Feiglinge

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Perry
Ich sah ihnen hinterher. Finn verschwand unter den Körpern der Monster und Alex brach seine Regel, nur sich zu retten. Er hatte die Arme um Kris geschlungen und versuchte sie von der Meute wegzubringen. Die Frage, wieso er trotz seiner Regel Kris rettete, spukte mir durch den Kopf. Wieso hatte er diese Regel aufgestellt, sie so betont als wäre sie das einzige was dort draußen zählte, wenn er sie brach? Eine weiche Hand griff nach meiner und zog mich weg von meiner besten Freundin. "Komm schon, Perry!", rief Kahlee und hatte Tränen in den himmelblauen Augen. Man sah ihr an, wie schwer es ihr fiel ihre Freunde zurückzulassen. Wie lange kannte sie Finn und Alex schon? Und sie hatte in Kris sofort eine gute Freundin gesehen.
Ich ließ mich wegführen von der Freundin, die ich schon so lange kannte, für die es niemals einen Ersatz geben würde. In nahezu jeder Erinnerung kam Kris vor. Sie war die einzige Freundin, die ich je hatte. "Perry, bitte". Ich sah ein letztes Mal zurück, als Alex Kris in eines der Häuser zog und verschwand. Dann begann ich zu laufen.
Ich durfte nicht an sie denken, sonst würde ich keine zehn Meter weit kommen, ehe ich umdrehte. Ich richtete meinen Blick nach vorne. Es waren noch etwa zwei Blocks bis zu der Nebenstraße, in der die Leiter war. Das schlechte Gewissen zerfraß mich, als ich Finns markerschütternden Schrei hörte. "Sieh nicht zurück!", rief Kahlee und zog mich weiter. Ihre Stimme klang nicht mehr so taff wie vorhin, nein sie klang gebrochen. Statt der Hitze, die hier allgegenwärtig war, breitete sich Kälte in mir aus. Wie konnte ich sie nur zurücklassen. Wie konnte es Kahlee? Zulassen, dass wir wegliefen wie Feiglinge während unsere Freunde bei den Monstern waren, fühlte sich falsch an und brachte mich fast um den Verstand.
Wir erreichten die Leiter. Sie hörte etwa zweieinhalb Meter über dem Boden auf, sodass nicht jeder nach oben kam. Geschickt fasste Kahlee an die Kanten zwischen den Backsteinen und kletterte so auf die Höhe vom Ende der Leiter. Sie schwang sich mit einer Leichtigkeit auf die eisernen Streben und sah zu mir herunter. Die Tränen hatte sie weggewischt, jedoch stand das Wasser immernoch in ihren Augen. Ich ignorierte das schlechte Gewissen und krallte mich an die Wand. Ich kletterte nach oben, ergriff mit einer Hand die letzte Stufe der Treppe, dann mit der anderen. Ich zog mich nach oben und stieg mit Kahlee nach oben in den fünften Stock.

Tränen standen mir in den Augen als ich mich im Gebäude angekommen auf den Boden kauerte. "Wir haben sie zurückgelassen", murmelte ich. Immer wieder tauchten die Bilder in meinem Kopf auf. Finn unter den Körpern der Monster und seine grünen Augen, die uns anstarrten. Kahlee ließ sich neben mir auf den Boden sinken. "Alex und Kris werden es schaffen". Sie fuhr sich mit den Händen durch die langen Haare. Ich wollte ihr Glauben schenken, doch immer wenn mir das Bild der Horde durch den Kopf spukte, konnte ich es nicht. Es waren um die fünfzig gewesen. Wie standen die Chancen bei zwei gegen fünfzig? "Sie kommen wieder", murmelte Kahlee immer wieder. "Und was wenn nicht?". Wenn nicht, dann hatte ich meine beste Freundin verloren. Ich hätte bei ihr sein sollen. "Daran dürfen wir nicht denken?". Wir haben sie im Stich gelassen. Wir hätten ihnen helfen sollen. Doch wir sind weggelaufen, haben sie dem Schicksal überlassen. Wir waren Feiglinge.

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