6-Der letzte Tag der Titanic

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Sonnenstrahlen weckten mich am nächsten Morgen, indem sie durch das Fenster in mein Gesicht schienen. Ich schlug die Augen auf und setzte mich hin. Paul war noch am schlafen und schnarchte leise.

Langsam stieg ich aus dem Bett und torkelte zum Kleiderschrank. Ich griff nach einem knöchellangen Kleid mit einem kleinen Ausschnitt und einer Schleife an der Taille. Das Chiffonkleid war ganz in Weiß gehalten. Die Schleife wiederum war violett. Ich stellte mich ans Fenster und sah nach draußen. Auf dem Meer sah ich eine kleine Eisscholle treiben.

Ich schrie kurz und fiel rücklings auf die Couch. Heute war der Tag des Untergangs! Heute Abend würden wir mit dem Eisberg zusammenstoßen.

„Prinzessin? Alles ok?“ Mein Schrei hatte offensichtlich Paul aufgeweckt.

„Alles Ok, ich hab mich nur wieder an die Sache heute Abend erinnert…“ Ich seufzte, und setzte mich wieder aufs Bett. Paul stand auch auf und zog einen grünen Nadelstreifenanzug an.

Eine halbe Stunde später machten wir uns auf den Weg zum Frühstückssaal. Als wir bei zwei Offizieren vorbeikamen, sagte der eine: „Wir halten den Kurs so. Eisberge kann man ja früh genug erkennen!“

Ich ballte die Fäuste zusammen, sodass die Knöchel weiße Spuren hinterließen.

Im Frühstückssaal suchte ich das Buffet dreimal nach Nutella ab, obwohl ich genau wusste, dass es noch nicht erfunden wurde. Aber ich wollte es unbedingt noch einmal in meinem Leben essen…  Aber es half alles nicht. Schließlich musste ich mich wohl oder übel für Erdbeermarmelade entscheiden. Während des Frühstücks sprachen Paul und ich kein Wort. Zu groß war unsere Anspannung auf das kommende.

Nach dem Frühstück gingen wir auf unser Zimmer, um geeignete Klamotten für heute Abend rauszusuchen.

Als erstes brauchten wir lange Unterwäsche. Ich entschied mich dafür, ein langes rot-braunes Kleid aus Wolle anzuziehen. Darüber dann noch ein Bolero aus Biberfell. Eigentlich hasste ich Pelze, aber das hier waren besondere Umstände. Das ganze sah zwar nicht so besonders gut aus, aber es war schön warm, und praktisch für einen Schiffsuntergang.

Paul legte sich einen grauschwarzen Anzug mit viel Innenfutter raus. Außerdem steckte er noch ein Paar Handschuhe in seine Innentasche. Ich legte mir auch noch ein paar braune Lederhandschuhe neben das Kleid.

Danach gingen wir wieder in die Bibliothek. Da ich aber kein spannendes Buch fand, nahm ich mir einen Notizblock und schrieb ein paar Gedanken auf. Sie hatten keinen wirklichen Sinn und ich wusste auch nicht, was mir das nützen sollte. Aber nach einiger Zeit war das Blatt gut gefüllt:

Noch zwölf Stunden bis zur Kollision.

Die Fliege an der Lampe nervt… Ich würd am liebsten auch einfach davonfliegen können…

Oder schwimmen… vielleicht konnte ich mich ja noch zum Fisch verwandeln?

Ich hoffe, es geht Gwenny gut… Ein glück haben wir sie nicht mitgenommen.

Noch zehn Stunden…

Was Jack jetzt wohl macht? Ich hoffe, Rose kann zum Treffpunkt kommen…

Das Buch dahinten ist ja groß. Ob das wohl ein Atlas ist? Auf jeden Fall wird er heute Abend untergehen. Mal schauen, wie lange noch.

9 Stunden bis der Eisberg kommt…

Kann ich die Katastrophe wirklich nicht verhindern? Mein Schnürsenkel ist offen.

So, jetzt ist er zu. Paul hat jetzt das Buch schon zur Hälfte durch… Muss wohl ganz spannend sein. Was liest er da überhaupt? „Geometrische Formen und ihre Eigenschaften“? Ist ja öde…

Zwei Pärchen auf der Titanic (Rubinrot-Titanic FF, in ÜberarbeitungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt