Vergangenheit

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Perry und ich waren jetzt schon seit zwei Wochen in der Stadt. Langsam entwickelte sich der Alltag. Ich stand auf, ging essen, waschen und dann saß ich meistens mit Dusty oder Ollie am Dach um Alex und Kahlee zu beobachten, die die Häuser durchsuchten. Ich wollte dort nicht mehr raus. Lieber half ich hier oben mit, als noch einmal dort runter zu gehen und den Zombies zu begegnen. Ollie hatte mir erklärt, dass sie lange Zeit keine Häuser durchsucht hatten, da dort immer noch Zombies waren, die normal nicht nach draußen gingen und nur durch Lärm ans Tageslicht gelockt wurden. Doch Alex wollte unbedingt dort runter.
Ich sah hinunter auf den freien Platz, dort wo die Straße mal gewesen war. Sie kam vom anderen Ende der Stadt und teilte sich dann hier in zwei kleinere Straßen auf, die rechts und links von unserem Zuhause lagen. So hatten wir einen guten Überblick. Etwa siebenhundert Meter vor uns wurde die Hauptstraße von einer anderen gekreuzt. Weiter gingen Kahlee und Alex nicht. Nie.
"Wieso will Alex unbedingt dort runter?", fragte ich Dusty und beobachtete Alex und Kahlee, die gerade ein Haus betraten. Jedes Mal, wenn ich sah, wie die beiden eintraten, spannte sich mein ganzer Körper an und die Ruhe, die Dusty ausstrahlte wurde in Anspannung verwandelt. Was, wenn sie nicht wieder rauskamen? Was taten sie dort drinnen überhaupt? Wirklich nur durchsuchen und nach was? "So wie ich ihn kenne, möchte er Dampf ablassen", murmelte Dusty und streckte seinen Kopf zum Himmel. Mittlerweile hatte ich mich an diese Hitze gewöhnt und ich bekam auch nicht so schnell einen Sonnenbrand. "Wegen was?". Ich wusste nicht wieso. Zwischen Alex und mir, war alles in Ordnung, also lag es nicht an mir. Vielleicht wegen Finn. Alex hatte gleich am Tag, an dem wir zurückkamen zu Ollie gesagt, dass er wieder nach draußen möchte. Ollie und er waren sich einig, aber er durfte nicht alleine gehen. Und da ich nicht mit nach unten wollte, hatte sich Kahlee bereiterklärt. "Wegen Finn. Um die Toten zu beseitigen. Das ist Alex. Er braucht das". Erst jetzt fiel mir auf, dass ich Alex eigentlich nicht kannte. Was wusste ich schon über ihn außer, dass er ein Draufgänger und Dustys und Ollies bester Freund war und dass er irgendein Geheimnis hatte. "Das tut er schon seit vier Jahren. Ab und zu nach unten gehen, um für ein paar Stunden rumzulaufen".

Alex
Ich öffnete öffnete ich die Tür, die ursprünglich zu einem Balkon gehörte. Quietschend ging sie auf. Ich hielt das Gewehr mit dem Schalldämpfer in Anschlag und trat ein. Ich sah in ein Wohnzimmer. Das meiste hier drinnen war uralt und staubig. Mein Puls stieg, während ich mit der Taschenlampe jedes Eck ausleuchtete. Das war das zweite Haus, das wir heute schon durchsuchten. Jedes Mal wenn ich eines betrat, stieg mein Puls und ich spürte wie das Adrenalin durch meinen Körper strömte. Ich brauchte dieses Gefühl, um den Rest zu vergessen. Um die Träume mit Tess zu vergessen. Jetzt wo Kris hier war, kam alles mit voller Wucht zurück. Wie der Wind der Sandstürme, der mich erfasst und mir ins Gesicht schlägt. Wenn ich sie ansah, brach die Welle der Erinnerungen über mich herein. Sie sah ihr so ähnlich. Sie wirkte wie sie. Doch sie war nicht sie, sie war Kris. Ich wusste, dass sie oben auf dem Dach mit Dusty saß und hier runter starrte.
Kahlee trat hinter mir ein und schloss die Tür wieder. Dachte Kahlee auch so oft an Tess? Ich ging weiter und suchte nach einem Treppenhaus. Und ich fand es. Ich sah nach unten, in die Dunkelheit. Vier Jahre war es her, seit wir den Tunnel zu den Ubahnschächten gefunden hatten. Tess und ich waren oft dort unten. Jedes Mal war es gut gegangen. Jedes Mal, bis auf ein einziges.
Ich liebe dich, hörte ich Tess in meinen Ohren. Ihr Flüstern hallte durch die Schächte. Es wurde weiter getragen, immer weiter, bis es verschwand. Ich werde dich immer lieben. Ich erinnerte mich an unsere erste Tour durch die Stadt. Ich hatte ihr alles gezeigt, jeden Winkel, bis hin zur großen Querstraße. Wir haben die Häuser durchsucht. Wir haben einfach nachgesehen, was noch übrig geblieben war und sie war so fasziniert davon, dass sie nicht genug bekommen konnte. Sie konnte nicht genug von dem Gefühl bekommen, wenn man nicht wusste, was hinter der nächsten Tür war. Nicht genug von dem Adrenalin. Es war damals ein so belebendes Gefühl, dass ich es selbst jetzt noch, nach fünf Jahren spüren konnte.
Ich blickte nach oben. Fünf Etagen. Ich begann die Treppe nach oben zu steigen, hinauf in den ersten Stock. Mit dem Lauf des Gewehres drückte ich die erste Tür auf. Ein langer Flur mit insgesamt fünf Türen. Ich wartete auf Kahlee und nahm mir die erste zu meiner rechten vor. Vorsichtig sah ich in das Zimmer und erstarrte.
Ich erkannte diesen Raum noch. Er war genau wie damals. Und genau diese Erinnerung von damals spielte sich jetzt in meinem Kopf ab.
Wir saßen auf dem Sofa, eng umschlungen, als würden wir frieren. Doch es war wie immer warm. Wir saßen so da, weil wir den anderen nicht loslassen wollten, als würde er verschwinden. In meiner Hand lag das Foto, das ich von einer Kommode genommen hatte. Eine junge Frau mit ihrem Mann und einem kleinen Kind. Sie sahen so glücklich aus. Tess lächelte unter Tränen und versuchte die Knochen, die zwei Meter von uns entfernt lagen zu ignorieren. Es waren kleine Knochen, wie die eines Kindes. Wieso wurde das Baby zurückgelassen? Hatten die Eltern sich von den Toten beißen lassen? "Alex", murmelte ihre raue Stimme dicht an meinem Ohr. Ich sah ihr in diese wunderschönen Augen, in denen sich das Licht spiegelte, in denen die Tränen standen. Sie biss sich auf die trockenen Lippen und erwiederte den Blick. Ich sah ihre Angst und ihre Trauer. Wieso waren die Knochen des Babys hier und die der Eltern nicht? Zurückgelassen hätten sie das Kind nicht, denn dazu sahen sie zu glücklich aus. Die einzige Erklärung, die mir in den Sinn kam war, dass die Eltern gebissen worden waren und jetzt durch die Stadt irrten. "Bevor ich einer von ihnen werde, Alex", ihre Stimme war nur noch ein Hauchen und ihre Augen waren ein See. Ein See voller Tränen, mitten in der Wüste. "Du musst mir versprechen, es mit drei Schüssen in den Kopf zu beenden"

DustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt