Und am Ende sind wir alle nur Erinnerungen

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Kris
Der Teufel kam nicht in Rot und mit Hörnern auf dem Kopf. Er kam als das, was ich mir jetzt am meisten wünschte.
"Alex", schrie ich, als ich ihn fand, am Boden liegend. Neben ihm einer der Toten, in dessen Kopf Alex Messer steckte. Ein roter Riss zog sich über den Bauch meines Freundes. Das Blut sickerte nur langsam heraus, denn der größte Teil war bereits auf dem Sand verteilt. "Alex!", flüsterte ich und nahm seine Hand. Er lebte, noch. Sein Atem war flach und seine Haut bleich. Ich beugte mich über ihn um in seine wunderschönen braunen Augen zu sehen. Er starrte mich an. Seine Augen waren glasig und halb geschlossen. Aber dennoch wusste ich, dass er mich sah.
Man sagte, dass die Augen das Fenster zur Seele waren. Und vor mir lag seine. Eine zerbrochene Seele, die nicht mehr gerettet werden konnte. Ich sah sie mit all ihren Ecken und Kanten, mit all ihren Rissen, mit all ihren Löchern. Diese Seele hatten ihren Kampf beendet.

Für immer. Das hatte ich zu Alex gesagt, in der Nacht als wir uns geküsst hatten. Doch für immer hatte keine Bedeutung, wenn man im Moment lebte. Wenn man jede Sekunde des Momentes auskostete, waren für immer nur Wörter, die durch die Luft hallten und irgendwann verschwanden. Und in diesen Zeiten gab es nur den Moment.
Ich hätte so viel beten können wie ich wollte. Selbst wenn es einen Gott gab, hatte er mich verlassen. Ich küsste Alex, doch er reagierte kaum. Sein Körper wurde allmählich kalt. Die Wärme verschwand aus seinem Körper, wie das Licht aus dem Tag. Tränen rannen mir in Strömen über die Wangen.

Alex
Dieser Moment war perfekt. Ich lag unter dem Himmel, der aussah, als würde ich direkt in Kahlees Augen sehen. Sie war bei mir. Ich hatte Ollies Waffe in meinem Gürtel stecken, die er niemals hergegeben hätte, wenn ich nicht sein bester Freund gewesen wäre. Er war bei mir. Ich hatte Dustys Kette um den Hals, die er mir einmal gegeben hatte, damit ich immer etwas von meinem Bruder bei mir trug. Sie lag auf meinem Herzen, dessen Schläge immer langsamer wurden. Er war bei mir. Neben mir lag sowohl Tess, als auch Kris. Die Personen, denen ich meine Liebe geschenkt hatte. Sie lagen dicht bei mir, während mich Stück für Stück die Dunkelheit umfing. Sie waren bei mir.
Ich hatte alle Personen, die mir am meisten bedeuteten in irgendeiner Form bei mir. Dennoch war ich nicht vollständig bereit zu gehen. Was würde aus Ollie, Kahlee und Kris werden? Ich würde sie zurücklassen, ohne Abschied zu nehmen. Ich würde sie verlassen, ohne mich jemals für all das, was sie für mich getan haben, zu bedanken.

Mir wurde immer kälter. Trotz der Hitze, die hier am frühen Abend noch herrschte, war mir kalt. Die Luft wärmte mich nicht, auch nicht der Sand, der immer heiß war. Der Tod umfing mich mit seinen kalten Armen und nahm mich zu sich. Ich starb wie Tess. Im Sand, mit meinen Liebsten, unter dem blauen Himmel, der immer dunkler wurde. Jetzt verstand ich, was Tess gesagt hatte, während ich sie in den Armen hielt. Es tut nicht weh. Ich habe alles um mich, was ich brauche. Ich spüre wie alles dunkler und kälterer wird, hatte sie gesagt. Ich liebe dich, Alex, vergiss das nicht. Ihr Herz hatte aufgehört zu schlagen. Wie auch damals hatte ich Ollies Waffe dabei. Und wie ich es ihr versprochen hatte, hielt ich sie mit drei Schüssen in den Kopf ab, einer von den lebenden Toten zu sein, denn die Toten sollten nicht leben. Sie sollten ihren Frieden finden und nicht gestört werden. Um sie sollte getrauert werden, doch stattdessen würden sie gefürchtet werden.
Jahrelang hatte ich die Toten von ihrem und unserem Leid befreit. Ich dachte an Dusty. Auch er sollte von seinem Leid befreit werden. Er sollte Frieden finden. Er war der Frieden und die Ruhe, die mich all die Jahre unterstützt hatten. Dein Kampf ist zu Ende, wie auch meiner.

Kris. Sie war wie ein Engel, der mich wieder daran erinnert hatte, dass es auch noch Liebe auf der Erde gab. Ich hatte mich in sie verliebt.
Ich wünschte, dass es eine bessere Welt gab, denn diese war zu grausam. Sie sollte hier nicht leben, wo ihre Schwester und ich gelebt hatten. Denn die Toten waren zurück und zahlreicher als je zuvor. Sie suchten einen Kampf mit den Lebenden. Sie wollten uns besiegen und diesmal würde ich es zulassen

Kris
Ich saß neben ihm im Sand und hatte seinen Kopf auf dem Schoß. Ich streichelte ihm durch das volle Haar und entfernte den Staub. Er sah so friedlich aus. Sein Körper war eiskalt. Sein Herz schlug nicht mehr. Tränen liefen mir über die Wangen, als ich die Waffe aus seinem Gürtel zog und den Lauf gegen seine Schläfe drückte. "Verzeih mir, Alex", flüsterte ich und legte den Finger auf den Abzug. Ich konnte das nicht. Ich wollte seinen Frieden nicht stören. Ich war es satt zu weinen. Ich war es satt mir einzureden, dass es nicht meine Schuld war. Natürlich tat ich so, als wäre alles in Ordnung, doch in meinem inneren war ich am sterben.
"Alex, ich kann das nicht!", ich war am Ende. Ich konnte ihn nicht zu einer Erinnerung machen. Ich konnte nicht riskieren, dass er mir entglitt.
Vielleicht war er nicht tot, sondern nur bewusstlos. Vielleicht schlug sein Herz nur so schwach, dass ich es nicht bemerkte. Ich biss mir auf die Lippe, bis ich Blut schmeckte. Ich strich mir die Haare aus dem Gesicht. Die Tränenbäche rannen mein Gesicht herunter und tropften auf Alex. Ich drückte meinen Kopf gegen seinen. "Komm schon, Alex! Bitte", murmelte ich. Verdammt, wieso war das so schwer? Ich wünschte mir, dass Kahlee mich weckte, um mir zu sagen, dass ich verschlafen hatte. Ich wünschte einfach aufzuwachen. Doch ich konnte nicht aufwachen, denn das war kein Traum. Das war die beschissene Realität.
Wie sollte ich jemanden eine Kugel in den Kopf jagen, obwohl ich diese Person liebte. Wieder drückte ich die Waffe gegen seine Schläfe. Ich schloss die Augen und legte den Finger wieder auf den kalten Abzug. "Es tut mir Leid", murmelte ich und drückte das erste Mal. Ich zuckte zusammen. Ein Schauer lief mir über den Rücken und ich fühlte mich verloren. Spätestens jetzt war er tot. Ich hatte ihn umgebracht. Seine Augen starrten immer noch hinauf in den Himmel. Jetzt war er dunkelblau und die Sterne gaben ein wunderschönes Bild ab. Ich drückte nochmal ab. Wieder zuckte ich zusammen. Es tat mir im Herzen weh. Meine Hände zitterten. Ich wollte zurück, zurück an den Ort, den nur wir uns teilten. Ich wünschte mich zurück in die Nacht in dem Gebäude, in dem nur wir beide waren.

Mein Herz war gebrochen. Das war das Schlimmste, denn es war wie gebrochene Rippen zu haben. Niemand konnte es sehen, aber es tat bei jedem Atemzug unglaublich weh.
Doch jetzt war es zu spät um repariert zu werden. Es war zu spät um etwas zu bedauern. Ich drückte ein letztes Mal ab.

Wenn jemand Geliebtes zu einer Erinnerung wurde, wurde diese Erinnerung zu einem Schatz.
Alex war nun eine Erinnerung. Er war von seinem Leid befreit worden und darum beneidete ich ihn.
Ich legte mich neben ihn, den Kopf auf seiner Brust. Alles was ich wollte, war seine Stimme zu hören. Ich wollte seine Wärme spüren, seinen Herzschlag.
Wenn er mich geliebt hatte, wieso hatte er mich verlassen. Wieso hatte er nur seinen Körper zurückgelassen? Alles was ich jemals wollte, war jemand, bei dem ich mich geborgen fühlte. Ich wollte jemanden finden, den ich liebte. Ich hatte ihn gefunden und jetzt hatte er mich verlassen. Ich hatte zugelassen, dass ich mich auf ihn eingelassen hatte. Er hatte mir meinen Kopf verdreht, indem er einfach nur anwesend war.
Wenn du mich geliebt hast, wieso hast du mich verlassen?

Perrys Mom hatte mir versprochen, dass meine Träume war werden konnten. Und das wurden sie. Ich hatte eine Person gefunden und mich in sie verliebt. Doch Perrys Mom hatte vergessen, dass Albträume auch Träume waren. Und jetzt waren auch sie wahr geworden. Die Albträume, die mich die letzten Wochen verfolgt hatten, waren wahr geworden.

Die Menschen kamen und gingen auf dieser Welt. Mit ihnen kam die Freude, aber auch der Abschied. Mit ihnen kam das Glück, aber auch der Schmerz. Und alles was uns am Ende blieb waren die Erinnerungen.

Es tat so weh, wenn dein Name durch meinen Kopf ging.

Alles was ich immer wollte, war ein Happy end. Doch das gab es nicht, es war nur eine Erfindung, um den Menschen die Angst vor dem Leid zu nehmen. Denn ein Ende war immer verbunden mit Leid.

Kai, Finn, Dusty, Alex

Wir sind alle Schachfiguren.
Weiß das Leben, Schwarz der Tod.
Weiß beginnt. Schwarz gewinnt.

DustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt