Lavinia

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Das Leben bei den Waldgeistern war streng geregelt. Jeder wusste genau, was zu tun war. Alle waren aufeinander abgestimmt und sorgten für ein harmonisches Zusammenleben. Nichtsdestotrotz war es mir nicht möglich zu erkennen, was das Besondere an dieser Gruppe Leute war, die von allem abgeschieden im Wald hausten.

Es war schon an meinem zweiten Morgen im Lager als man mir verkündete, dass ich nicht länger von Zebra angeleitet wurde, sondern heute mit einer Frau namens Lavinia kochen sollte.

Ich traf Lavinia an der Kochstelle, die an einen der äußeren Ränder des Lagers lag. Sie war eine kleine Frau Anfang zwanzig mit dunkelbraunen Haaren und einem runden Bauch, der so aussah als wäre die Hälfte der Schwangerschaft schon herum.

„Hallo, ich bin Chiara und soll heute zusammen mit dir kochen", sagte ich zur Begrüßung.

„Ich bin Lavinia", war die schüchterne Antwort, während sie sich geistesabwesend über den Bauch strich.

„Also, was ist zu tun?", fragte ich nach, denn ich vermutete nicht, dass von ihr eine Anweisung kommen würde. Sie wirkte fehl am Platz und noch unsicherer als ich.

„Wir haben hier Knollen, ähnlich einer Kartoffel und müssen sie schälen, schneiden und kochen. Dazu kommt noch etwas Fleisch, aber das wird von anderen Leuten fertig gemacht."

Ich nickte.

Die Knollen lagen in einem Sack und Lavinia holte sich eine heraus und begann sie mit einem Messer zu schälen. Sie saß auf einem Schemel und neben ihr stand noch ein zweiter auf dem wohl das Messer lag, das ich benutzen sollte.

Ich setzte mich, griff in Sack, holte eine der hellen, unförmigen Knollen hervor und schälte sie. Es war wirklich wie mit Kartoffeln, eine eintönige Arbeit, aber es hätte mich schlimmer treffen können. Schließlich lebte ich noch und war hier in Sicherheit. Ich hatte Zebra, mit der ich mir eine Hütte teilte, und auch das andere Mädchen, Ira, war nett, wenn auch noch jünger als Zebra.

Wir saßen gefühlt eine halbe Ewigkeit da, schälten und langsam füllte sich der große Topf vor uns.

„Für wie viele Personen genau kochen wir überhaupt?", fragte ich nach, weil ich beschloss, dass eine Unterhaltung angenehmer wäre als das momentane Schweigen.

Lavinia zuckte die Achseln. „Ich weiß es nicht genau. Es ist schwer zu sagen wie viele Leute hier überhaupt leben. Manche kommen und gehen und eben erst habe ich jemanden gesehen, den ich hier noch nie gesehen habe. Ich weiß nur, dass es viele sind."

Ihre Antwort hatte mich überrascht. „Also bist du noch nicht lange hier?"

„Nein, erst seit etwa drei Wochen", antwortete sie und ich sah ihr an, dass es sie sehr bedrückte. Dann schlich sich eine Idee in meinen Kopf. Eine Idee, die ich am liebsten aus meinem Kopf verbannen würde, aber ich konnte es nicht tun. Ich musste einfach nachfragen.

„Hast du den Schatten gesehen?"

Lavinia sah überrascht auf und ich erkannte Tränen, die in ihren Augen schimmerten. Gleichzeitig war ihr Blick fragend und ich beschloss, ihr meine Geschichte zu erzählen. So würde sie Gewissheit erlangen.

„Vor ein paar Wochen kam in ein Schatten in unser Haus im Dorf. Er kam herein und entzog das Leben von jedem aus meiner Familie, außer mir. Danach ging ich in den Wald, weil ich es nicht mehr zu Hause aushielt. Und dann kam ich auf eine unglaublich dumme Idee und es endete damit, dass ein Fremder mich aus dem Fluss ziehen musste und somit mein Leben rettete."

Ich ließ Rico an dieser Stelle aus. Ich war nicht bereit dafür, meine Schuld an seinem Tod vor einer Fremden zu rechtfertigen. Ich erzählte ihr schon genug.

DämonenschattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt