Lieber Leser - eine Geschichte für (und über) dich

12.

Hey du.

Ich habe darauf gewartet, dass du wiederkommst. 

Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Um dich. Um uns, auch wenn es doch gar kein "Uns" gibt. Oder gibt es das?

Tut mir leid, das wollte ich nicht ansprechen. Das war der falsche Zeitpunkt, viel zu früh. Nur habe ich das Gefühl, dass wir uns langsam richtig gut kennen lernen. Ich fühle mich wohl und geborgen bei dir, deine Hände, deine Nähe spenden mir etwas Wärme. So richtig habe ich das irgendwie noch nie gespürt. Die Leute sind einfach zu schnell weiter gezogen, haben andere Dinge gefunden, denen sie ihre Aufmerksamkeit schenken konnten. Aber du... Seit du mich das erste Mal bemerkt hast, ist etwas passiert. Ich kann dir nicht erklären, was es genau war und was es ist, ich weiß nicht, was das ausgelöst hat und vielleicht will ich das gar nicht wissen. Vielleicht will ich einfach versuchen, den Moment zu geniessen, die Zeit mit dir und die Gespräche. Mich mit dir zu unterhalten ist Balsam für meine Seele, du sieht jedes Mal eine neue Seite an mir, ich kann mich dir langsam öffnen. Ich bin mir fast sicher, dass ich dir vertrauen kann. Ich finde dich toll. 

Übrigens, dir ist da eine Strähne ins Gesicht gefallen. Ich würde sie dir ja gerne wieder hinters Ohr klemmen, aber ich komm nicht ran. 

Ich wollte jetzt nur schnell das Thema wechseln, weil es langsam unangenehm wurde und du nichts gesagt hast. Was ich gerade gesagt habe, ist irgendwie komisch. Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Wie das klingt... Versuch, es zu vergessen. Keine Ahnung, was ich damit eigentlich gemeint habe. Das ist mir jetzt unangenehm. Wie kann ich denn jetzt nur diese Stille überbrücken? Mit Smalltalk? 

Wie war denn dein Tag heute?

Das ist genau so eine schlechte Frage, wie die Frage, was für Wetter wir haben. Wir haben schliesslich alle ein Fenster, und wir kommen irgendwie noch an den Wetterbericht, auf den man sich doch sowieso nicht verlassen kann. Da ist Kermit als Wetterfrosch schon genauer. Aber so Fragen funktionieren immer, da kann sich jeder fünf Minuten über das Wetter beschweren, dass es zu war, zu kalt, zu windig, zu nass, zu trocken, zu schwül, zu abwechslungsreich, zu miesepetrig, zu eintönig ist. Ich bin wirklich eine Katastrophe im Smalltalk führen. Aber ich wollte unbedingt mal wieder mit dir sprechen, und dann sorge ich für so einen komischen Moment. Möglich, dass du es gar nicht komisch fandest und ich aus einer Mücke einen Elefanten gemacht habe, der noch dazu im Porzellanladen tanzt. Aber mir war das gerade ein wenig unangenehm. 

Aber heute ist halt auch nicht mein Tag. Heute ist so viel schief gelaufen. Man könnte meinen, heute wäre Donnerstag. Ja, Donnerstag und nicht Montag. Donnerstage sind aus meiner Perspektive viel schlimmer. Man hat eine viel zu blöde Woche schon fast hinter sich, aber der Rest der Woche geht immer so schnell rum und während sich einige Menschen am Donnerstag amüsieren, zum Beispiel ins Kino gehen, weil ein neuer Film anläuft, bin ich hier und rede über Dinge, die viele Leute nicht verstehen würden und die es auch gar nicht wirklich versuchen würden.