Das Metall der Klinge drückte eiskalt gegen meine Kehle und Padmas Finger gruben sich schmerzvoll in meine Haut. Ich war ihr ausgeliefert und konnte nichts dagegen tun.
Panik machte sich in mir breit und mein Körper sagte mir ich sollte dagegen ankämpfen, aber ich schaffte es, mich ruhigzuhalten. Ich wusste, dass sie mich töten würde, wenn ich auch nur eine falsche Bewegung machte. Und ich wollte Leben. Der Tod war für mich keine Option, dessen war ich mir sicher.
Und doch hing mein Leben nicht nur von meinem Verhalten ab, sondern auch an Ivos. Er rührte sich auch nicht und ich sah ihm an, dass er darüber nachdachte, wie er die Situation am besten lösen sollte.
Mittlerweile waren wir nicht mehr alleine vor Padmas Hütte. Waldgeister hatten sich um uns geschart und beobachteten das Schauspiel, das sich vor ihnen ereignete, aber keiner von ihnen griff ein. Sie alle hielten Abstand. Ich konnte also keine Hilfe erwarten.
"Lass sie gehen", zischte Ivo, doch der Griff seiner Mutter lockerte sich nicht im geringsten.
"Du weißt, dass ich das nicht tun werde", lautete Padmas Antwort. Ihre Stimme drang unangenehm in mein Ohr. "Du weißt auch, dass ich sie töten werde, wenn es sein muss."
Die Nymphe klang nicht so als wäre der junge Mann ihr gegenüber ihr Sohn. Sie klang so hasserfüllt, wie ich noch nie zuvor einen Menschen gehört hatte.
Ich selbst wagte es nicht etwas zu sagen, denn ich spürte den irrational lodernden Zorn in Padma, den Hass, den sie nicht kontrollieren konnte und den sie mir unterbewusst zu übermitteln schien, als wäre ich ein Teil von ihr.
"Ich werde nicht umdrehen und einfach gehen, Mutter. Ich kann nicht zulassen, dass du sie ihr Leben lang zu deiner Geisel machst, nur um ein Druckmittel gegen mich in der Hand zu haben. Das muss dir doch selbst absurd vorkommen. Du musst doch merken, dass es so nicht weitergeht. Alles läuft falsch!"
Die letzten Worte schrie Ivo ihr entgegen und ich sah den Schmerz in seinen Augen. Ich hatte seinen Hass auf Padma gesehen, hatte gesehen wie sehr er sie verabscheute für das, was sie tat, aber es war etwas gänzlich anderes für ihn ihr gegenüberzustehen. Ich sah, dass er nicht länger in der Lage war zu verdrängen, dass dies die Frau war, die ihn zur Welt gebracht hatte.
Und ich sah Menschlichkeit in ihm. Ich wusste, dass ich ihm nie würde vergeben können und vergessen konnte ich erst recht nicht, was er mir angetan hatte, aber ich konnte es wieder ertragen an ihn zu denken und ihn ansehen.
"Heute ist der Tag an dem du stirbst", waren Padmas Worte und ich konnte im ersten Moment nicht sagen, ob sie an Ivo oder an mich gerichtet waren.
Dann rief sie an die umstehenden Waldgeister gerichtet: "Nehmt ihn gefangen!"
Ivo rührte sich nicht, als mehrere Männer und auch Frauen zu ihm gingen, zwei von ihnen mit Seilen in ihren Händen, um ihn zu fesseln, die anderen mit erhobenen Waffen.
Und dann geschah etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Auf einmal spritzte mich etwas von hinten an und als ich zu Boden sah, erkannte ich dunkelrote Sprenkel. Blut. Gleichzeitig lockerte sich Padmas Griff und langsam sackte sie hinter mir zu Boden.
Als ich vollends freigekommen war, sah ich mich um und was ich sah, verschlug mir den Atem. Ein Messer hatte sich von der Seite in Padmas Hals gebohrt und die Person, die es der Nymphe in die Kehle gestoßen hatte war ein kleines Mädchen. Es war Ira. Das kleine Mädchen hatte seine eigene Mutter getötet. Fassungslos starrte ich sie an.
"Sie wird bald wieder aufwachen", versicherte sie mir.
Und es war als wäre ein Bann von den Umstehenden abgefallen, denn sie versuchten nicht länger Ivo gefangen zu nehmen. Dieser ging durch die kleine Menge hindurch auf uns zu, bis seine kleine Schwester auf ihn zurannte und ihm in die Arme fiel.
So umarmten sich die beiden einige unendlich schöne Momente lang.
"Ich hab dich vermisst", sagte Ivo.
"Ich dich auch", beteuerte Ira. "Aber du musst jetzt wieder gehen."
"Ich weiß... Und ich weiß nicht, ob ich wieder zurückkommen kann. Aber erinnerst du dich an Maron mit dem ich damals fortging? Ich werde ihn suchen, denn ich glaube er ist derjenige, der Mutter wieder zur Vernunft bringt. Er wird es irgendwie schaffen, dass das Ganze aufhört. Ich würde dich gerne mitnehmen, aber ich kann leider nicht. Außerdem braucht Mutter dich hier. Ich weiß nicht, was sie tun würde, wenn ich dich ihr auch noch wegnehmen würde. Also versprichst du mir, dass du auf dich aufpasst?"
Das Mädchen nickte.
"In Ordnung. Chiara, wir müssen jetzt gehen. Wir müssen genug Weg zwischen uns und sie bringen, bevor sie wieder zu sich kommt. Es ist keine große Wunde also wird es schnell heilen."
Völlig perplex nickte auch ich. Obwohl ich mir nie hätte vorstellen können wieder mit ihm mitzugehen, wusste ich jetzt, dass es mein Weg in die Freiheit war.
"Wir müssen lange gehen", teilte Ivo mir mit, "also hoffe ich, dass du ausgeschlafen bist."
Und so verließen Ivo und ich das Lager der Waldgeister und niemand hielt uns auf. In diesem Moment wurde mir wirklich bewusst, wie groß Padmas Einfluss wirklich war und es war mehr als beängstigend. Diese Frau war gefährlich und es behagte mir nicht, sie einfach hier zurücklassen, aber ich konnte auch nichts gegen sie ausrichten. Das war Ivos Kampf, den er alleine bestreiten mussten.
Bevor wir endgültig gingen tauchte aber Zebra noch einmal auf und gab uns Proviant für den Weg mit. Dankend nahm ich das Essen und Trinken entgegen. Ich würde Zebra vermissen, das wusste ich jetzt schon. Allerdings war ich vollends darauf fokussiert endlich wieder nach Hause zu kommen, dahin, wo ich hingehörte, dass ich gar nicht weiter darüber sinnierte.
Schweigend lief ich neben Ivo her, versuchte den Takt zu finden, den auch er hatte und hatte dieselben Schwierigkeiten dabei zu haben wie auch zuvor schon. Hatte sich überhaupt etwas geändert zwischen uns beiden?
"Es tut mir Leid, was geschehen ist", sagte er schließlich, um die Stille zu durchbrechen.
"Ich weiß", gab ich als Antwort. "Das sollte es auch. Aber es ist nett, dass du mich nach Hause begleitest."
"Ich bin es dir mehr als schuldig. Ich kann dein Leben nicht mehr reparieren, aber ich kann es in eine bessere Bahn lenken. Das glaube ich zumindest."
"Ich kann nicht sagen, ob das bei mir funktioniert, aber ich hoffe, dass du es schaffst die Waldgeister vor Padma zu retten oder wenigstens Padma vor sich selbst."
"Der Tod meines Vaters hat sie zerstört", sagte Ivo. "Ich weiß nicht, weswegen der Verlust sie härter getroffen hat als andere, aber sie hat ihn anscheinend zum Leben gebraucht."
"Ich habe meine Familie auch gebraucht."
"Aber du bist hier und redest mit mir und bist auf dem Weg dahin deinem Leben einen neuen Anstrich zu geben. Das ist etwas anderes."
"Mag sein. Vielleicht ist es aber auch nur etwas anderes, wenn man mit dem Übernatürlichen spielt. Wenn man Magie praktiziert. Deswegen muss ich jetzt Abstand davon nehmen."
Ivo nickte und ich wollte nichts mehr erwidern.
Die Stunden verstrichen und wir sagten beide nur das Nötigste. Es wurde dunkel, ich wurde müde und trotzdem gingen wir weiter. Wir hielten uns wach, indem wir Ivos absurd schnelles Tempo beibehielten und so erreichten wir kurz nachdem die Sonne wieder aufgegangen war mein Dorf.
"Mach es gut, Chiara", verabschiedete Ivo sich.
"Du auch", war das herzlichste, was ich zu sagen vermochte und so trennten wir uns und ich machte mich zurück auf den Weg in mein altes Leben.
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Dämonenschatten
FantasyAls Chiaras Eltern von einem Schatten getötet werden, flüchtet sie in den Wald. Dort trifft sie auf Ivo, der ausgestoßen von der Gemeinschaft der Waldgeister lebt, einer Gruppe von Menschen, die seit über einhundert Jahren abgeschnitten von der Zivi...