Dämon

16 6 0
                                    

Alles geschah so schnell und plötzlich, dass ich zunächst nicht begriff, was unten am Boden geschah.

Ivo war nicht länger da. An seiner statt war da jetzt ein Schatten, der sich ohne zu zögern auf die Soldaten zubewegte, die augenblicklich in Panik verfielen und vergeblich versuchten sich in Sicherheit zu bringen.

Aber natürlich war der Schatten schneller. Er näherte sich zuerst dem Verletzten und gerade als er diesen erreichte, verschwanden sie aus meinem Blickfeld und ich musste nicht mit ansehen, wie der Schatten ihm das Leben nahm.

Der andere Soldat war zu den Pferden gehechtet und hatte die Zügel des einen fassen können. Vor Panik völlig unkontrolliert, schaffte er es nicht, sich in den Sattel zu hieven und das Tier wurde immer unruhiger. Ich hatte die Gewissheit, dass auch der zweite unserer Angreifer die nächste Minute nicht überleben würde.

Der Schatten war schneller bei ihm als erwartet. In Sekundenbruchteilen war auch das Leben des zweiten Soldaten beendet. Die Gefahr gebannt.

Diese Gefahr.

Erst da begann ich zu verstehen. Erst da gestand ich es mir zu, zu begreifen, dass da unten ein Schatten stand und dass der Schatten nicht irgendwer war, sondern Ivo.

Ivo hatte mich bei sich aufgenommen. Ich hatte mehrere Wochen mit ihm verbracht, hatte mit ihm in einem Raum geschlafen und hatte angefangen, ihm mein Herz zu öffnen.

Ein Schwindelgefühl übermannte mich und mein Magen wollte rebellieren. Beinahe fiel ich vom Baum, aber irgendeine Kraft brachte meine Muskeln dazu standhaft zu bleiben.

Ich verharrte in meiner Position, unfähig mich zu bewegen und wartete darauf, was jetzt geschehen würde. Wie viel Glück konnte ich schon haben, dass ich die Begegnung mit einem Schatten gleich zwei Mal überlebte? Es war nur eine Frage von wenigen Augenblicken, bis er mich bemerken würde und ich war mir sicher, dass der Baum mir nicht den geringsten Schutz bieten würde.

Doch es geschah nichts.

Es war, als existierte ich für den Schatten gar nicht und ehe ich es mich versah, verschwand die Dunkelheit und gab Ivo wieder frei.

Die Gewissheit zu wissen, dass er es wirklich war, traf mich hart. Beinahe noch härter als die Gewissheit, dass meine Familie tot war, dass Rico tot war. Es kam über mich und riss mich innerlich auseinander.

Als Ivos Blick nach oben zu mir wanderte, hielt ich es nicht länger aus. Die Tränen begannen zu fließen und nahmen mir meine Sicht. Ich begann zu schluchzen und die Körperspannung, die ich die letzte Minute so stark aufrechterhalten hatte, schwand und ich war gezwungen mich am Baumstamm festzuhalten.

Ich besaß gerade noch so viel Verstand, dass ich wusste, dass ich so schnell wie möglich verschwinden musste. Und der einzige Weg führte an Ivo vorbei. Dem Schatten, dem Dämon. Dem eiskalten, verlogenen Mörder.

Zitternd wagte ich meinen Abstieg und wäre mehr als einmal fast gefallen, aber nach einer gefühlten Ewigkeit fühlte ich endlich wieder festen Boden unter meinen Füßen. Aber nicht nur das. Ich spürte auch wie jemand auf mich zukam und kurz davor war, einen Arm um mich zu legen.

Ich wich schlagartig vor ihm zurück. Auch wenn alles in mir danach schrie loszurennen, blieb ich stehen und sah ihm ins Gesicht. Wie vertraut es mir doch mittlerweile war.

Auf seinem Gesicht lag ein schrecklich gequälter Ausdruck.

„Chiara...", begann er, aber ich konnte es nicht ertragen seine Stimme zu hören.

„Sei leise!", brüllte ich aus vollem Halse. „Sei leise und komm mir keinen Schritt näher!"

Als Antwort kam er einen Schritt auf mich zu.

DämonenschattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt