Enttäuschung

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Ich lag neben Alex in der Hängematte. Wir lagen seit zehn Uhr abends hier und ich wollte nicht mehr in mein Zimmer gehen, also blieb ich hier. Sein Arm war um mich geschlungen und ich spürte die Wärme, die von ihm ausging. Nachts war es hier gar nicht mehr so wie am Tag. Es war kalt. Schweigend lagen wir nebeneinander, müde von dem Tag, und warteten eigentlich nur noch auf den Schlaf. Doch mit dem Schlaf kamen auch die Albträume. Immerzu träumte ich von Kai und Finn. Sie suchten meine Träume heim, wie ein Mensch in diesen Zeiten das Wasser suchte. Und wenn sie es gefunden hatten, stürzten sie sich darauf.
Auch in dieser Nacht blieb ich nicht verschont. Finn fand seinen Weg in meine Träume. Er sah aus, wie einer der Zombies, einzig und alleine die Augen waren noch menschlich an ihm. Und sie starrten mich an, mit einem verhassten Blick, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Er kam immer näher und trieb mich dadurch immer weiter von ihm weg. "Finn!", flehte ich und hoffte, dass er mich erkannte. "Finn, bitte. Ich bin's Kris". Er machte mir Angst. Es war nicht unbedingt der Körper, es waren diese kalten grünen Augen, die mich ansahen, als wäre ich für das alles verantwortlich. Und das war ich doch auch. Ich hätte ihn retten können. Ich habe ihn einfach gehen lassen. "Ich weiß wer du bist, Kristina!". Er spukte mir meinen Namen nur so ins Gesicht. Voller Hass und Abneigung war seine Stimme. "Du bist schuld!". Er kam näher. Und ich stand mit dem Rücken zur Wand. Ich war in der Falle. "Du bist schuld!". Die Worte hallten durch meinen Kopf und wollten nicht verklingen. "Finn! Bitte". Er stand direkt vor mir, sodass ich in seine Augen blicken konnte. "Du bist schuld!".

Ich wachte auf. Mein Atem ging schnell und mein Puls raste. Es war mitten in der Nacht, der Mond schien durch das Fenster herein und tauchte das Zimmer in ein gruseliges Licht. Alex schien neben mir zu schlafen, als hätte er von nichts etwas mitbekommen. Langsam beruhigte ich mich und kuschelte mich an ihn. Wann würde das alles enden? Wann würde Finn aufhören mich um meinen Verstand zu bringen. Immer wieder redete ich mir ein, dass es nicht meine Schuld war, dass es seine eigene Entscheidung war. Doch ich glaubte mir nicht. Ich konnte meinen Worten keinen Glauben schenken, egal wie sehr ich mich anstrengte. Dieses Gefühl erstickte mich. Es war als würde ich langsam ertrinken. Und dazu brauchte ich nicht einmal Wasser.
Ich konnte und wollte nicht mehr einschlafen. Ich hatte zu viel Angst vor Finn. "Tess", hauchte neben mir eine Stimme. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Hatte ich Alex gerade richtig verstanden? Natürlich. Zwar hatte er es nur geflüstert, doch man hört selbst ein Flüstern in der Stille. Wie bei Finns Anblick, als Alex mich weggezogen hatte, brach auch dieses Mal ein Stück meiner Seele. Ich hatte gewusst, dass er tief in sich ein Geheimnis bewahrte. Und jetzt wusste ich, woher all sein Schmerz herrührte. Von diesem einen Namen, bei dem ich sofort wusste, dass er sie liebte. Ich hatte mich auf ihn eingelassen. Ich hatte zugelassen, dass ich mich trotz seiner Ecken und Kanten in ihn verliebt hatte.

Ich konnte nicht anders, als aufzustehen. Ich ging den Gang entlang zum Treppenhaus und hinauf aufs Dach. Kalte Luft wehte mir entgegen, während ich unter der Plane, die bei Tag die Sonne abhalten sollte, auf die Kante zuging. Dort, wo eine Gestalt saß, von der ich wusste, dass es Dusty war. Saß er immer dort? Ich sah ihn selten woanders. "Kannst du nicht schlafen?", fragte er, als ich näher kam. Ich setzte mich neben ihn und lehnte mich zurück, um in den Sternenhimmel zu sehen. Es waren so viele Sterne dort oben. Aber wieso gab es sie? Wieso leuchteten sie und sahen so wunderschön aus? "Nein, kann ich nicht". Ich hörte ihn leise einatmen. Dusty ließ den Blick über die leere Stadt schweifen. Doch war sie so leer? Wie viele Zombies waren dort unten? Hunderte, tausende. In dieser Stadt mussten viele Menschen gelebt haben. Sie konnten unmöglich alle geflohen sein. Und die, die es nicht geschafft hatten, waren wahrscheinlich zu diesen Monstern mutiert. "Wer ist Tess?", fragte ich leise. Wollte ich die Antwort wirklich wissen. Dusty sah mich an. Durch den Mondschein konnte ich Traurigkeit und auch etwas Neugier in seinem Blick erkennen. "Sie war bis vor vier Jahren hier. Sie war wie du". Ich verstand nicht so recht. Meinte er das jetzt wortwörtlich? "Inwiefern?". Ein mildes Lächeln huschte übers sein Gesicht und er sah wieder über die Stadt. "Sie kam aus deiner Zone. Sie sah genauso aus wie du. Dieselben Haare, dieselben Augen. Ich hätte dich glatt mit ihr verwechselt". Er lächelte immer noch. "Und was war zwischen ihr und Alex?". Wenn ich genauso aussah, wie sie, war das zwischen Alex und mir nur deswegen? Es tat mir im Herzen weh. Hatte er mich nur geküsst, weil ich war wie sie? "Sie hat ihn geliebt". Ich ließ Dusty Zeit um weiter zu reden. "Und er liebt sie", murmelte er. Eine Träne lief mir über die Wange. Also hatte ich Recht? Er hatte mich nur geküsst, weil ich war wie sie. Mir die paar Wochen, die wir uns kannten, vorgespielt, dass zwischen uns was laufen würde. Aber es war alles nur wegen ihr? Wieso tat er mir das an? Ich hatte zugelassen, dass ich mich in ihn verliebte. Ich war enttäuscht. Wie hatte ich mich nur so in ihm irren können. "Wieso bist du hier?", versuchte ich mich abzulenken und wischte meine Tränen weg. "Ich genieße diese Nacht. Ich genieße die Stille vor dem großen Sturm". Dusty stand auf, legte mir kurz die Hand auf die Schulter und lächelte mich warm an. Dann ging er.

DustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt