Chapter 10

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28. Januar 2015

Stipendienvergebung. Ich hab das bisher erst einmal erlebt, Thomas ist bereits das 8. Mal hier. Jedes Semester wird entschieden, ob man das Stipendium wieder erhält, oder ob es jemanden gibt, der es noch nötiger hat als du. Totale Scheisse, weil wir alle hier arm waren und diese Schule vermutlich als Einzige wirklich schätzten. Ich war unglaublich nervös.

„Jetzt beruhig doch mal!", zischte Thomas mir zu und legte kurz seine Hand auf mein Bein, damit ich zu zucken aufhöre.

„Du hast gut reden, für dich ist das beinahe schon Routine."

„Ach was. Wovor hast du Angst? Den Test hast du schon hingekriegt und arm genug sind wir sowieso."

Mir wurde schlecht bei dem Gedanken an den Test. Dabei wurde geprüft, ob wirklich nur die ein Stipendium bekamen, die auch die Besten waren. Ausserdem gab es Stipendien für Personen, mit aussergewöhnlichen Begabungen. Für Thomas war das ein Leichtes, er war hochbegabt. Obwohl ich noch sehr klein war damals, kann ich mich noch gut an den Tag erinnern, als Mum und er zu so einem Spezialisten gingen und Thomas den Test machte.

Es würde einige Dinge erklären, zum Beispiel, warum er bis er bis fünf kaum geredet hatte und als Kind schlechter Freunde fand. Thomas Lehrerin hatte Mum darauf aufmerksam gemacht, als Dad noch da war, aber er war dagegen, so viel Geld für einen Test auszugeben, der seiner Meinung nach doch nichts veränderte. Als er uns verliess und wir zu meinen Grosseltern zogen, bezahlte Grandpa den Test. Thomas war damals sieben. Nach dem Test kamen sie nach Hause und ich weiss noch, wie meine Mutter zu Grandma meinte Ein IQ von 132, er ist hochbegabt. Ich weiss noch wie hilflos sie aussah, denn wie fördert man sein hochbegabtes Kind richtig? Diese Lehrerin unterstütze meine Mum sehr, meldete Thomas bei verschiedenen Förderprogrammen an und wies später auf diese Schule hin. Sie ist bis heute eine gute Freundin von Mum.

Ich gab meine Geige als Begabung an, um ein Stipendium zu bekommen. Es wird jedes Semester geprüft, ob man die Chance der excellenten Musikausbildung auch wirklich nutzte. Wir brauchten dieses Stipendium, ansonsten würden wir rausfliegen. Unsere Mutter konnte sich diese Schule einfach nicht leisten. Schon gar nicht für Thomas und mich. Deshalb musste ich jetzt zusammenreissen.

„Thomas Elias Jones?"

„Na also. Bin gleich wieder da B, tick einfach nicht aus bis ich zurück bin, okay? Das wird schon."

„Mhm..."

Ich sah ihn ins Zimmer gehen und mein Herz begann erneut zu rasen. Er musste dieses Stipendium bekommen. Er brauchte nur noch dieses eine halbe Jahr und dann hätte er seinen Abschluss. Ausserdem brauchte ich ihn hier. Ich hätte mich niemals hier beworben, wenn er nicht auch hier wäre. Es war eine der bekanntesten Schulen des Landes und nur die Besten konnten hierhin. Aber die Schule war noch nie ein Problem gewesen für mich. Ich begriff die Dinge schnell und lernen war für mich keine Qual, da ich mich sehr für diese Themen interessierte. Mein Problem war eher das, mit den anderen Kindern. Ich hatte nur wenige Freunde. Da waren immer nur dieses eine Mädchen und ihr Bruder, mit denen ich mich sehr gut verstand, aber als ich 13 Jahre alt war zogen sie weg und da hatte ich plötzlich niemanden mehr so richtig. Da blieb nur noch mein Bruder. Die Freunde die ich bis jetzt hier gefunden hatte waren auch noch keine Richtigen. Ich konnte ihnen nicht alles anvertrauen. Keine von ihnen wusste etwas von meinem Dad. Sie wussten nicht einmal, dass ich jetzt gerade hier sass und darauf hoffte ein Stipendium zu bekommen, weil ich mir diese Schule sonst nicht leisten konnte. Aber es war auch besser so, denn wenn sie wüssten, dass wir arm sind, würden sie vermutlich ganz anders mit uns umgehen. Ich hatte kein Problem damit, dass wir nur wenig Geld hatten und ich mir keine Markenklamotten kaufen konnte, aber andere reagierten oft ein wenig anders darauf. Ich schaute mich um und blickte in die Gesichter der Anderen. Wussten deren Freunde wohl, dass nun gerade hier sassen und darum kämpfen mussten an dieser Schule bleiben zu können? Wie gingen sie wohl damit um? Fielen wir Anderen auf, wenn wir durch die Gänge gingen? Oder waren wir einfach nur irgendwelche anderen Schüler, die sie nicht kannten und ihnen einfach so begegneten?

Die Tür öffnete sich und mein Bruder kam raus. Sein Gesicht war bleich und er sah aus, als würde er gleich umkippen. Das war überhaupt nicht gut. Ich unterdrückte den Drang zu ihm zu rennen und wartete bis er vor mir stand. Aber er blieb nicht stehen sondern nahm meine Hand und zog mich aus dem Raum.

„Was soll das? Was ist passiert? Warte ich muss hier bleiben ich war noch nicht dran!", sagte ich und probierte mich aus seinem Griff zu befreien doch ich hatte keine Chance. Ich sah die mitleidigen Blicke der Anderen, aber wusste, dass in ihnen gerade ein Funken Hoffnung aufblühte, weil sie einen weiteren Gegner eliminiert hatten. Aber das konnte nicht sein. Mein Bruder konnte nicht ausgeschieden sein. Er musste dieses Stipendium bekommen haben.

„Tommy was ist passiert?", fragte ich und blieb stehen. Aber er zog mich unbeirrt weiter bis wir den Raum verlassen hatten und um eine Ecke gebogen waren. Dann setzte er sich auf eine Bank und wartete bis ich mich auch gesetzt hatte.

„Tommy was ist hier los?"

„Wir haben ein Stipendium."

„Na das ist doch super. Was machen wir denn hier? Ich will meinen Termin nicht verpassen ich muss da wieder rein." Ich wollte gerade aufstehen als er mich festhielt und sagte:

„Du hast mich nicht richtig verstanden. Wir haben EIN Stipendium."

„Was willst du mir damit sagen?", fragte ich und flehte Gott in meinem Kopf an, dass es nicht das war, was ich befürchtete.

„Wir haben ein Stipendium. Nicht mehr. Sie vergeben pro Familie nur noch ein Stipendium. Ist eine neue Regelung"

„Das können die nicht machen", sagte ich und meine Stimme kippte weg.

„Doch das können die. Die machen die Regeln nicht wir."

„Aber, Mum kann sich diese Schule nicht leisten."

„Ich weiss."

„Das heisst, jemand von uns muss gehen."

„Ich weiss. Ich werde gehen."

„Was? Nein Thomas. Du darfst nicht gehen. Ich gehe. Du bist im letzten Jahr, noch dieses halbe Jahr und du hast deinen Abschluss. Wenn du jetzt gehst hast du nichts. Gar nichts. Du kannst nicht gehen. Ich bin erst ein halbes Jahr hier. Ich nächstes Jahr wieder kommen, wenn du fertig bist, ich verliere dadurch nur ein mickriges Jahr."

„Mein Entschluss steht fest. Ich gehe. Ich habe es ihnen schon gesagt."

„Aber wieso hast du das getan? Du liebst diese Schule. Und du bist nicht 3 ein halb Jahre umsonst hierhin gegangen.", sagte ich energisch und sah ihn ungläubig an. Doch er starrte nur emotionslos zu Boden. Er schwieg sehr lange.

„Natürlich liebe ich diese Schule", sagt er. Dann blickte er auf und meinte schliesslich, „aber nichts liebe ich so sehr wie meine kleine Schwester."

Niemals wieder gleichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt