Die Konfrontation mit der Wahrheit

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Paris, 1967

Elena's POV.

Wir saßen in der Bar, in der wir uns kennengelernt haben. Das war vor über zwei Monaten gewesen. Seitdem wohnte ich gewissermaßen bei ihm und brauchte auch nicht mehr arbeiten oder mich um irgendwas zu sorgen.

Ich fühlte mich so glücklich und frei wie noch nie zuvor in meinem Leben.

Wir warteten an unserem Tisch auf unsere Getränke. Währenddessen unterhielten wir uns über alle möglichen Städte der Welt bzw. Klaus schwärmte von ihnen und ich hing gebannt an seinen Lippen. Er versprach mir, mir irgendwann alles zu zeigen.

Spontan legte ich ihm meine weiß behandschuhte Hand auf seine und verschränkte unsere Finger miteinander, worauf er lächeln musste. Ich liebte sein Lächeln und nicht nur das ...

Ich glaube, ich liebe ihn. Aber wie sah er das? Diese Ungewissheit machte mich schier wahnsinnig. Ich wusste nur, dass er mich begehrte. Aber liebte er mich auch? Wie so oft wünschte ich mir in diesem Moment, dass ich einen Blick in seinen Kopf werfen könnte ...

Was hat mir meine Mutter immer über die Liebe beigebracht? "Nur den, der dein Herz berührt, sollst du heiraten ... Das Wunderbarste, was du je lernen wirst, ist zu lieben und wieder geliebt zu werden." Aber wurde ich auch wieder geliebt?

***

Ich war zur Abwechslung mal einkaufen gegangen, weil ich mir sonst so nutzlos vorkam. Kochen konnte ich ja nicht und Putzen ließ er mich nicht, weil Klaus es für eine "niedere Arbeit" befand, die dem Personal zustand.

Klaus' POV.

Da Elena nicht da war, konnte ich mich wieder austoben und trank von eine meiner Angestellten, um meine vampirischen Bedürfnisse zu stillen.

Theoretisch könnte ich Elena genauso gut manipulieren, aber sie war mir einfach zu kostbar, als dass ich sie für etwas so Triviales wie die Nahrungsaufnahme benutzen könnte.

Elena war mir wichtig, so ungern ich es auch zugab. Aber irgendwann musste mich die Schwäche eines jeden Vampirs ja auch einholen ... Liebe.

Seufzend ließ ich den leblosen Körper achtlos zu Boden fallen und wollte mir gerade das Blut vom Mund abwischen, als ich ein erschrockenes Keuchen hörte.

Mein Kopf fuhr sofort in die Richtung und ich blickte in die vor Schreck aufgerissenen Augen meiner Elena, die mich anstarrte, als wär ich ein Monster. Zugegeben, das war ich auch. Aber es tat trotzdem weh, wie sie mich ansah.

Sie wollte weglaufen, doch ich hielt sie auf. Ich konnte sie nicht gehen lassen. Nicht so. Ich durfte sie nicht verlieren! Koste es, was es wolle!

Ich fasste aus Panik einen Entschluss und flößte ihr gewaltsam mein Blut ein, bevor ich ihr das Genick brach. Sie fiel wie eine leblose Puppe zu Boden und erst jetzt begriff ich das Ausmaß meiner impulsiven Handlung.

Was hab ich nur getan?! Ich hab sie getötet! Zwar würde sie wieder aufwachen, aber als Vampir. Sie würde mir niemals vergeben.

Ich erinnerte mich daran, wie ich in den letzten 1000 Jahren meine Geschwister erdolchte, weil ich sie nicht gehen lassen und um jeden Preis bei mir behalten wollte. Dafür nahm ich auch ihren Hass in Kauf.

Aber könnte ich es ertragen, wenn Elena mich auf hassen würde? Wenn sie mir niemals verzieh? Und niemals war für einen Vampir eine sehr lange Zeit.

***

Elena's POV.

Ich war jetzt seit fast einem Monat ein Vampir und ich hasste es. Den Drang, Menschen töten zu wollen, empfand ich als widerwärtig.

Doch daran dachte ich nicht, während ich es tat. Die Zahl meiner Opfer häufte sich und Klaus hielt sich auch nicht gerade zurück. Klaus hatte mir auch noch einen verzauberten Ring besorgt, der mich vor dem Tageslicht schützte.

Klaus. Seinetwegen war ich jetzt das, was ich jetzt war. Nach meiner Verwandlung waren meine Gefühle ein einziges Wirrwarr. Hasste ich ihn? Oder liebte ich ihn doch noch? Es war zum Verrücktwerden!

"Lass uns weiterziehen, Liebes.", forderte er mich auf. Klaus nannte mich jetzt wieder öfter "Liebes". Er merkte, dass ich mich immer mehr von ihm distanzierte. Ich wollte Klarheit haben und das ging nicht, wenn ich dauernd seinetwegen abgelenkt war.

Wir waren in irgendeinem Wald, dessen Name ich nicht kannte. Das war mir aber eigentlich auch völlig egal.

So hatte ich mir mein Leben nicht vorgestellt. Ich hatte doch einst Träume von einer Familie und einem Landhaus. Was war daraus nur geworden? Ein Monster zu sein, stand ganz sicher nicht auf meiner Liste von den Sachen, die ich in meinem Leben immer gewollt hatte.

Bereute ich es, Klaus getroffen zu haben? Nein. Wenigstens hab ich auf diese eine Frage eine klare Antwort. Auch wenn Klaus mir das hier angetan hat ... Mit ihm habe ich den schönsten und glücklichsten Abschnitt meines Lebens verbracht.

Es war ja klar, dass dieser Traum nicht bis in alle Ewigkeit bestehen konnte. Es war naiv von mir, dass auch nur eine Sekunde lang zu glauben. Ich wünschte nur, dass er mir etwas länger erhalten geblieben wäre ...

***

Ich fasste einen Entschluss. Während Klaus damit beschäftigt war, irgendeine arme Frau auszusaugen, rannte ich unbemerkt in meiner neuen Geschwindigkeit davon.

***

Das müsste weit genug sein. Vorne war eine Lichtung, auf die ich mich stellen und mir dann dort den Tageslichtring abnehmen könnte. Ich war ein Monster und ich verdiente es, zu sterben. Davon konnte nicht mal Klaus mich abhalten.

Doch ich irrte mich da gewaltig. Ich hatte bereits die Finger meiner anderen Hand an meinem Ring und schritt zielsicher auf die hell bescheinte Wiesenfläche zu, als mich ein starker Arm zurückhielt.

"Elena.", murmelte Klaus traurig. "Du willst diese Welt verlassen und ihr ihre Schönheit nehmen? Du willst mich verlassen?"

"Klaus.", brachte ich nur hervor. "Ich kann nicht damit leben, wie ich jetzt bin. Ich habe es versucht. Für dich. Aber ich kann es nicht."

Er legte seine Hand zärtlich an meine Wange und zwang mich sanft aber bestimmt, ihm in die Augen zu sehen.

"Du musst mich vergessen. Und vergiss deine Selbstvorwürfe. Du bist eine wunderbare Frau, Elena. Du verdienst ein wunderbares Leben. Das ist dafür, dass ich es dir genommen habe. Es tut mir so leid. Vergiss mich einfach, Elena."

Wie in Trance wiederholte ich seine Worte benommen und Schwärze umgab mich.

***

Als ich erwachte, war ich allein und lag auf einem Waldboden. Wo war ich hier? Was tat ich hier? Als ich versuchte, mich an etwas zu erinnern, schmerzte mir nur der Kopf.

Es brachte nichts, hier einfach rum zu sitzen und Däumchen zu drehen. Also erhob ich mich und lief in irgendeine Richtung, auch wenn ich überhaupt keine Ahnung hatte, wo ich mich befand.

Klaus' POV.

Ich hab das einzig Richtige getan. Ich musste es. Ich musste sie gehen lassen, auch wenn es mehr schmerzte als die Qualen des Vollmondes, die ich zwar nur einmal in meiner Existenz durchmachen musste, aber trotzdem ...

Ich hätte sie nicht alleine lassen dürfen ... Nein, Niklaus! Sie war jetzt ein Vampir. Sie würde schon irgendwie zurecht kommen. Zum Glück hab ich ihr noch ihre Suizid-Gedanken ausgetrieben, bevor ich gegangen war.

Weiter rennen, Niklaus ... Denn wenn ich anhalten würde, würde ich nur in Versuchung kommen, zu ihr zurück zu laufen und mich vor ihr zu erniedrigen. Wenn ich genügend Abstand zwischen uns geschaffen hatte, würde ich wieder einen klaren Kopf bewahren können.

I need to remember ...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt