vier

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VIER


Er schloss die Tür, öffnete sie wieder und suchte anschließend nach allem Möglichen, was sich unter Umständen in den Ecken verstecken könnte. Nach fünfzig facher Wiederholung öffnete er erneut seine Tür, um zu prüfen, ob auch alle Lichter erloschen waren, damit er keine Energie verschwendete; nicht einmal, nicht zweimal, sondern exakt fünfundzwanzigmal. Harry kontrollierte, dass seine Alarmanlage angestellt war, um jegliche Zwischenfälle, während er sich außerhalb der Wohnung befand, zu vermeiden. Er versicherte sich ganze dreiundzwanzigmal.

Er würde heute den Hausflur überqueren. Er wollte Kenzie besuchen und Gemma ließ ihn, nicht dass sie irgendetwas an seiner Entscheidung verändern könnte. Nur zur Sicherheit prüfte er ein letztes Mal den Alarm, bevor er aus der Wohnungstür trat. Harry schloss diese drei Mal, bis er ein Klick hörte. Gemma hatte sie verschlossen. Er hatte das plötzliche Bedürfnis, sich bei ihr zu beschweren, ihr zu sagen, dass es sich nicht richtig angehört hat, wie die Tür sich hinter ihm schloss, doch er sagte sich, es wäre alles nur in seinem Kopf. Die Tür war zu und abgeschlossen, er reagierte lediglich über. Seine neuen Tabletten erlaubten es ihm, seine Taten zu überdenken. Doch Harry hasste seine Tabletten.

Er erreichte ihren Wohnungseingang in sieben Schritten - vier Schritte mit seinem rechten Fuß, drei Schritte mit seinem linken Fuß. Es war ungleichmäßig und so verspürte Harry den Drang, seine Tätigkeit zu wiederholen. Um es richtig zu machen, lief er fünf Mal zwischen den beiden Wohnungstüren hin und her.

Harry war noch nie jemand gewesen, der gerne selbstständig mit Menschen in Kontakt trat. Und niemand hatte es jemals für ihn getan, also erwiderte er ganz einfach diese nicht vorhandene Geste. Dennoch wollte er sich unbedingt erneut mit Kenzie unterhalten, auch wenn es, mit großer Wahrscheinlichkeit, das letzte Mal sein würde. Aufgeregt klopfte er genau vier Mal bei ihr an. Nach einigen Sekunden, in denen sich nichts regte, wiederholte er den Vorgang. Es benötigte zwölf Schläge gegen die Tür, bis sie geöffnet wurde.

Sie trug Boxershorts und ein weites, ausgeleiertes Oberteil. Harry bemerkte, wie niedlich sie mit ihrer Brille und dem durcheinandergebrachten Zopf aussah.

„H-Harry? Was machst du hier?", sie schaute an sich herab und ihr Wangen erwärmten sich, „Ich habe gerade ein wenig für meine Unterrichtsfächer gelernt."

„Ich wollte dich sehen.", auf seinem Gesicht breitete sich ein übergroßes Lächeln aus.

„Oh," schmunzelte sie. Über dieses Schmunzeln wollte Harry für immer nachdenken – was bei seiner Ausdauer nicht unbedingt unmöglich gewesen wäre, es hätte ihn keinesfalls gestört. „Wie wäre es damit, du kommst rein und ich mache mich erst einmal salonfähig?"

Auch wenn Harry widersprechen und einwerfen wollte, dass sie wunderschön aussah – egal ob mit zerknittertem oder gebügeltem Shirt, verkniff er es sich, denn es hätte ihn nicht weiter zu seinem Ziel gebracht. Sein Ziel war es, Kenzie besser kennenzulernen, er wollte, dass sie sich in seiner Gegenwart wohlfühlte, egal was sie gerade an ihrem Körper trug. „Klar." erwiderte er schließlich höflich.

Während sie sich also umzog, trat Harry in den sich mit seinem ziemlich ähnelnden Flur. Er schloss die Tür, machte sie wieder auf, schloss sie, öffnete sie und schloss sie erneut – Harry tat dies fünf weitere Male. Er schloss die Tür fünfzehn Mal, bis er jemanden hinter sich stehen spürte.

„Du weißt schon, dass wenn du so weitermachst, bald ein Haufen von Einbrechern in der Wohnung stehen werden."



OCD h.s. (German)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt