7-Kollision

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„Zurück!“ rief ich, und zog Rose vom Bug weg.

„Was ist los?“ fragte sie mich besorgt.

Ich war nicht instand, ihr zu antworten, sondern hob den Zeigefinger in Richtung offenes Meer. Man konnte dort gerade mal eine Silhouette erkennen, aber man sah, dass es ein riesiger Eisberg war. Rose stockte der Atem, und Jack nahm reflexartig ihre Hand.

„Haltet euch irgendwo fest. Das wird eine harte Erschütterung!“ rief Paul und ich lief zu einer der Bänke.

Kaum waren alle dort angelangt, fing der Boden unter uns an zu vibrieren. Die Titanic änderte langsam ihre Richtung. Zu langsam!

Einen Augenblick später hörte man Eis splittern und Metall brechen. Eisklötze, teilweise größer als Bowlingkugeln fielen auf das Deck und zwei Schaulustige, die den Eisberg wohl aus nächster Nähe betrachten wollten, wurden nur knapp von einem herunterfallenden Eisbrocken verfehlt. Ein wirklich riesiges Gebilde aus hartem Eis fuhr am Schiff vorbei. Etwa 20 Meter unter unseren Füßen wurden in diesem Moment die tonnenschweren Metallplatten durchlöchert und tonnenweise Wasser drang ein. Als das Schiff aufhörte zu vibrieren lief ich zur Rehling und sah dem Eisberg hinterher. Er war jetzt etwa drei Meter vom Schiff entfernt, und ich konnte eine Spur aus rotem Lack sehen. Noch ein paar andere Köpfe sahen über die Reling. „Haben wir den getroffen, Mami?“ fragte ein kleines Mädchen. „Ich glaube schon. Aber keine Angst, wir gehen jetzt ins Bett. Es ist schon spät.“ antwortete ihre Mutter, eine junge Frau mit lockigen braunen Haaren.

Etwa 20 Meter hinter uns, auf der Brücke, war bereits Panik ausgebrochen. Die Offiziere liefen wild umher.

„Was war das? Ruft den Bootsmann! Und den Schiffshandwerker!“ rief einer von ihnen. Ich drehte mich wieder zu den anderen. Rose war ganz blass im Gesicht. Auch Jack schien überrascht zu sein. Ich war eigentlich ganz ruhig, obwohl ich damit gerechnet hatte, dass ich schreiend im Kreis laufen würde. Auch Paul schien recht entspannt zu sein.

„Die Maschinen haben gestoppt!“ bemerkte Jack. Tatsächlich war dieses Sachte und leichte Vibrieren, sowie das Motorengeräusch, an das wir uns schon längst gewöhnt hatten, verschwunden.

„Was kann das bedeuten?“ wollte Rose wissen.

„Es bedeutet, dass ab sofort kein Ort auf diesem Schiff mehr sicher ist, und das wir alle in großer Gefahr schweben.“ sagte ich mit etwas zittriger Stimme.

„Meinst du, das Schiff wird sinken?“ fragte Rose besorgt.

„Aber, die Titanic ist unsinkbar!“ rief Jack. Achja, die guten, alten Vorurteile…

„Das Schiff ist aus Eisen gebaut und wird von Nieten zusammengehalten! Die Titanic ist zwar riesig, aber das bewahrt einen nicht vor Schiffskatastrophen! Was ihr jetzt von uns hören werdet, werdet ihr nicht verstehen. Wir können es euch auch nicht erklären! Wichtig ist für euch nur, dass ihr uns Vertrauen müsst. Wenn ihr macht, was wir sagen, werdet ihr aus dem Schlamassel unbeschadet heraus kommen.“ sagte Paul mit bestimmter Stimme.

Jack und Rose sahen sich fragend an, schienen uns aber trotzdem zu vertrauen.

„Ok, was müssen wir tun?“ fragte Jack.

Ich holte tief Luft, und überlegte, wie ich es am geschicktesten ausdrücken konnte.

„Also…“ fing ich an, um etwas Zeit zu schinden. Dann aber unterbrach Paul mich. Ich war froh drum, da ich noch nie der große Redner war.

„Wichtig ist, dass ihr das Deck nicht mehr verlassen dürft!“ sagte er. „Die ersten Rettungsboote werden in etwa einer halben Stunde fertig gemacht. Wir müssen auf jeden Fall versuchen, in eines der ersten rein zu kommen. Die ersten paar Boote werden nicht einmal bis zur Hälfte gefüllt, da keiner an einen Untergang glaubt. Das ist unsere beste Chance, einen Platz zu bekommen.“

„Aber… unsere Rettungswesten! Die sind noch in den Kabinen!“ sagte Rose. Pure Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben und ihre Hand umklammerte krampfhaft die von Jack.

„Wir haben hier schon welche.“ sagte ich und öffnete die Handtasche. Ich reichte jedem von uns eine.

„Wieso habt ihr…“ begann Rose, verstummte jedoch, als Paul sie vielsagend ansah.

Während wir unsere Westen anzogen, gingen wir ein wenig über das Deck.  Wir kamen an zwei Offizieren vorbei.

„Wie sieht´s aus?“ fragte der eine.

„Nicht gut. Die Frachträume der ersten vier Abteile sind schon komplett überflutet.“ antwortete der andere.

Ich merkte, wie Rose noch blasser wurde, als sie sowieso schon war. So langsam fing auch ich an zu zittern. Nach ein paar Minuten wurde es im Inneren des Schiffes lauter. Offensichtlich kamen nun die ersten Passagiere aus ihren Kabinen.

Eine Reihe Matrosen und Offiziere stürmten aus dem Innenraum des Schiffes.

„Ihr übernehmt Backboard, und ihr Steuerboard.“ rief einer.  Auf der Stelle trennten sich die Matrosen in zwei Gruppen und liefen zu den Booten. Sie zogen die Planen ab und lockerten sie. Langsam wurden die Boote über die Reling gelassen und so weit herunter gekurbelt, dass man gut einsteigen konnte.

Als die meisten der Boote fertig waren, gingen ein paar Offiziere zurück in das Schiff. Ein paar Minuten später kamen viele Passagiere heraus. Sie alle sahen sich fragend an, viele hatten nicht einmal ihre Schwimmwesten an, da das Schiff anscheinend nicht untergehen konnte.

„Frauen und Kinder bitte nach vorne! Frauen und Kinder zuerst!“ riefen die Matrosen laut. Ein paar verängstigte Kinder und Frauen gingen nach vorne. Die meisten jedoch blieben dort stehen, wo sie waren.

„Gehen wir auch nach vorne hin?“ fragte ein kleines Mädchen.

„Nein, mein Schatz. Das sind nur Vorsichtsmaßnahmen. Hier ist es sicherer, als auf den kleinen Bötchen.“ antwortete ihre Mutter, die die Kleine auf ihrem Arm hatte.

Ich ging  zu der Mutter.

„Bitte, steigen sie ein! Ich sah den Eisberg und hörte die Offiziere sprechen. Geraten sie nicht in Panik, aber dieser Ozeanriese wird sinken!“ sagte ich ihr leise. Ich schob sie sanft nach vorne, damit sie einsteigen konnte. Jetzt sollten aber auch wir einsteigen.

„Ok, Rose, Paul, Jack, gehen wir?“ fragte ich und drehte mich um.

Aber… da war keiner mehr! Ich schaute zu allen Seiten, aber ich konnte die anderen drei nicht entdecken! Wo konnten sie denn in so kurzer Zeit hin sein?

„Paul? Jack? Rose?“ Ich schrie aus Leibeskräften, aber sie waren weg.

„Paauul? Wo bist du?“

Zwei Pärchen auf der Titanic (Rubinrot-Titanic FF, in ÜberarbeitungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt