa realisierte, was passiert war, befanden sich die beiden schon hoch über den Baumwipfeln.
"L-Lass mich nicht los!", flehte sie.
"Keine Angst, das werde ich nicht.", versicherte er ihr.
Der Wind trug sie fort von dem weißen Steinschloss, indem sich die junge Frau für gewöhnlich aufhielt, hin zu den schneebedeckten Bergen Arendelles.

Schon einige Stunden standen die beiden oben auf der Kuppe eines Berges und blickten hinab ins Tal. Bis zum Nordberg war es noch weit, doch Jack machte keine Anstalten, sich auf den Weg dorthin zu machen. Er wollte die Zeit, die ihnen blieb, hier mit ihr, der schönsten Frau im ganzen Norden, verbringen und nicht eine Sekunde von ihrer Seite weichen.
Stillschweigend hatte Elsa immer wieder zu ihm herüber geschaut, um den Sinn ihres Aufenthaltes hier zu ergründen, doch nie hatte sie etwas gefunden. Nur dieser seltsame, undeutbare Schimmer, der in seinen Augen lag, war zu erkennen.
Nach geraumer Zeit entschloss sie sich, ihn danach zu fragen: "Warum sind wir hier, Jack?"
Der Weißhaarige begann zu lachen.
"Es gibt noch etwas, was ich dir sagen muss. Ich weiß, dass du mich verstehen wirst...", erklärte er.
Was hat er noch vor mir verborgen?, rätselte Elsa, doch bevor sie zu einem Schluss kommen konnte, leuchtete etwas vor ihren Augen in zarten Blautönen auf.
"Du... Du auch?", brachte sie ungläubig heraus.
Konnte das wirklich sein? Hatte die Königin endlich einen Gleichgesinnten gefunden, jemanden, der Eiskräfte besaß, so wie sie selbst?
Ihr Herz schlug höher, als sie den kleinen Eisfuchs sah, der um sie herumhuschte.
"Ja, ich auch.", lächelte Jack, "Du und ich. Wir beide haben die Gabe des Eises."
Elsa konnte ihr Glück noch immer nicht fassen. Der, nachdem sie solange gesucht hatte, stand nun einfach vor ihr und lächelte sie an. Sprachlos stand sie da. Er war hier bei ihr, er konnte sie lehren, noch besser mit ihren Kräften umzugehen...
"Elsa?", unterbrach er ihre Gedanken.
"Hm?"
"Schau mal!", sagte er und deutete auf den Himmel über dem Tal.
Sie drehte sich um und erstarrte augenblicklich. Die Nacht war getränkt in rot und grün, violett und gelb, rosa und blau. Wie Seidentücher wanden sich die leuchtenden Farben über das Sternenzelt.
Die hübsche Königin kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, sodass sie auch nicht bemerkte, wie sich Jack hinter sie stellte. Erst als sich seine großen Arme um sie legten, erwachte sie aus ihrer bewundernden Starre.
Vorsichtig drehte sie sich zu ihm um. Noch mehr als all die Farben am Nachthimmel leuchteten seine Augen in diesem Moment. Das intensive Blau verschlang Elsa und all ihre Gedanken, fesselte sie und ließ sie nicht mehr gehen. Hypnotisiert huschten ihre Augen nur noch über sein Gesicht. Sie hatte keinen Blick mehr für die Natur um sie herum übrig, denn alle Aufmerksamkeit galt nun Jack.
Langsam erhob er seine Hand und strich ihr damit über ihre zarte Wange...

Eismagie - Jelsa OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt