drei

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DREI


In dem Moment, als sie in sein Zimmer trat, wurde alles in Harrys Kopf leise. All die Ticks, all die sich ständig erneuernden Bilder in seinem Gedächtnis, verschwanden einfach. Es war schwer eine Zwangsneurose zu haben, denn in deinem Kopf herrschte nie komplette Stille, irgendetwas klingelte immer in deinem Kopf, es war niemals alles meisterhaft. Es gab immer irgendetwas, was nicht stimmte. Denn nie war alles perfekt, und Harry musste sichergehen, dass alles so tadellos wie möglich war- immer. Selbst, wenn du im Bett lagst, listetest du Dinge auf. Er fragte sich, ob er sich die Hände gewaschen hatte, bevor er ins Bett gestiegen war, ob er seinen Wecker gestellt hatte – hatte er den Toilettendeckel wieder geschlossen, nachdem er ihn verwendet hatte, oder hatte Gemma es für ihn gemacht?

Harry dachte an Kenzie und die sanften Kurven ihrer Lippen. Auch an die Wimper auf ihrer Wange. Er hatte sie bemerkt, auch im spärlichen Licht. Sie lag auf ihrer wohlgeformten Wange, verschwand auch nicht, nachdem sie lächelte und ihr Gesicht sich bewegte. Da war eine Wimper auf ihrer Wange und Harry wollte sie so sehr abstreifen, aber er tat es nicht. Er konnte nicht.

"Harry?" Gemma stolperte in sein Zimmer, unterbrach somit seine Gedanken.

"Gem," sagte er und starrte an seine Wand.

"Bist du okay? Du schlägst auf deine-"

"Ich weiß, was ich tue," der Junge rollte mit seinen Augen. Wenn seine Ängste zum Vorschein kamen, klopfte er ununterbrochen auf Dinge oder zählte bestimmte Zahlenreihenfolgen, um sich zu beruhigen.

Manchmal hatte er keine Kontrolle darüber und manchmal konnte er es beeinflussen, wenn auch nur auf die leichteste Art und Weise.

Er schloss seine Augen und hörte auf, auf die Schublade einzutreten, dabei drehte er sich zu seiner Schwester. "Wieso hast du es ihr nicht erzählt?"

"Wem? Kenzie?" Gemma setzte sich neben ihn, "E-es tut mir leid."

"Wieso schämst du dich für mich?", fragte Harry verletzt.

"Ich schäme mich nicht für dich, " sie legte sanft eine Hand auf seiner Schulter ab, die er jedoch gleich wieder abschüttelte. "Ich wusste nicht, dass ich ihr es sagen sollte."

"Du lügst! Du weißt von mir, wie schlimm es ist und du lässt irgendein ahnungsloses Mädchen hier rein, welches völlig uninformiert darüber ist, in was für eine Situation sie sich begibt. Ich kann nicht kontrollieren, wie ich mich in der Gegenwart anderer Leute verhalte. Du weißt das! Sie hat mich so angeguckt, als wäre ich verrückt!" Schrie er mit Tränen in den Augen. "Ich hasse dich so sehr."

Gemma ignorierte den beleidigenden Kommentar, sie wusste, Harry meinte es nicht so. Er war lediglich wütend und dann passierte immer so etwas – er sagte all die falschen Dinge, wenn er wütend war. "Sie denkt nicht, dass du verrückt bist."

"Das ändert nichts an der Tatsache, dass du dich für deinen eigenen Bruder schämst."

"Ich schäme mich nicht! Ich liebe dich Harry, du bist mein kleiner Bruder!"

"Kenzie wird niemals wieder mit mir sprechen wollen und es ist allein deine Schuld. Du hättest es ihr sagen müssen!"

"Du hättest es ihr auch sagen können", rechtfertigte Gemma sich.

"Ich möchte jetzt nicht mit dir sprechen," er schloss erneut seine Augen. "Geh bitte."

"Du bist wütend."

"Ich bin nicht wütend, ich möchte einfach nur allein sein."

"Doch, das bist du. Deine Hände zittern und du schreist mich an. Das ist Wut."

"Geh raus Gemma!", schrie er - und okay, er war wütend – mal wieder, und er war kurz vorm Überkochen.

"Harry-"

"Ja?" seine Stimme klang weicher. Und schwächer.

"Ich schäme mich nicht für dich", murmelte Gemma schwer atmend, bevor sie den Raum verließ.

"Du schämst dich für mich!" rief er aus, als die Tür hinter ihr geschlossen war. Sein ganzer Körper bebte und er war sich nicht sicher, ob sein Kopf funktionstüchtig oder seine Beine dazu imstande waren, verwendet zu werden.

"Du schämst dich für mich."

"Du schämst dich für mich."

"Du schämst dich für mich."



OCD h.s. (German)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt