4. Kapitel

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Sophie P.O.V.

Zuerst fällt mein Blick auf die toten Menschen. Ich erkenne nur verschwommen Seile, die sich in die Hälse der Personen einschneiden, dann sehe ich zu Boden. Eine Art Beschützerinstinkt lässt mich nicht mehr hochsehen. Dann wandern meine Augen zu Alina hin. Sie liegt in einer komischen Körperhaltung in Minhos Armen, das Kinn auf die Brust gelegt und die Beine verkreuzt. Ihre Brust hebt und senkt sich langsam, als hätte sie Beschwerden beim Atmen. Der Asiate guckt ziemlich überrascht drein, kann sich anscheinend nicht entscheiden, was interessanter ist; die Leichen oder meine Schwester. Ich quetsche mich an Teresa und Newt vorbei, die beide in der Tür stehen und ziemlich bedeppert aussehen. "Alina.", krächze ich, knie mich neben ihr und Minho auf den Boden und lege ihr eine Hand auf die Stirn. Meine Hand berührt sie keine zwei Sekunden, da schnellt Minhos Arm vor, packt mein Handgelenk und schiebt es unsanft beiseite. Verwirrt gucke ich zu ihm hoch, erkenne in seinen Augen Wut. "Lass sie in Ruhe.", zischt er bedrohlich und legt seinen Arm beschützend um sie. Beschützend. Das hätten wir früher getan. Maren und ich. Es war unsere Aufgabe gewesen sie vor Gefahren zu beschützen, nicht seine. Vor Gefahren... ich galt also für Minho als Gefahr. "Was fällt dir eigentlich ein?", flüstere ich. Daraufhin sieht er mich durchdringend an und ich erkenne, dass das in seinen Augen nicht nur Wut ist.
"Was ist dein Problem?", fragt er grimmig.
Du bist mein Problem. Ihr alle. Ich. "Was fällt dir ein mich von meiner Schwester wegzuschubsen?", sage ich. Als er nichts darauf erwidert, schiebe ich seinen Arm gewaltsam von ihr weg. "Was fällt dir ein mich wie den letzten Dreck zu behandeln?", verzweifelt sehe ich ihm in die braunen Augen. Nicht nur Wut spiegelt sich darin wieder. Es ist Angst die dort schimmert. Angst vor mir. Angst vor dem, was ich Alina antun könnte.
"Weil du es nicht anders verdienst.", knurrt er und dreht sich dann Alina zu. Wusch. Eine unsichtbare Faust trifft mich im Magen, als er das sagt. In dem Moment legt sich mir eine schwere Hand auf die Schulter und zieht mich zurück. Ich werde gepackt und auf die Beine gehoben. Als ich mich umdrehe stehe ich Alby gegenüber. In seinem Blick liegt exakt der gleiche Ausdruck wie von Minho. "Kannst du mir das erklären?", fragt er tonlos und weist mit dem Kopf zu den Leichen hin. Und schon spüre ich einen ekelhaften Druck in meiner Kehle, einen Druck der mir Tränen in die Augen treibt und mich zittern lässt. Er verdächtigt mich. Er denkt, ich hätte die Leute erhangen. Weil ich Chuck getötet habe, denkt er, ich würde es auch bei diesen Leuten hier tun. Ich sehe es in seinen Augen. Angst und Wut. Bei dem Versuch nach hinten weg zu taumeln, zieht Alby mich noch näher an sich heran, sodass ich seinen Atem in meinem Gesicht spüren kann. "Kannst du mir das hier erklären?", fragt er wieder. Ich schüttle den Kopf, das einzige wozu mein Körper fähig ist. Eine ruckartige Bewegung, die Alby wahrscheinlich zu ruckartig war. Die dunkle Haut färbt sich rot und seine Augen verängen sich zu Schlitzen. "Erklär es mir!", brüllt er mir ins Gesicht und seine Hand schließt sich fest um meine Schulter.
"Ich war das nicht.", wimmere ich und spüre, wie mir heißt Tränen über die Wangen laufen.
Ich war das nicht ich war das nicht.
"Ach ja? Du hast ja auch Chuck nicht umgebracht, obwohl wir es alle gesehen haben! Tu mir einen Gefallen und SAG DIE WAHRHEIT!", schreit er. Ich schüttle den Kopf, immer wieder. Ich will taub sein, will nichts davon mitbekommen, was er sagt. Ich will blind sein und seine Augen nicht sehen. Und ich will nichts fühlen, um mein plötzliches Schuldgefühl zu unterdrücken. Warum fühlte ich mich schuldig? Ich hatte nichts getan. Ich war unschuldig.
"Ich war das nicht, wirklich.", heule ich, versuche mich aus Albys Griff zu befreien. "Ich sage die Wahrheit."
Aber er glaubt mir nicht. "Du bist eine Lügnerin.", zischt er. "Eine verdammt schlechte Lügnerin. Und weißt du was? Lügner machen sich nicht gut unter uns. Sie zerstören hier alles. Du bringst und alle in -"
Irgendjemand reißt mich von Alby weg, umklammert meine Hand und stellt sich schützend vor mich. "HÖR AUF DAMIT DU ARSCHLOCH!", schreit Maren Alby an. Obwohl ich hinter ihr stehe, kann ich die Wut, die sie ihm an den Kopf schleudert förmlich knistern hören. "Siehst du nicht, wie du sie fertig machst? Siehst du das nicht?" Ihre ungewohnt dunklen Haare stehen zu allen Seiten ab. "Siehst du nicht, wie schlecht sie sich fühlt?"
Ich wage es, hinter ihrem Rücken hervor zu luken, erhasche einen flüchtigen Blick auf Albys empörtes Gesicht. "Sie hat es nicht anders verdient!" Wusch. Ich keuche auf, als mich eine zweite unsichtbare Faust in den Bauch trifft. Maren dreht sich kurz zu mir um und streicht mir über die Wange. Doch das kleine bisschen Wärme, das sie mir gibt, wird sogleich wieder von Alby zunichte gemacht.
"Sie hat das alles hier nicht verdient. Sie wird noch viel mehr Schaden anrichten wenn wir nichts tun!"
Innerlich beginnen die Schuldgefühle mich zu zerreißen, auseinander zu pflücken als wäre ich Zuckerwatte. Falls das überhaupt möglich ist, strömen noch mehr Tränen meine Wangen hinunter. "Ich war das nicht.", krächze ich. "Ich war das nicht."
"Wir müssen jetzt handeln, bevor es einen von uns trifft.", sagt Alby kalt.
"NEIN!", brüllt Maren. "Du bist so ein Scheiß Anführer, du bist so ein Arschloch! Sie sagt doch dir ganze Zeit, dass sie unschuldig ist! Hast du es denn noch immer nicht gecheckt? Es ist nicht sie. Es ist ANGST. Sie hat diese Leute nicht umgebracht!" So wütend habe ich Maren noch nie erlebt. Während sie redet rauft sie sich die Haare, was das Tshirt dass sie trägt bedrohlich weit hoch rutschen lässt.
"Du sagst sie war das nicht? Und was ist mit Chuck? War sie das auch nicht? Sind wir etwa alle blind oder haben einen Sehfehler? Ich bin mir sehr sicher, dass sie dem kleinen Jungen ihr Messer direkt ins Fleisch gerammt hat. Sie hat nichtmal mit der Wimper ge-"
"STOPP!" Alby hält inne und dreht sich zu Thomas um, der sich einen Weg durch die ganzen Lichter bahnt. "Hör auf Alby.", sagt er bestimmt. Verblüffung liegt im Raum, als Thomas zu Maren und mir gelaufen kommt und sich schließlich neben mich stellt. "Sie ist unschuldig." Ungläubig schaut Alby Thomas an, dann mich und dann wieder Thomas. "Wie kommst du denn jetzt darauf?", fragt er sichtlich verwirrt.
"Ich habe sie die ganze Zeit über beobachtet. Sie hat hier keine Leichen aufgehangen.", erklärt Thomas langsam. "Und...", er sieht mich kurz an. "Sie ist auch nicht für Chucks Tod verantwortlich."
Ich habe keine Ahnung, was ich erwartet habe, aber Albys Reaktion überrascht mich. Er nickt. Er nickt und plötzlich sind die Wut und die Angst aus seinen Augen weggeblasen. "Gut.", sagt er. "Was machen wir jetzt?"

Als nächstes sehen wir eine gelbe Tür. Sie ist hinter den Leichen in eine Wand eingelassen. Neben der Tür ist ein weißes Schild. Ein weißes Schild, auf dem nichts steht. Minho hat mittlerweile meine Schwester wieder unter die Lebenden gebracht und stützt sie nun, sodass sie stehen kann. Ihr Gesicht ist leichenblass, ihre Augen sind starr auf den Boden gerichtet.
"Was, wenn dahinter sonstwas ist?", fragt einer der Lichter in die Stille, als wir uns alle vor der Tür versammelt haben. Keiner antwortet ihm. Stattdessen tritt Thomas vor, griff nach dem Messingtürgriff und rüttelt daran. Es tut sich nichts. Neben der Tür hängt ein Feuerlöscher, den Thomas kurzerhand packt und ohne zu zögern gegen die Tür schlägt. Einmal. Zweimal. Mit einem lauten Knall öffnet sich die Tür einen Spalt breit nach innen. Thomas tritt noch einmal dagegen und sie schwingt ganz auf. Die Lichter drängen in den Raum herein, der sich als eine Art Schlafsaal entpuppt. Der einzige Unterschied zwischen dem Schlafsaal und unserem war, dass dieser hier bedeutend kleiner ist. "Super aufschlussreich.", sagt Minho, bekommt für den sarkastischen Spruch aber kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Alle Blicke richten sich zu einer kleinen Tür, hinter welcher anscheinend das Badezimmer lag. Denn genau in diesem Moment wird die Türklinke nach unten gedrückt und die Tür öffnet sich. Heraus tritt ein Junge.

The ScorchSisters [Maze Runner FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt